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Captain Ashi—Unterwegs im räudigen Band-Kosmos

Unglaublich luxuriöse Wahrheiten über das Leben in einer Band

Wir haben zuletzt etwas rumgeheult, wie schwierig es Musiker haben. Tatsächlich wird es aber irgendwann viel besser.

Als ich in meinem letzten Beitrag an dieser Stelle mit den angestaubten Mythen des Rock'n'Roll Lifestyles von Bands auf Tour und Musikern im Allgemeinen aufgeräumt habe, hörte ich zum Moment der Veröffentlichung im Internet Träume platzen. Über den Proberäumen des Landes lag plötzlich eine Wolke zerfetzter Heißluftballons und die gesammelten Tränen von Schülerbandbassisten aller Welt rannten durch Gassen und Hauptstraßen. Das Telefon klingelte unentwegt. Am Apparat: erzürnte Musiker-Kollegen, die beteuerten, eben doch Groupies zu haben und auf Tour ausschließlich in 5 Sterne Suites zu pennen. Als mich dann auch noch einer meiner Label-Chefs zur Seite nahm, mir Mafia-mäßig 50€ in die Westentasche steckte und sich dabei eine weniger einseitige Berichterstattung von mir wünschte, wurde es ernst.

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„Ashi, du kannst doch nicht immer die alten Geschichten erzählen von früher, wo alles so scheiße war! Erzähl doch mal, wie geil jetzt alles ist! Sonst denken die Leute nachher, ihr seid die totalen Dilettanten, Alter!“ Recht hat er. Denn so schlimm das Leben auf Tour und das am-Hungertuch-Nagen daheim in den ersten Jahren deiner experimentellen Postcore-Band auch sein kann, wenn du den Sprung aus dem Underground-Sumpf erst mal geschafft hast, wird tatsächlich alles besser.

Der Rider ist der Schlüssel ins Paradies

Nachdem du dich hinter den Bühnen des Landes jahrelang durch Chilli-sin-Carne und Curryhühnchen gefressen hast, kommt irgendwann der Tag, an dem du dir mit deinen Bandkollegen eingestehen musst, dass es so nicht weitergehen kann. Du verbringst inzwischen 100 Tage im Jahr on the road und musst sofort würgen, wenn du Basmatireis und Curryhühnchen nur von Weitem siehst. Zum Glück gibt es gegen das Elend in den Backstages dieser Welt eine Wunderwaffe: den Rider. Was als Merkblatt mit groben technischen Hinweisen an den Veranstalter begann, kann im Handumdrehen zu einem mehrseitigen Wunschzettel werden, der deine nächste Tour zu einem Trip ins Schlaraffenland verwandelt. Du stehst auf eklige, bunte Mischbiere und brauchst am Morgen nach der Show dringend ein kaltes Powerade? Schreib‘s auf den Rider. Du isst alles, bloß keinen geschmolzenen Käse? Schreib‘s auf den Rider. Du brauchst bei Ankunft im Club unbedingt eine Banane und ein Snickers? Schreib‘s auf den Rider. In jeder gut organisierten Venue wirst du herzlich mit offenen Armen und Bananen empfangen, wenn du es mit den Extrawürsten nicht völlig übertreibst. Deine M&Ms musst du dir schon selber nach Farben sortieren und niemand wird dir deinen Lieblingssekt in den Kühler tragen, wenn du nicht mal den Laden alleine ausverkaufst. Deine normal sterblichen Schnaps- und Snack-Forderungen wird man dir aber wohlwollend erfüllen. Wenn du dann mal ein echtes Arschloch sein willst und den Wodka im Backstage vermisst, wedelst du einfach penetrant mit deinem Rider und sabbelst irgendwas von „Vertragsgrundlage.“ Wunder dich dann aber nicht, wenn du besagte Schnapsflasche später auf den Kopf kriegst.

