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Warum wir aufhören müssen, über Kurt Cobain zu reden

Um Kurt Cobains Erbe wenigstens ansatzweise angemessen zu bewahren, sollten wir vielleicht anfangen, etwas weniger über ihn zu reden.

Foto von Bruce Pavitt

Wenn du dich vor zwei Jahren in der Nähe von jemandem aufgehalten hast, der sich auch nur ansatzweise für Musik interessiert, wirst du mitbekommen haben, dass damals der 20. Todestag von Kurt Cobain war. Oder auch das 5. Jubiläum des 15. Todestages oder das 10. des 10. Todestages, folgt man der Tatsache, wie leidenschaftlich die Medien über sein Ableben berichten.

Die Tributes an die Ikone aus Seattle reichen von Covern bekannter Nirvana-Songs, Interviews mit „Freunden“ und Kollaborateuren, der üblichen „Ich kannte ihn besser, als ihr alle zusammen“-Abteilung bishin zu einer wirklich hässlichen Statue. Auch zwei Jahrzehnte später ist Cobain immer noch der Archetyp der gequälten Ikone. Nur Bob Marley, Che Guevara und Jesus Christus sind als Leichen noch besser zu vermarkten. Aber warum?

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Es ist leicht zu sehen, dass Kurt für Leute, denen die katholische Kirche nicht so zusagte, einen fast schon religiösen Status erreicht hat—dabei war er genau das Gegenteil von dem, was eine Gottheit ausmacht: aufbrausend und ehrgeizig. Kurt war einfach nur ein Typ, der da stand und sagte: „Alles ist scheiße. Ich hasse mich. Es liegt nicht nur an dir.“

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via Lookbook

Ironischerweise ist all das, was Kurt hasste, dafür verantwortlich, dass er auf dem Flohmarkt verstorbener Berühmtheiten weiter ganz hoch gehandelt wird. Es ist zynisch, aber dadurch, dass er auf dem Höhepunkt seiner Popularität und in einem Alter, in dem er noch aussah wie Frischfleisch, nach dem sich alle die Finger leckten, starb, wurde Kurts Bild einfach zu einem erstklassigen Motiv für Produkte, die mit Köpfen von Menschen darauf verkauft werden. Neben Rihanna, den Beatles und dem Cover von Joy Divsions Unknown Pleasures wirst du unausweichlich Kurt erblicken, wie er dich von den T-Shirt Ständern bei Primark anstarrt. Es gibt einen eindeutigen Grund, warum genau er und nicht, sagen wir, Billy Corgan, dort gelandet ist und das liegt definitiv nicht daran, dass Primark immer voll von Studenten ist, die „Rape Me“ summen, wenn sie sich durch die Palette an Pullovern mit geblümten Mustern wühlen. Der Grund ist, dass Kurt einfach gut aussieht und nicht mehr für sich selbst sprechen kann—das war immer schon die Kombination, die sich am besten verkauft hat.

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Natürlich hat keiner von diesen Kurt-Todestagen (oder KTs wie sie ohne Zweifel in der Buchhaltung von Geffen abgekürzt werden) etwas damit zu tun, etwas Kohle für die nächste Weihnachtsparty oder das neue Video der Vamps zusammenzukratzen. Nirvanas In Utero—ein Album, das vom Songwriting bis zu der Wahl von Steve Albini als Produzent dazu gedacht war, die Rückkehr der Band zu ihren ungeschliffenen Wurzeln darzustellen—wurde bereits zu seinem 20. Geburtstag im letzten Jahr remastert und neu aufgelegt. Nevermind bekam zur fast einhelligen Bestürzung aller Fans 2011 ebenfalls die komplette Remaster/Reissue-Behandlung, während zu jedem Record Store Day oder irgendwelchen Jubiläen auch 20 Jahre nach Cobains Dahinscheiden immer wieder leicht veränderte Versionen des relativ überschaubaren Nirvana-Werkes erscheinen. Handelt es sich dabei um notwendige Neuinterpretationen, die etwas Neues beisteuern? Nein. Werden Menschen Kohle daran verdienen? Ja.

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Das alles ist aber nichts gegen die andauernden Streitigkeiten um die „Rechte“ an Cobains Nachlass. Während sich Courntey Love weiterhin mit den ehemaligen Nirvana-Bandkollegen Dave Grohl und Krist Novoselic in den Haaren liegt (Love hat auch kürzlich bekanntgegeben, dass sie es sogar „unangenehm“ fände, mit den beiden, anlässlich des Einzugs von Nirvana in die Rock and Roll Hall of Fame, an einem Tisch zu sitzen), scheint eine endlose Reihe furchtbarer Entscheidungen darüber getroffen worden zu sein, wie mit Kurt Cobain und dem Nachlass der Band umgegangen werden soll—ein kindischer Machtkampf, frei nach dem Motto: Alles, was du kannst, kann ich noch schlimmer. Grohl und Novoselic entschieden sich dazu, mit dem immer gut gelaunten, Daumen-hoch-Fanatiker Paul McCartney zusammenzuarbeiten. Da sie dadurch zum ersten Mal seit dem Ende von Nirvana zusammen auf einer Bühne standen, bekam die Aktion eilig den „Reunion“-Stempel aufgedrückt—allerdings ersetzte hier der bestgelaunte Mann des Popgeschäfts den angepisstesten. Courtney wiederum entschied sich, bei ‚Kurt Cobain: The Musical’ mitzuwirken. Beides sind wahrscheinlich keine Sachen, für die der Sänger gerne seine Zeit aufgewendet hätte, hätte er denn die Wahl gehabt—aber die andauernden Streitigkeiten zwischen den beiden Parteien sind trotzdem großartiges Nachrichtenmaterial.

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Cobain ist inzwischen, ohne eigenes Verschulden, im Reich der sinnfreien und deprimierenden Absurditäten angekommen. Allein „Smells Like Teen Spirit“ wurde bislang von Miley Cyrus, Imagine Dragons, Little Mix und den Muppets gecovert, natürlich auch unzählige Male bei Castingshows wie „The X Factor“ zum Besten gegeben und fand sich zu Teilen in einem Song von Jay Z und Justin Timberlake wieder. Die Fernseh- und Radiomoderatorin Fearne Cotton hat diesen Song, nachdem sie erst mal langatmig über ihr Nirvana-Fantum schwadroniert hatte, diese Woche in ihrer Radio 1-Show als Tribute an Kurt Cobain gespielt, obwohl dieser den Song und seine Popularität mit der Zeit bekanntermaßen immer mehr gehasst hat.

Die Tribute an Kurt in der letzten Woche waren aufrichtige Hommagen an eine der inspirierendsten und wichtigsten Figuren in der Geschichte von MTV. Aber um Cobains Erbe so zu bewahren, dass es wenigstens ansatzweise der Art, wie alles begann, gleicht, sollten wir vielleicht anfangen, etwas weniger über ihn zu reden.

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