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Noisey Blog

„Voices For Refugees“ war auch musikalisch großartig

Lasst uns mal über die Musik von gestern reden.

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Da wir unseren Emotionen von gestern hier schon freien Lauf gelassen haben, gibt es jetzt ein hartes Konzert-Review ohne soziopolitisches Kommentar. Oder fast ohne soziopolitischem Kommentar. Eines vorab: Auch wenn ich geschrieben habe, dass eventuell nicht so viele Menschen am Heldenplatz gewesen wären, wenn das Line Up nicht so ködernd gewesen wäre: Wäre diese Veranstaltung am Heldenplatz nicht ganz klar für Flüchtlinge gestanden, wäre ich nicht hingegangen. Die Toten Hosen? Haben damals in der Schule nur die gehört, die nicht wussten, dass hinter Punk Rock, der zehn kleine Jägermeister besingt, auch echter Punk existiert. Das ist kein Urteil und vielleicht waren auf meiner Schule lediglich komische Menschen. Die Band ist menschlich auch top, subjektiv aber halt nicht meins. Das darf so sein. Gleichzeitig waren die Toten Hosen neben den Ärzten eine der ersten Bands, die für viele das Tor zu eben diesem Punk geöffnet haben. Sie wurden auf MTV rauf und runter gespielt und wenn jemand die Hosen mochte, konnte man davon ausgehen, dass er eine politische Meinug hat, die man vertreten kann.

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Für mich sind die Toten Hosen trotzdem nomen est omen (was meinen Musikgeschmack angeht). Deshalb habe ich den Fuzz auch nur aus beruflicher Perspektive verstehen können, auf privater: no fucking way. Aber ich sollte das Konzert-Revue wohl dem Line Up getreu—also nach der Reihe—beschreiben. Der einzige Act, den ich an dem Abend nicht verpassen wollte, war Soap and Skin. Wie viel Talent passt in einen Menschen? Bei „Mawal Jamar“ habe ich mich fast angepisst, weil ich so dringend pissen musste, aber zum Glück bin ich ein Mädchen und kann meine Körperflüssigkeiten auch in Form von Tränen loswerden. Ich habe also aus den Augen gepisst, weil Soap and Skin indiskutabel großartig ist. Sogar meine Schwester, die Soap and Skin aufgrund „Alter, die ist so Drama. Sowas hört man sich nur an, damit es einem schlecht geht.“ auf die Depression nicht ausstehen kann, war plötzlich Fan.

Sie hätte bei „Mawal Jamar“ auch über Muschisaft singen können, weil ich die Sprache nicht kenne, aber trotzdem war es ein paar Minuten Glück, Happiness und ganz viel Amore. Apropos „Amore“: Wer Wanda neben dem Namen „Bilderbuch“ vermisst hat: Sie spielen für den gleichen Zweck in München. Nach Soap and Skin hat Bundes-Heinzi eine schöne Rede gehalten—Truthbombs inlusive—danach wurde geschwiegen und dann kam nicht Polly sondern Conchita (solltet ihr euch über meine schlechten und nicht mal halblustigen Scherze wundern: Ich habe nicht mehr als drei Stunden geschlafen). Conchita habe ich bisher für das Zeichen gefeiert, das sie und die Menschen, die damals für sie angerufen haben, beim Eurovision Song Contest gesetzt hat.

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Gestern habe ich gemerkt, dass sie scheiß guten Pop macht. Entweder werde ich alt und fange jetzt an Pop zu mögen oder Conchita ist zu Recht hoch gefeiert. Ich berufe mich auf letzteres, weil ich nicht die Einzige bin, die mit begeisterten Augen auf die Bühne geschaut hat. Neben mir stand ein Vater, der seinen Sohn auf den Schultern hatte. Das Kind war ungefähr sechs Jahre alt und als Conchita am Ende ihres Konzertes geredet hat, meinte es zu seinem Papa: „Sie redet nur noch. Ich mag es lieber, wenn sie singt“.

Ein bisschen habe ich mich vor dem Zucchero und Conchita Wurst-Segment des Abends gefürchtet, das sich zwischen Soap&Skin und Bilderbuch gezwängt hat. Aber ja, ich genieße es immer wenn mir meine Engstirnigkeit vor Augen geführt und wiederlegt wird. Zucchero war verdammt großartig. Wenn du mir gesagt hättest, dass da Elbow auf der Bühne sind, hätte ich das Ganze auch ohne Augen-öffnendes Erlebnis genießen können. Während ich das schreibe, höre ich „The Best of Zucchero“. Das hätte ich gestern nicht mal für Geld gemacht. Mehrzweck-Veranstaltung oder so.