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Deine Band ist dein goldenes Ticket um die Welt

Ich war früher nie wirklich daran interessiert, die Welt zu bereisen und habe nicht im Entferntesten daran gedacht, mit einer Band auch nur über die Grenzen des Thüringer Waldes zu schießen. Dieses Jahr habe ich meinen gesamten Sommer in den USA verbracht, letztes Jahr kaufte ich Weihnachtsgeschenke in Tokio. Davor streichelte ich Riesenschnecken in Moskau, tanzte mich in Budapest in Trance und diskutierte mit Taxifahrern in Dublin darüber, was zur Hölle eine Tremple Brar sein soll. Das Schlimmste ist: Ich wurde dafür auch noch bezahlt. Klar, verreisen kann jeder. Ich wette, die Hälfte meiner alten Schulfreunde hat den Globus inzwischen schon zweimal umrundet, während ich in einem Minivan deutsche Autobahnen auf und ab gefahren bin. Es bleibt trotzdem eine unbezahlbare Wonne, mit seinen besten Freunden und einem Synthie unter dem Arm am Flughafen abgeholt zu werden, um fremde Städte, fremde Bars und fremde Spirituosen unter die Lupe zu nehmen, bevor man irgendwann auf die Bühne geschoben wird, um das zu tun, was einem ohnehin schon allergrößte Freude bereitet.

„Wo wir hinfahren, brauchen wir kein Geld“

Klar sind alle Band-Vögel arme Schlucker und ständig blank. Irgendwann spielt das zum Glück überhaupt keine Rolle mehr, denn du kriegst sowieso alles hinterher geworfen. Deinen Rausch und regelmäßige Fütterungen zahlt der Veranstalter, das Mittagessen übernimmt die Merch-Kasse vom Vorabend. Klamotten musst du dir auch nicht mehr selber zulegen, denn dein Manager hat es irgendwie geschafft, einen weltbekannten Schuhhersteller von deinem Fame zu überzeugen und einen Endorsement-Deal eingetütet. Oder zwei.

Ich habe mir seit vier Jahren keine Schuhe mehr gekauft und habe immer noch ungetragene Paare im Schrank. Ich hoffe, die gönnerhafte Investition hat sich auch für die andere Seite gelohnt und irgendwann hat sich wenigstens einmal ein Fan gedacht: „Die von Captain Capa haben aber auch immer geile Schuhe an! Für exakt diesen Schuh werde ich gleich morgen jede Menge Geld ausgeben.“ Richtig glücklich schätzen kannst du dich, wenn dir außer Rucksäcken und Jutebeuteln jemand auch mal was richtig Teures für lau zuschiebt. Zum Beispiel Instrumente. Als wir einen Werbeclip in Japan drehten und uns in einem Musicstore umschauen durften, schraubten wir keine zwei Minuten an einem winzigen Korg-Sequencer herum, bevor uns jemand von der Produktionsleitung fragte, ob wir das Ding nicht einfach mitnehmen wollen. „Just use it on stage tonight, ok?“ Äh, ok!

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Dein Manager—dein Fluch und Segen

Dass sich dein Lebensstandard im Studio und auf Tour plötzlich so drastisch verbessert, liegt wahrscheinlich zu 90% an der Person hinter dem Vorhang. Dein Manager kann zwar manchmal ein echter Penner sein, z.B. wenn er dir vorrechnet, wie viel Gage ihr im letzten Halbjahr versoffen habt oder dir mit Dollarzeichen in den Augen beim Songwriting über den Schultern hängt. Meistens ist er aber ein ziemlich guter Typ, der dir und deiner Band die wirklich ätzende Arbeit abnimmt und hin und wieder mit einer coolen Überraschung um die Ecke kommt. („Habt ihr Bock nächste Woche nach New York zu fliegen? Braucht ihr mal wieder ein paar geile Klamotten? Wollt ihr zufällig noch eine Kiste Relentless?“) Während er dich vom Büro aus vorm Schlimmsten bewahrt, indem er untragbare Konzertangebote abschmettert, dir haushohe Gagen aushandelt und katastrophale Interview-Termine verhindert, kommt der Manager erst auf Tour richtig in Fahrt. Endlich jemand, der für dich mit dem Rider wedelt, ungebetene Gäste aus dem Backstage schmeißt, die Kohlen eintreibt und im besten Fall noch die T-Shirts an die Merch-Bude hängt.

