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Der Heldenplatz hat seinem Namen gestern alle Ehre gemacht

Was gestern am Heldenplatz passiert ist, gibt Hoffnung.

Foto: Sebastian Rossböck

Klagenfurt hat 95.450 Einwohner. Stand 2013. Gestern waren am Heldenplatz in Wien über 100.000 Menschen. Über 100.000 Menschen, die sich versammelt haben, um ein Zeichen zu setzen—ein Zeichen für Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, weil dort Krieg herrscht. Als sie gestern in Wien Sirenen getestet haben, war mein erster Gedanke „Wie kann man Sirenen testen, wenn Menschen hier sind, für die das etwas anderes als ein Test bedeutet?“. Sirenen sind für Österreicher nichts beeindruckendes. Zumindest nicht mehr.

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Aber ich verbinde Sirenen auch damit, dass etwas passiert ist. Als Warnsignal. Der Tag, an dem Wien Position bezogen hat, wurde also mit einem Sound eingeleitet, der sagt, dass in der nächsten Sekunde alles anders sein könnte. Die Situtation am Heldenplatz gestern hat mir auch das Gefühl gegeben, dass Wien plötzlich anders ist. Ja eh, „Wien ist anders“, aber gestern wirklich. Derzeit hat man eher das Gefühl, dass nichts mehr gut wird, dass die Wahlen ein Ergebnis haben könnten, das uns sprachlos machen könnte und dass wir den Menschen, die nach Österreich kommen, nicht schaffen ausreichend zur Seite stehen.

VICE: Dieser Samstag war ein Triumph für Menschlichkeit.

Aber genau diese Angst war gestern kurz stumm. Sie hat sich in etwas ganz anderes verwandelt: Empathie. Natürlich (warum muss ich das überhaupt schreiben?) nicht zu 100 Prozent. Es gab diese Arschlöcher, die während der Schweigeminute herumgeschrien haben. Neben mir stand ein Paar, das währenddessen ihr Abendessen Revue passieren ließ. Aber gut, mir war nicht danach sie schief anzusehen, also habe ich einfach mein Schweigen durchgezogen. Ich glaube auch, dass gestern eines ganz klar war: Nicht alle waren hier, um ein Solidaritätsbekenntnis zu machen. Bei dem Line Up kann man ihnen das auch schwer verübeln. Die Leute, mit denen ich dort war, und ich haben uns schon gefragt, wie viele Menschen da sein würden, wenn keine Toten Hosen, kein Heinz Fischer und keine Conchita Wurst auf der Bühne gestanden wären. Geht die Medizin mit Honig leichter runter?

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Wir haben uns auch gefragt, ob dieser Gedanke eine große Rolle spielt. Schließlich haben um die 100.000 Menschen gehört, dass wir unsere schöne Stadt nicht an die FPÖ verschenken sollen. Danke dafür, Campino. Gestern sind viele treffende Sätze gefallen. Auch Heinz Fischer–was mich ein bisschen überrascht hat–hat endlich ein ganz klares Statement abgegeben. Er hat sich bei den Menschen bedankt, die sich in den letzten Wochen für die Flüchtlinge eingesetzt haben. Als er „Ich bin stolz auf euch“ sagte, hat kein Satz mehr gefehlt, den ich mir von ihm gewünscht habe.

Gestern gab es einfach keinen Platz für Unmenschlichkeit. Gestern konnte man wirklich stolz sein, ein in Wien lebender Mensch zu sein. Es war schlicht und einfach zum Weinen schön, wie viele Menschen geschwiegen, gesungen und teilgenommen haben. Um mal kurz einen Abstecher zum musikalischen Aspekt zu machen: Zucchero musste man nicht ertragen—so wie ich es eigentlich dachte—sondern er hat wie Elbow geklungen. Bei der letzten Nummer von Conchita Wurst habe ich endgültige akzeptiert, dass ich Pop mag. Bei „Wünsch dir was“ von den Toten Hosen sind Gänse auf meiner Haut spaziert. Ich glaube der Text ist ein perfekter Rorschach-Test für die Situation in der wir uns befinden. Wenn du ein Optimist bist, ist es ein Song der all das feiert was gut und schön ist, passend zu einem Konzert zu den 100.000 Leute gehen um ihre Solidarität zu bekunden.

Am verkaterten Sonntag klingen die Lyrics aber auch wie ein zynischer Wunschtraum. Die Frage, ob es Aktivismus ist, zu einem Konzert zu gehen, hat sich gestern beantwortet: Ja, verdammt, ja. Natürlich hat sich jeder ein bisschen auf die Schulter geklopft—nichts ist einfacher als bei einem Konzert seine Solitdarität zu bekunden und nicht Tag für Tag am Haupt- und Westbahnhof zu stehen. Aber das ist OK. Sehr OK.

Isabella auf Twitter: @isaykah

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