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2015 ist das Jahr, in dem der Mainstream cool geworden ist

Es ist noch nicht all zu lange her, dass Justin Bieber und Taylor Swift mit ihrer glattgebügelten Radiomusik als personifizierte Feindbilder der Musiksnobs galten. Die Zeiten sind vorbei.

Die Hateration gegen Justin Bieber und Taylor Swift hielt sich in den vergangenen 12 Monaten ziemlich in Grenzen. Im Gegenteil: 2015 konnte sich neben der gewohnten Fanbase plötzlich auch die nerdige Auskenner-Szene auf TayTay, Biebz und ein paar andere Popstars einigen. Und überhaupt: Irgendwie hatte man das Gefühl, dass der Mainstream cooler geworden ist.

Denn tatsächlich ist es noch gar nicht all zu lange her, dass Justin Bieber und Taylor Swift mit ihrer glattgebügelten Radiomusik als austauschbare Teeniestars und personifizierte Feindbilder der Musiksnobs galten. Hier das vom Ex-Freund-Traumata gebeutelte Landei mit einem Faible für Country-Geschrammel, da der pausbäckige Kinderstar-turned-Milchbart-Rabauke.

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Beide mit der Gabe gesegnet, nutzlose bis nervige Musik zu schaffen. Denn: „Shake It Off“ oder „As Long As You Love Me“ eigneten sich noch nicht mal als anständiges Füllmaterial für guily-pleasure-Playlisten, ja, geschweige denn eine gepflegte Augenzwinker-Listening-Session mit Ironie bis Oberkante Unterlippe. Denn die glattgebügelten Songs von TayTay und Biebz waren—selbst vom neutralsten Standpunkt aus betrachtet—einfach schlecht. Lieblos zusammengekleisterte Konsensmucke ohne Charakter, dafür mit umso mehr Berechnung ausgestattet.

Doch Anfang dieses Jahres scheint bei den beiden Pop-Galionsfiguren etwas passiert zu sein. Denn nach dem Taylor mit 1989 Ende 2014 der Country-Musik Adieu gesagt hatte, holte sie nämlich plötzlich Kendrick Lamar ins Video ihrer neuen Single „Bad Blood“ und ließ all jene HipHop-Hardliner verstummen, die sich in den Jahren davor noch über Swifties erstaunlichen Lipsync zu Kendricks „Backseat Freestyle“, das Akustikgitarrencover von Eminems „Loose Yourself“ oder ihren 2014er-Swerve bei den MTV Awards echauffiert oder über den legendären Kanye-West-Rant bei den MTV Music Awards anno 2009 lustig gemacht hatten.

Aber die geglückte Rap-Ranschmeiße war längst nicht alles. Außerdem im „Bad Blood“- Video zu sehen: Ein A-List-Cast—darunter Selena Gomez, Gigi Hadid, Ellie Goulding, Cara Delevingne und Lena Dunham—, der im Anschluss gleich auch als hauseigene Squad herhielt, mit der Swiftie in den Wochen darauf über die roten Teppiche und Bühnen der Welt flanierte und via Instagram ordentlich Kredibiltäts-Boni einsackte. Nicht zu vergessen: Das lippenstiftlose Posieren fürs Cover des Wonderland-Magazins.

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Und Justin? Gut, der tanzte nach seinem letzten Album Believe ein paar mal aus der Reihe. Will heißen: Biebz fuhr des Nachtens lattenstramm illegale Autorennen, kaufte sich einen Affen (aber keine Papiere für ihn) und ließ das Tier dann in Süddeutschland zurück, pinkelte in Putzeimer und arbeitete auch sonst konsequent daran, seine weiße Teeniestar-Weste loszuwerden. Aber dann machte der Biebz plötzlich gemeinsame Sache mit Diplo und Skrillex („Where Are Ü Now“), tauchte auf dem Rodeo-Album von Travi$ Scott auf und steuerte nicht etwa eine vorhersehbare Hook bei, sondern rappte seinen Gastgeber samt Featurepartner Young Thug mal eben mir nichts dir nichts an die Wand und legte ungefähr zeitgleich mit „What Do You Mean“ eine ziemlich starke Comeback-Single nach, die mit zügigem Tempo und Tropical-House-Anleihen irgendwie anders tönte als Weichspül-Pop und Bratz-Rap auf Believe.

Purpose demonstrierte auf interessante Weise, wie sich die Popmusik in den letzten Jahre verändert hat. Musik für den Mainstream galt lange Zeit als seelenloses Wegwerfprodukt, die dazugehörigen Performer als Marionetten der Plattenindustrie und das genaue Gegenteil von dem, was passionierte Musikliebhaber in der Indie-Szene ganz ohne kommerzorientiertes Diktum der Majorlabels machen. Aber: dem ist nicht mehr so. Eine neue Generation an Musikern, geboren in den späten 80ern oder frühen 90er Jahren ist am Drücker. Großgeworden mit lupenreiner Popmusik auf der einen, den dank Internet ständig verfügbaren Subgenres auf der anderen Seite, machen sie auch in ihrer eigenen Kunst keine großen Unterschiede mehr.

Alles kann, nichts muss, aber darf doch gerne. Adele und Drake turteln ob eines eventuellen „Hotline Bling“-Remixes, Sam Smith hat sein Cover von Aubreys Smartphone-Hymne mit dem BFFs von Disclosure schon geliefert, während Ed Sheeran seine vermeintliche Schluffiness mit einem Akustikklampfen-Cover von OT Genasis „CoCo“ wettmacht. Soundcloud-Checker wie Cashmere Cat produzieren von ihrem Schlafzimmer aus für Ariane Grande oder Kanye West, das PC-Music-Kollektiv um A.G. Cook und Hanna Diamond unterschreibt, ohne mit der Wimper zu zucken, beim Großkonzern Columbia und Auskenner-Heldin Grimes zierte unlängst die Cover der großen Magazine. Was sich in den letzten Jahren schon andeutete, wurde 2015 so deutlich wie nie zuvor: Mainstream-Musik als geschönte Plastikkonservenmucke mit dem Anspruch der Massentauglichkeit ist passé. Es herrscht ein neuer, breiter Konsens—und der ist ganz schön cool.

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