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Warum starren beim Tanzen eigentlich alle den DJ an?

Wir müssen etwas gegen diese Epidemie unternehmen und wieder anfangen zu raven.

Ende letzten Jahres habe ich einen meiner Lieblings-DJs zum ersten Mal gesehen. Schon seit Ewigkeiten hatte ich mich unglaublich darauf gefreut und, als es dann so weit war, bahnte ich mir instinktiv den Weg durch die Menge nach vorne und jubelte dem DJ zu, als er sich hinter die Teller stellte. Die Musik ging los und ich ließ mich fallen – aber statt zu tanzen, war ich mehr damit beschäftigt, zwischen den von allen Seiten rempelnden Schultern zu navigieren, darauf zu achten, wohin ich trete, und überhaupt einen guten Blick auf die Bühne zu bekommen. Nachdem ich etwa zehn Minuten so verbracht hatte, tippte mir mein Kumpel von hinten auf die Schulter und meinte nur: "Hör auf, zum DJ zu schauen!"

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Es war nicht das erste Mal, dass mir dieser Gedanke gekommen war, und genauso wenig bin ich die erste Person, die einen Artikel darüber schreibt, aber aus irgendeinem Grund traf mich die Absurdität der Situation an diesem Tag mit voller Wucht. Ich hatte Ewigkeiten darauf gewartet, zu den Cuts dieses einen DJs zu tanzen, und jetzt, da es soweit war, stand ich quasi komplett still. Es war, als hätte ich das ganze Jahr auf Heiligabend gewartet, nur um mich dann mit meiner Familie um die beste Sicht auf den Weihnachtsbaum zu kloppen. Und ich bin bestimmt nicht der einzige mit diesem Problem. Es ist etwas, das die meisten von uns reflexhaft tun – wir quetschen uns regungslos um unsere Lieblings-DJs herum, als wären wir bei einem kollektiven Sehtest.

Screenshot via Youtube

Ich versuchte also, dieser Gewohnheit etwas entgegenzusetzen. Ich fing damit an, mich einfach entgegen der herrschenden Tanzrichtung umzudrehen, und die Leute um mich herum dazu zu bringen, sich selbst in die bevorzugte Richtung ihrer Wahl zu drehen. Immer mit gutem Beispiel vorangehen, nicht wahr? Stattdessen kam ich mir jedoch wie das Arschloch vor, das auf der überfüllten Treppe zur U-Bahnstation auf der Seite runterläuft, auf der alle anderen hochkommen. Das ist auch der schwierigste Teil beim nicht-den-DJ-Anzuschauen: Es fühlt sich unnatürlich an.

Dieses komische Verhalten ist tief in uns verankert und viel davon lässt sich auf den Aufstieg des Superstar DJs in den 90ern zurückführen. Oakenfold war 1995 der erste DJ, der auf der Mainstage des Glastonbury vor 90.000 Leuten spielen durfte–man dreht der Pyramid Stage einfach nicht den Rücken zu. 2002 zog Fatboy Slims Big Beach Boutique 250.000 Menschen an den Strand von Brighton und heutzutage brechen DJs wie Calvin Harris und Kaskade beim Coachella, was die Publikumszahlen angeht, alle Rekorde. Die Evolution des DJs vom Zeremonienmeister zum Headliner hat sich schon vor Jahren vollzogen.

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Das trifft nicht nur auf EDM zu. Die Mentalität hat sich auch auf den typischen Underground-Veranstaltungen durchgesetzt, die sich selbst für viel authentischer halten als die massenkompatiblen Stadionfüller. Wir können gerne Tiësto die Schuld für alles in die Schuhe schieben, aber exakt das gleiche passiert bei jedem Boiler Room. Egal, ob bei einer Labelnacht im kleinen Undergroundclub oder der Mainstage eines großen kommerziellen Festivals, fast alle tanzen in die gleiche Richtung – wie komatöse Motten um die Lampe. Aus "Dance-Musik" ist "Steh- und Gaff-Musik" geworden.

Ich habe mich bei uns im Büro mal umgehört, was meine Kollegen dazu zu sagen haben.

"Das passiert immer. Ich weiß noch, wie ich einmal zu einer Ramshackle-Party in Bristol gegangen bin, und alle schauten auf den DJ als wäre er Morrissey oder so. Was "berühmte" DJs angeht, schauten auch alle bei seinem DJ-Set auf James Blake. Ich glaube, dass ich mich nur automatisch zum DJ drehe, wenn er berühmt oder heiß ist. Es ist aber schon komisch. Es ist in etwa so, wie wenn Leute ihre Wohnungen einrichten, dass alle Möbelstücke auf den Fernseher ausgerichtet sind. Ich habe das Gefühl, dass Leute sich bei Shows unwohl fühlen, wenn sie nichts haben, auf das sie sich fokussieren können – vor allem wenn sie erwarten, von der Person auf der Bühne und nicht von der Umgebung, die sie erschafft, unterhalten zu werden." – Emma, Noisey.

