Openair ohne Zeltplatzstimmung—das geht eigentlich nicht. Natürlich ist es schön, nach einer wilden Festival-Nacht ins eigene Bett zu fallen, aber wer beim ersten Sonnenschein nicht aus dem Zelt kriecht und ein Bier aufmacht, wird für die ersten Acts niemals genug in Fahrt kommen—und wohl auch ohne Festival Confessions das Openair an sich vorbeiziehen lassen.So kommt es, dass ich nach fünf Ausgaben des Zürich Openairs nicht sagen kann, dass ich jemals eine ausserordentlich ausartende Stimmung erlebt hätte—das können die St. Galler, Frauenfelder und Berner viel besser. Die grösste Schuld trägt dabei die Lage des Openairs. Mit der S-Bahn kommt man in gerade mal zehn Minuten vom Zentrum Zürich zum Festivalgelände. Kein Wunder, kommen nur eine Handvoll Nicht-Zürcher und noch weniger Zürcher auf die Idee, Zelte, Campingstühle und Schlafsack einzupacken. Dabei gäbe es so viele gute Gründe genau dies zu tun.Früher wach auf dem Festivalgelände sein bedeutet mehr Bier trinken bedeutet mehr glückliche, betrunkene Menschen bedeutet bessere Stimmung. So einfach ist das. Was das Zürich Openair speziell braucht, sind die peinlichen Betrunkenen. Denn sie zeigen dir einerseits auf, wie du nicht enden möchtest und dass du andererseits noch viel mehr saufen musst, um auf das Level zu kommen. Was wiederum heisst, dass du noch mehr trinken kannst.Ausserdem weisst du sicher, dass noch nie eine legendäre Openair-Geschichte mit dem Satz “Ich war noch nüchtern, weil ich erst um 19:00 Uhr auf dem Gelände angekommen bin” angefangen hat. Und was ich am meisten am Zürich Openair vermisse: Es ruft kein Schwein nach Helga.Der Flughafen Zürich ist wunderbar steril. Das freut mich jedes Mal, wenn ich von einer Reise nach Hause komme. Er ist ein perfektes Beispiel für den Wohlstand in unserem Land. Doch ein Mal im Jahr hast du die Möglichkeit, mit deinen Gummistiefeln aus dem Airport einen kleinen Schmutzfleck zu machen. Die Schlammspur vom ÖV-Depot zum Migros war vor vier Jahren, als es praktisch vier Tage und Nächte lang durchgeschifft hat, der beste Anblick aller Zeiten. Nur noch besser waren die dummen Blicke der Touristen, die auf die durchnässten Festivalbesucher trafen.Die Glatt ist eigentlich der beschissenste Fluss des Kantons. Nein, sorry, mein Kollege meint, der Welt: Sie entspringt dem Greifensee, der gerüchteweise verseucht ist, fliesst dann durch ein Industriegebiet nach dem anderen, am gleichnamigen Einkaufszentrum entlang, macht einen Abstecher am Flughafen, um dann irgendwann in den Rhein zu münden. Trotzdem liess ich mir sagen, dass es sich in der Glatt, die beim Festivalgelände knapp fünf Meter breit und eher ein Kanal als ein Fluss ist, baden lässt. Es sei “imfall” voll erfrischend.Das Schönste am Zürich Openair ist doch, dass du nicht wirklich aufs Land musst. Denn seien wir mal ehrlich, das will doch niemand. So ist das Zelten am Zürich Openair nicht mit den Unannehmlichkeiten verbunden, die andere Openairs mit sich bringen: kalte Bergluft, Fliegen, Feldgestank, Kühe, zwitschernde Vögel. Dafür kannst du dich wie zuhause fühlen, Flug- und Strassenemissionen geniessen, durch Industriequartiere spazieren, im Discounter um die Ecke einkaufen und Handyempfang hast du auch. Es ist fast so wie Zelten im Garten, damals als vorpubertärer Teenager, bloss mit ganz vielen anderen Leuten und lauter Musik.Wie schon vorhin bemerkt, fehlen dem Zürich Openair die besoffenen Deppen. Ja, genau die, die bei jeder TV-Kamera ins Bild springen und irgendetwas in die Linse brüllen. Eigentlich mag sie keiner, aber trotzdem brauchen wir sie. Weil sie der bunte Fleck auf der weissen Weste sind, das Salz in der Suppe, die Punkte auf dem “i”. Ohne sie geht Openair genauso wenig wie ohne Zelten. Auch wenn wir die Sturzbetrunkenen schlussendlich doch doof finden, bringen sie uns öfter zum Lachen und in Stimmung als dass sie uns zu Tode nerven. Und dafür sollten wir ihnen und ihrem Herumgegröle dankbar sein.Zu den oben erwähnten Gründen kommen noch ganze viele Kleinigkeiten hinzu: Du kannst zum Einschlafen am Mittag Flugzeuge zählen, das Geld fürs Taxi am Mittwoch und Donnerstag sparen, Festival-Food-Diät machen, deine Nachbarn mit deinem Bluetooth-Lautsprecher nerven, betrunken über Zeltheringe stürzen, zum Frühstück einen Burger essen, eine schnelle Nummer schieben, deine Grillkünste unter Beweis stellen, viel Leute kennenlernen, die dir die nächsten Tage immer wieder über den Weg laufen—schnelles high five im Vorbeigehen—und du musst dich nicht schlecht fühlen, wenn die Hygiene nachlässt.Es gibt, wie du siehst, gute Gründe am Zürich Openair zu zelten. Aber seien wir mal ehrlich, kein Zürcher, inklusive mir selbst, wird mein Plädoyer einhalten und jeden Tag ein neues Zugticket nach Glattbrugg und zurück lösen. Das Hauptproblem des Zürich Openairs wird nämlich immer dasselbe sein: Das Gelände ist mit dem ÖV zu gut erschlossen. Wenn die Veranstalter die ausgelassene, betrunkene und eskalierende Stimmung wie an anderen Festivals haben wollen, müssten sie irgendwo ins Hinterland nach Brütten, Wald oder Obfelden umziehen.**Festival-Quatsch und Musikwissen aus der Schweiz teilen wir auf Facebook.
Anzeige
Stimmung
Flughafen verschmutzen
In der Glatt baden
Anzeige