Bei Bilderbuch war ich kurz beim U-Bahn-Aufgang, weil ich einen Freund getroffen habe, der ursprünglich aus Istanbul ist, aber in Wien gerade seinen Master fertig macht. Vorab habe ich ihn gefragt ob er zu Voices for Refugees geht, er schrieb „I was there for an hour or so, but I wouldn´t mind going back with my Bilderbuch-T-Shirt on“. Das war ein Scherz, den ich ihm kurz geglaubt habe, aber de facto hatte er kein Bilderbuch-Shirt. Wir haben dann von draußen mitgesungen, er mehr als ich und dass, obwohl wir sonst nur auf Englisch kommunizieren.

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Was soll man zu Bilderbuch sagen? Bilderbuch waren der gute Act des Abends, der mich am wenigsten überrascht hat. Bilderbuch sind halt immer gut, bei der Band kann man auch mal ein paar Minuten verpassen, weil man weiß, dass sie ihren Shit großartig machen. Ich glaube, mehr kann man zu Bilderbuch nicht sagen. War gut, war wichtig, war bilderbuchig.

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Nach unserem musikalischen Lieblings-Musikexport kam dann die Band, die am meisten Stellung bezogen hat: Die Toten Hosen. Wie gesagt, egaler könnte mir keine Band sein, aber mir wurde einmal mehr klar, dass Musik auch eine andere Ebene haben kann, als „Gfallt ma“. Nämlich die Ebene der Meinung und der Message, die man gemeinsam senden möchte. Campino hat diesbezüglich volle Arbeit geleistet. Erstens hat die Band „Schrei nach Liebe“ gecovert—den Song von den Ärzten, der wieder in die Charts geholt wurde, weil es wenige andere Lieder gibt, die so deutlich etwas über die derzeitige Situation sagen können. Ich weiß nicht, wie viele Menschen von der „Aktion Arschloch“ wussten und gecheckt haben, warum der Song gespielt wurde, aber der Song war Message genug. Hoffe und glaube ich. Dass Campino den Namen von „Karl Heinz Christian Strache“ vergessen hat, ist by the way schön. Das zeigt, dass er nicht in allen Köpfen ist und noch lange kein Name ist, den auch Menschen, die politisch aktiv und die Nachbarn von Österreich sind, kennen. Scheißen wir doch einfach alle auf Karl Heinz Christian.

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Zurück zur Musik: Die Lead-Gitarre bei den Hosen war etwas zu leise. Ja, „Wünsch dir was“ war der erste Song und wenn man Erfahrung mit Konzerten hat, kennt man diese Phänomen, dass du einen Soundcheck machst, nur um ein paar Stunden später festzustellen, dass alles umsonst war und nichts so klingt wie es soll. Deshalb bleibt der Tontechniker auch am Mischpult, um die ganzen Feinabstimmungen, die er schon beim Soundcheck gemacht hat, noch einmal zu tätigen. Aber bei aller Liebe lieber Soundmensch, diese Dur-Melodie der Lead-Gitarre ist leider unter gegangen. (Zumindest dort wo ich war, hundert Meter weit entfernt von dem Platz, wo du gemischt hast). Aber die Leute um mich haben getanzt und wir haben alle mitgesungen, also hast du deinen Job gut gemacht.

Gestern waren wir in einer Kampfzone. Einer Kampfzone, die Toten Hosen als Headliner ein schönes Sinnbild, die Leute unglaublich und die Emotionen kaum steigerbar. Die Hosen waren kein Sinnbild für mein Nomen est omen, sondern dafür, dass sie eine Meinung haben und dazu stehen. Das was gestern am Heldenplatz passiert ist, waren keine Konzerte, sondern ein lautes Statement. Dass ich mich über eine zu leise Lead-Gitarre aufrege oder sage, dass die Stagetime von Soap and Skin zu kurz war, sind Sachen, die man normalerweise kritisiert, aber darf man das bei einem Benefiz-Konzert? Ich habe keinen Eintritt gezahlt, trotzdem Bands gesehen, und ins Dixie-Klo gepisst. Man darf sich nicht aufregen. Weil es darum geht, ein Zeichen zu setzen und dass individuelle Menschen zusammenhalten. Für eine wichtige Sache.

Übrigens: Die Infrastruktur vom Heldenplatz war für die überwältigende Menschenmasse sehr gut. Einer meiner Freunde hatte Platzangst, wir sind deshalb auch kurz vom Heldenplatz weggegangen. Irgendwann hat er gesagt: „Ach, scheiß drauf. Gehen wir zurück. Ich will Teil von diesem schönen Moment sein.“

Isabella auf Twitter: @isaykah

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