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Vielleicht haben wir einfach ein solches Aufmerksamkeitsdefizit, dass wir einfach ständig einen Punkt brauchen, auf den wir uns konzentrieren können. Es könnte auch mit unserer besorgniserregenden Unfähigkeit zu tun haben, einfach mal ‚nichts' zu tun, anstatt immer sofort das Smartphone in die Hand zu nehmen. In einem Club-Setting sind wir dann darauf eingestellt, uns auf das zu fokussieren, was wir für den Mittelpunkt halten, statt uns von der Musik (einem eher abstrakt-sinnlichen Mittelpunkt) wie von einem sexy Dämon befallen zu lassen.

" Wenn ich in einem Club bin, dann schau ich auf den DJ, weil ich mir dann nicht Leute anschauen muss, die so sind, wie ich früher war, sein wollte, immer noch sein will oder was auch immer es ist, das ich beim Ausgehen empfinde. Der DJ ist eine sichere Bank, der DJ ist immer an seinem Platz, der DJ ist präsent, standhaft und latscht dir nicht über die Füße, verschüttet deine Drinks nicht, lässt dich nicht für eine Zigarette, Klobesuche oder ein interessantes Gespräch stehen. Der DJ verpisst sich nicht einfach mit dem Nachtbus und lässt dich allein zurück, während du auf den Boden eines Plastikbierbechers starrst, der schon seit Stunden nicht mehr aufgefüllt worden war." – Josh, Noisey.

Mit dieser Präferenz ist Josh nicht allein. Ein anderer Freund erzählte mir von dem ersten Mal, an dem er Carl Craig gesehen hat. Angesichts der Flut des treibenden aber gleichzeitig honigsüßen Technos, der seinen Kopf erfüllte, fühlte er sich unweigerlich zur DJ Kanzel hingezogen. Carl Craig thronte dort oben wie eine Gottheit, die jeden, der einen Blick auf das Weiß seiner Augen erhaschen konnte, mit einem tranceartigen Segen belegte.

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Screenshot via Youtube

Damit wäre dann auch ein wichtiges Element angesprochen. Wenn man sich zum Beispiel einen Künstler wie Jon Hopkins anschaut, dann ist es durchaus sinnvoll, in Richtung Bühne zu blicken, da der Fokus eines solchen Abends wahrscheinlich mehr auf der visuellen Ebene, den tiefergehenden Emotionen und der intensiven Atmosphäre liegt. Das Gleiche gilt auch für Jungle oder Garage, bei dem der MC natürlich den Mittelpunkt einnimmt und dir einen legitimen Grund gibt, deine schlechte Tüte zwischen deinen Gunfingern in Richtung Bühne zu wedeln. Zugegebenermaßen sind das Gelegenheiten, bei denen es nur logisch ist, sich Richtung DJ zu drehen. Andererseits machen sie es aber nicht weniger komisch, das gleiche Verhalten bei normalen Clubabenden an den Tag zu legen.

Ganz sicher ist die beste Art, einem DJ Respekt zu zollen, einfach zu tanzen, bis einem die Schienbeine durchbrechen – ohne Rücksicht auf das eigene Befinden einfach alles zu geben, sich buchstäblich zu opfern. Das ist der beste Nachweis dafür, dass gerade ein unglaublich gutes Set abgeliefert wird. Vielleicht sollten wir uns von James Murphy & 2ManyDJs Despacio Projekt inspirieren lassen, die sich geradezu hinter einem Setup verstecken, das nur darauf ausgelegt ist, die optimale Sounderfahrung zu erschaffen. Die DJs befinden sich dabei in einer dunklen Ecke, während der Rest des Raums in einem Feuerwerk aus Lichteffekten und herumwirbelnder Körper explodiert.

Natürlich können wir nicht von jedem Act erwarten, dass er über die gleichen technischen Mittel verfügt wie Despacio, um uns davon abzuhalten, wieder in den Bildschirmschoner-Modus zu verfallen. Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen. Die Realität sieht nämlich so aus: Wenn du das nächste Mal ausgehst, egal ob großer House-Club oder kleiner Technokeller, wirst du wahrscheinlich erst mal ankommen, einen Drink kaufen und dann mit deinen Kumpels etwas blöd rumstehen und aus reiner Gewohnheit nach vorne zum DJ schauen. Lasst uns mit diesem Scheiß aufhören. Lasst uns ein Schlüsselprinzip der Clubkultur wieder zurückerobern; lasst uns die Dynamik aus der Zeit wieder zum Leben erwecken, als der Track noch Gott und der DJ noch Messenger war.

Tanzen muss nicht lustig oder peinlich sein (wenn du nicht gerade zu diesen Experten gehörst, die sich wie Zirkusakrobaten winden und durch die Gegend springen). Lasst uns zusammen tanzen – oder zumindest etwas machen, das mehr Einsatz verlangt, als drei Stunden lang so zu tun, als würde man sich Hundescheiße von den Schuhen kratzen. Ich will jetzt nicht zu sehr in einen "damals war alles besser"-Modus verfallen, aber ein Blick auf Videos aus der Acid-House-Ära oder eine Geschichte aus dem Studio 54 wird dir ziemlich schnell die einfache Wahrheit vor Augen führen: Wir machen es falsch. Die Zeit ist gekommen, etwas gegen diese Epidemie zu unternehmen und wieder auszusehen wie ein unkontrollierter Haufen in dreckigen Turnschuhen. Der DJ ist nicht dazu da, um angestarrt, sondern um total vergessen zu werden.

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