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„Mein Gott, ist das bescheuert“—Uwe Boll analysiert deutschsprachige Musikvideos

Wer könnte offenherziger über die filmischen Qualitäten von Musikvideos sprechen als der umstrittene Herr Uwe Boll himself?

Es gibt keinen deutschen Regisseur, der umstrittener (eher: verhasster) ist als Uwe Boll. Der 50-Jährige hat einfach zu oft Videospiele nicht so verfilmt, wie die Gamer es gerne hätten. Und auch sein Umgang mit verdammt schwierigen Themen wie Auschwitz oder dem Foltermord der JVA-Siegburg waren weit weniger feinfühlig, als es viele gefordert hätten. Dass er irgendwann fünf Journalisten, die seine Filme verrissen hatten, erfolgreich aufforderte, doch mal öffentlich gegen ihn im Boxring zu kämpfen und so all ihre Wut körperlich an ihm auszulassen, hat ihm auch nicht gerade weitere Symphatie eingebracht. Dafür hat der boxerfahrene Boll dann doch zu hart zugeschlagen.

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Und trotzdem: Boll-Fans lieben ihn nicht nur für seine zahlreichen, oft trashigen und vor allem harten Filme, sondern eben auch für seine „Ich scheiß auf alles außer Geld“-Attitüde. Politische Korrektheit kennt der gebürtige Wermelskirchener und jetzt im kanadischen Vancouver Lebende ebenso wenig wie verbale Zurückhaltung. Ein perfekter Gesprächspartner also, um mal über ein paar Musikvideos deutschsprachiger Künstler zu reden. Denn wer kann offenherziger über die filmischen Qualitäten der Musikvideos von Bushido, K.I.Z., Yung Hurn, Kraftklub und Bilderbuch sprechen, als Herr Uwe Boll himself? Der immerhin auch das Video zu Nightwishs ersten großen Hit „Wish I Had an Angel“ gedreht hat? Eben.

Bushido x Shindy—„Brot brechen“

Uwe Boll: Bushido (lacht)…Das ist das dämlichste Video von allen. Filmisch gesehen sind die ganzen Bushido-Dinger von der Gestaltung her nie schlecht gemacht. Aber die versuchen natürlich immer viel intelligenter rüber zu kommen, als sie eigentlich sind. Der Anfang kommt noch ganz gut rüber—im Sinne, dass seine Moslembrüder keine richtigen Moslems sind oder so—, aber wenn es dann weitergeht, schwadroniert er mit diesem Shindy nur wieder darüber rum, dass er besser ist. Das hat dann auch nichts mehr mit Religion zu tun, auch nicht mit Terrorismus, sondern nur noch mit „Ich bin der wirkliche Gangster-Rapper.“ Ich finde es einfach nur peinlich.

Gerade die Waffen und die bewaffneten Männer stehen schon im krassen Kontrast zum klassischen Ballsaal.
Ich weiß genau, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist. „Wir können das Ding billig kriegen, ist doch geil so ein Ballsaal.“ Ich glaube nicht, dass da eine tiefere Denke dahintersteckt, sondern nur darauf geachtet wurde, was gut aussieht. Dramaturgisch macht das eigentlich auch überhaupt keinen Sinn. Das ist das Absurde: Er hat oft ganz gute Ansätze, aber ihm geht es doch nur ums Bashen. Der hat für mich nie so die Kurve gekriegt.

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Das dazugehörige Album heißt auch CLA$$IC, was vielleicht den Ballsaal erklärt.
Ja, aber auch in anderen Videos geht es immer noch um Sportkarren. Das sind so Schwanzvergleiche, da kommt er irgendwie nicht mehr raus. So ein Shindy ist ja dann dasselbe.

Wie findest du den Spiegelungseffekt?
War eben eine Spielerei. (liest vor) „Directed by Daniel S___“—da versucht er wieder eine Botschaft zu vermitteln mit dem letzten Bild… Als ich das Video gesehen habe, war ich relativ verärgert. Wieder eine vertane Chance, etwas Interessantes rüberzubringen, wo noch eine zweite Ebene drin ist. Das sieht man ja zum Beispiel bei „Hurra, die Welt geht unter“.