Groupies sind immer noch tot—Ist aber egal

Ich bleibe bei meinem Statement: die Groupiekultur ist tot. Das heißt aber nicht, dass versierte Künstler es nicht trotzdem gebacken kriegen, zwischen Auftritt und Aftershow hin und wieder mal zum Stich zu kommen. Ich habe in Amerika Djs erlebt, die vor jedem ihrer Tourstops in einen Pool an Facebook-Bekanntschaften gegriffen haben, um ihr miefiges Nightliner-Bett in einen Darkroom zu verwandeln. Wir sprechen hier von Typen, die ihren Tourmanager, das arme Schwein, zum Organisieren ihrer One-Night-Stands abgestellt haben. „Yo, manager! Larissa is coming in tomorrow around 8… Can I get the backlounge of the bus?“ „No, no, no, our merch-girl already invited her guy with the hat for tomorrow night.“ „Dude, but it's super important cause Shawna is coming in earlier, and then I gotta meet Olivia in between. Damn, I have so many girlfriends.“ Groupies sind tot, das sind jetzt alles girlfriends.

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Die Sache mit den Drogen

Als ich das erste Mal sah, wie ein Teller mit drei Bahnen Speed durch die Reihe ging, war ich 19 und in meiner dörflichen Naivität so fern von Rock'n'Roll wie man nur sein konnte. Jahre später war es dann kein Teller mehr, sondern ein Macbook, und es waren nicht drei Bahnen, sondern gleich ein ganzer verdammter Haufen. Auch wenn ich mich bis heute ehrfürchtig aus dem Drogenzirkus raushalte, um mich ganz meinem Laster SCHNAPS zu widmen, weckt der Anblick von komplett Zugezogenen längst keine nervösen Zuckungen mehr in mir. Wenn du also irgendwann mal tierisch Bock auf Drogen haben solltest, aber nicht weißt, wo du anfangen sollst oder wie du das bezahlen sollst, ist das Musikbusiness tatsächlich ein guter Anlaufpunkt. Es wird sogar Veranstalter geben, die versuchen werden, dich statt mit der vereinbarten Kohle mit Drogen zu bezahlen. Aber das gehört vor allen Dingen zu den Schrecken der ersten Geschäftsjahre. Sorgen musst du dich trotzdem nicht, auch später wird sich in Clubs und auf Festivals gleichermaßen immer jemand im Umkreis von 10 Metern finden, der dich auf Wunsch oder ungefragt auf einen Griff in seine Hausapotheke einlädt.

Jägermeister-Brunnen und Whirlpool-Exzesse

Desto größer die Festivals werden, auf denen du spielst, desto größer wird auch der Luxus, der dich hinter den Kulissen erwartet. Du musst nicht mal einer der fünf Headliner sein, um die Vorzüge eines bemerkenswert gut organisierten Open Airs zu genießen. Vom nie versiegenden Kräuterlikör-Zapfhahn bis zum beheizten Whirlpool und darüber hinaus ist inzwischen einiges möglich. Wenn du richtiges Glück hast, geben sich in den ewigen Jagdgründen hinter der Mainstage gerade ein Masseur, eine Frisörin und ein Stylist die Klinke in die Hand, die nur darauf warten, deinen verkaterten, ausgelaugten Rest von einem Körper zwischen Soundcheck und Stagetime noch mal einer Runderneuerung zu unterziehen. Richtig hirnlos wird es, wenn ein Vertreter einer aufstrebenden oder längst vor Geld überschäumenden Modemarke im Backstage steht und Hosen oder Jacken gegen Tweets eintauscht. Alles ist machbar, für ein kleines „geil! endlich neue bühnenhose gefunden – danke, @modemarkeXYZ #jeans #swag“ Halte dich bitte trotzdem nicht zu lange bei den Getränke-Promo-Damen auf! Es wirft kein gutes Licht auf dich und deine Band, wenn Boys Noize und die Bloody Betroots längst ins Hotel geshuttled wurden, während du noch mit billigen Promo-Giveaways behangen und verschwitzt vor dem Jägermeisterstand kniest und nach dem zwölften Kurzen bettelst.

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Freu dich auf all deine alten Helden

Das Musikbusiness ist ein winziger Sumpf, bei dem irgendwann irgendwo alle Flüsse zusammen laufen. Nachdem du dich ein paar Jahre durch das Dickicht des Undergrounds gekämpft hast und endlich auch mal auf fancy Partys und geheime Releaseshows eingeladen wirst, wird es dir immer häufiger passieren, dass du auf dem Herrenklo plötzlich auf musikalische Helden deiner Jugend stößt, an der Bar den Lieblingssongwriter deiner Mutter anrempelst oder dir beim Catering einen Tisch mit den Typen teilst, deren Platte du gestern noch rauf und runter gehört hast. Denk trotzdem immer dran, dich nicht völlig zum Kasper zu machen, denn aus ungeklärten Gründen schwimmst du jetzt in der selben Suppe und solltest versuchen, zumindest halbwegs auf Augenmaß zu bleiben. Nach einer Weile wird dann der Groschen der Entzauberung fallen: Die meisten Typen, die du dir mit 15 aus dem Musikexpress ausgeschnitten und an die Wand geklebt hast, sind in ihrem natürlichem Umfeld zwischen Tourbus und VIP-Bereich genauso langweilig wie alle anderen auch. Schlimm wird es, wenn du feststellen musst, dass dein großes Rap-Idol ein echtes Arschloch sein kann oder dein unantastbares Gitarristen-Vorbild im Backstage Ausländerwitze reißt.

Ich habe einen Nachwuchs-Rapper kennengelernt, der bis heute nicht darüber hinweggekommen ist, dass ihm T-Pain nach der Show den Handschlag verwehrt und die Freundin ausgespannt hat. Hin und wieder wirst du aber auf echte Goldstücke treffen. In jenen seltenen Fällen darfst du dir dann sogar erlauben, den Fanboy in dir zu entfesseln und den Sänger von Taking Back Sunday nach einem bescheuerten Foto fragen.

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Zuhause behältst du all die Geschichten von Gold und Ruhm allerdings lieber für dich. Keiner deiner Bürojob-Freunde möchte unentwegt von deinen glorreichen Erlebnissen auf Tour hören und den wirklich abgefahrenen Scheiß halten sowieso alle für übertrieben oder zusammengesponnen. In diesen Fällen bietet es sich an, die Schmuddelgeschichten aus der kalten Anfangszeit auszugraben und von unbezogenen Betten, unbeheizten Backstages und kaltem Curryhühnchen zu berichten. Wenn du aber im Hochsommer in einem glasklaren Hotel-Pool schwimmst und an einem Caipirinha zutschst, nachdem du dich auf einer viel zu großen Festivalbühne ausgetobt hast, hol tief Luft und danke den mysteriösen Umständen, die dich in diesen irren Job getrieben haben.

Einmal unter die Räder des Tour-Alltags gekommen, läufst du schnell Gefahr, den 16-Jährigen in dir zu vergessen, der vor Freude an die Decke gegangen wäre, wenn er sich einen Bierkasten mit Bloc Party hätte teilen dürfen oder von einer Gruppe aufgeregter Teenager nach einem Foto gefragt worden wäre. Also nimm dir die Zeit und merk dir diese wahnwitzigen Momente, bevor du wieder an Fremdwörter wie Zukunftsabsicherung oder Altersvorsorge denkst. Bestell dir einfach noch einen Caipirinha auf Kosten der Merchandise-Kasse und freu dich auf die Aftershowparty am Abend.

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