K.I.Z.—„Hurra die Welt geht unter“

Uwe Boll: Das Lied kannte ich schon, da hat mir mein Bruder mal den Link geschickt. Das ist ja eine gewisse Zukunftsperspektive, bei der man sich überlegen muss, wie weit das eigentlich von der Realität entfernt ist. Das kommt den Fakten, in denen wir uns gerade befinden, sehr nah: Kriegsgefahr und gleichzeitige globale Katastrophe in Hinblick auf Klimaerwärmung. So ein bisschen sehe ich da auch Parallelen zu meiner Rampage-Serie. Die hier haben eine Sozialutopie, in der sie positiv zusammenleben. Das ist ja kein Mad Max, wo sich alle gegenseitig umbringen. Das ist zwar anscheinend passiert, aber sie kommen wieder gut miteinander klar. Jetzt herrscht Sozialismus. Das ist ein Gegenpol zu den zynischen Statements, die ich in Rampage vermittele—dass wir uns eben doch gegenseitig fertigmachen und nichts übrig bleibt. Bis dahin haben wir aber alle gut gegessen. Dass der Meeresspiegel tatsächlich um fünf oder sechs Meter steigt, begreifen wir eben auch erst, wenn Holland weggeflutet wurde.

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So ein bisschen erinnert das Setting an Waterworld.
Stimmt, aber da war ja auch Überlebenskampf gegen andere. Also auch nichts Positives, sondern nur Gewalt. Das ist hier so interessant—sie machen vor, dass es nach dem Untergang für die Überlebenden auch positiv weitergehen kann. Und sie haben noch in dem WDR-Tonstudio oder so gedreht, wo es noch aussieht, wie in den Siebzigern (lacht).

Gefällt dir der Wechsel zwischen dem Sänger im Bunker und den Jungs auf dem Boot gut?
Finde ich schon cool. Ist das wirklich der Junge, der auch singt? Der sieht nicht so aus, als ob er so eine Stimme hat.

Ja, das ist er.
Das passt auch musikalisch, das ist auf jedem Fall das beste Video, auch von der Thematik. Das hat mich am meisten angesprochen, auch weil es sehr politisch ist… Verbrenn das Geld und so. Die Idee, dass Geld alles kaufen kann, wäre in so einem Endzeitszenario tatsächlich sinnlos. Das ist eine interessante Nummer. Nur Frauen sind irgendwie nicht da.

Stimmt, die haben sie vergessen.
(lacht) Weiß ich auch nicht, ob sie sich nicht mehr fortpflanzen und dann wirklich die letzte Generation abziehen wollen.

Kraftklub—„Schüsse in die Luft“

Uwe Boll: …Wo ist denn der lange Tunnel?

In Chemnitz, am Hauptbahnhof. Da kommen die auch her.
Der sieht nämlich wirklich lang aus.

Ist die Frage, ob sie das wirklich in einem Oneshot geschafft haben?
Nein, da sind ja auch Schnitte mittendrin. Wenn man als Sänger ganz im Shot ist, ist das immer schwer, dass es nicht cheesy aussieht, wenn man so läuft.

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Wie findest du das Konzept, den Songtext visuell wiederzuspiegeln?
Das finde ich nicht schlecht, weil es auch so eine gewalttätige Atmosphäre widerspiegelt. Chemnitz ist ja für Hooligans und damit verbundenen Ausländerhass durch Dämlichkeit und Nichtwissen bekannt… Joah, für sich nicht schlecht, aber man merkt, dass die ein kleines Budget zur Verfügung hatten und das Beste draus gemacht haben. Das Lied hätten auch fast die Ärzte machen können—so sozialkritisch. Nicht verkehrt, aber auch nicht der Reißer.

Witzig, dass du von einem kleinen Budget ausgehst. Die sind auf einem Major und werden schon ordentlich Unterstützung bekommen.
Das kann ja sein, aber trotzdem hat das sicher nicht mehr als 15.000 Euro gekostet. Das war locker innerhalb von sechs, sieben Stunden gedreht.

Bilderbuch—„OM“

Uwe Boll: So jetzt Bilderbuch (lacht). Das war das erste Video, dass ich mir angesehen habe. Der muss das ja satirisch meinen (lacht). Man denkt: „Mein Gott, ist das bescheuert.“ So alles vor dem Red-Screen und nichts ist richtig professionell. Er der Yogi-Guy, der aber nicht aussieht, als ob er wirklich Yoga kann und dann mit diesen New-Age-Gedanken. Ich weiß nicht, ob er wirklich davon überzeugt ist. Aber von der Art, wie es gemacht ist—dieses Pop-Art-mäßige—ist es schon das aufwändigste Video. Hat mir visuell ganz gut gefallen. Es ist ein bisschen lustig und relativ absurd, aber es hat Energie und Power.

Bei dem Video fällt schon auf, dass relativ lange draufgehalten wird, was eigentlich für Musikvideos untypisch ist.
Ja, man hält lange drauf, es gibt Schärfe-Verlagerungen. Das ist irgendwo alles retro. Man hat den Eindruck, dass es eher so Neunziger Jahre ist. Auch von der Kleidung , die Zeit steht still bei ihm. Aber das ist eine Sache, die hängengeblieben sind. Über die habe ich noch weiter nachgedacht. Warum und wie die das so gemacht haben und so.

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