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Rudis Brille: Die Tracht gehört nicht in den Club

Die Wiener WIesn ist ein Zeichen der Re-Provinzialisierung der Stadt. Das brauchen wir nicht im Club.

Foto: Flickr | Roman Boed | CC-BY 2.0

Der Rekordsommer—was die Temperaturen anlangt—ist mittlerweile wirklich vorbei. Ich behaupte: Er war langweilig, er hat uns musikalisch wie clubtechnisch wenig Aufschlussreiches gezeigt—außer der Tatsache, dass die Leute in Wien Outdoorpartys vermissen wie einen Bissen Brot. Eine typische Mangelerscheinung. Es fehlte ja sogar DER Sommerhit, noch immer suchen Task Forces nach ihm (hier gibt’s noch kein Gender, die Hittn ist was anderes).

Was es gab war einerseits der sehr erfolgreiche 5 Uhr Tee in der Pratersauna, der sonntags die Massen an den Pool lockte, andererseits Spontantechno, eine Veranstaltungsreihe, die drei Tage vorher zum freien Ausgehen aufrief und schnell viele Zusagen auf Facebook sammelte. Doch zumeist mangelte es dann an echt „neuen“ Locations. Es ist und bleibt schwierig in Wien, Platz für Events zu finden, ohne dabei „den Anrainer“ zu stören, jene dunkle Gestalt, die so fürchterlich viel Macht hat, sich aber schon durch leises Zirpen den Schlaf rauben lässt. Auch das Electroboot versuchte diesen Sommer nochmals sein Glück, doch ging das Unternehmen nicht wirklich so auf, wie es sich die Veranstalter erhofft hatten. Sieben Stunden mit anderen Betrunkenen auf einem Boot zu verbringen, mag für viele nicht der Traum ihrer durchtanzten Nächte zu sein, der den hohen Eintrittspreis wert war. Schade, denn Bootsparties gelten weltweit immer noch als Attraktion, aber Wien ist eben anders. Auch was die Anzahl der zu mietenden Boote und den Willen der teils Wucherpreise verlangenden Bootsbetreiber betrifft.

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Eine zweite, bereits angesprochene Entwicklung war jene, dass sich Leute unter der Woche kaum noch in Clubs locken ließen, es sei denn es ist Outdoor oder HipHop. Überhaupt lässt sich bei der „nachkommenden“ Generation eine stark steigenden Hinwendung zu HipHop, Drum'n'Bass und Grime erkennen, während der Zuzug zur House- und Techno-Fraktion eher stagniert. Das mag daran liegen, dass kaum Neuentwicklungen im Sound zu erkennen waren und sind. Klar, die Produktionen klingen besser, weil die Produktionsprogramme es zulassen, doch „neu“ im Sinne von spannend ist immer weniger. Das mag auch der Grund sein, warum die Retrokeule erneut kräftig zuschlägt und Neupressungen, Re-Edits und sonstiges Aufkochen von Altbewährtem gerade eine Renaissance erleben. Gepaart mit dem Wunsch wieder so produzieren wie einst Opa es in in den Neunzigern tat, analog und staubig, mit Altersnoten im Sound, wie beim Wein, der schon 5 cm Sediment im Glas aufgetürmt hat.

Dazu gibt es natürlich auch hier in Wien den dringenden Wunsch vieler DJs (ich behaupte provokant zumeist jener, die innerhalb des Bezirkes drehen gehen), wieder mit Vinyl aufzulegen und sich den technischen Neuerungen zu widersetzen. Ich als Veranstalter stellte hingegen diesen Sommer erstaunt fest, dass kein einziger DJ, den ich in den diversen Clubs zu sehen bekam (ausser Sven Väth und Ricardo Villalobos wahrscheinlich, da war ich nicht) noch Vinyl mitschleppte, wohl alle aus demselben Grund.

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Und so gab und gibt es in diesen Tagen einerseits die eben stark fortschreitende musikalische Grüppchen- und Nischenbildung, andererseits den Wunsch nach etwas Neuem abseits der Clubszene. Und genau hier meine ich ein Phänomen erkannt zu haben, dass vor etwa zwei, drei Jahren begann und sich nun wie ein Maulwurf seinen Weg durch den Untergrund gräbt: Die Re-Provinzialisierung der Stadt, auch das Bierzelt-Phänomen genannt.
Als ich in den Spätachzigern nach Wien kam, bestand in der staubigen Stadt am Rande Europas der unbändige Wille, Weltstadt zu werden. Es passierte seither viel. Ich behaupte mal, nur in Berlin passierte mehr, was Stadtentwicklung und Erneuerung, Gastronomievebesserung und auch Ausbau der Kunst- und Kulturszene betraf. Offensichtlich haben aber viele nun genug davon und wollen zurück zu den Wurzeln. Bloß zu welchen?

Erst heuer haben mir einige Bekannte erklärt, als ich sie zu diversen Parties eingeladen habe, sie könnten nicht kommen, weil genau da sei der Neustifter Kirtag, die anderen warfen mir just dasselbe Argument herüber, bloß war es da die „Brunner Wiesn“, und in diesen Tagen eröffnet nun mitten am schicken Praterstern die Wiener Wiesn, ein Ableger des Münchner Oktoberfests samt Ehrenschutz der Stadt, immens hohen Eintrittsgeldern, der ganzen Palette an Diarrhoe-Musik von „Ein Prosit“ bis „Atemlos“ UND der neuen Trendkleidung: Tracht.

Lest hier: VICE auf dem Neustifter Kirtag

Nun besteht selbstverständlich der Grundsatz, dass jeder tragen darf was er will, ohne dabei in die Mühlen der Geschmackspolizei zu geraten. Bemerkenswert ist aber schon, wenn im Herbst neuerdings Lederhosen und Dirndl spätnachts unsere Clubs bevölkern, zumeist mit stark alkoholisiertem Inhalt und dann zu Techno, House und Disco tanzen. Dort wo sie ursprünglich herkamen herrscht ja strenges Fortschrittsverbot, es darf nur „Wohlfühlmusik“ gespielt werden, also Musik, bei dem mir spaßfreiten Jugendopfer schnell unwohl wird. Es darf unter dem Schutzmantel der Lustigkeit („is ja eh gmiatlich“) gesoffen werden, was das Zeug hält, um es anschließend wieder loszuwerden. Und es wird nicht mehr lange dauern, da werden spitzfindige Veranstalter die Kombination Techno und Lederhosen zu einem Partykonzept entwickelt haben, wobei das Konzept ohnehin überall dasselbe ist. Man mache sich dicht, nur in anderer Kluft.

Ich gehe natürlich nicht soweit, jeden Träger von Tracht in irgendwelche rechten Ecken zu stellen. Doch ist es ein Phänomen, das zu unserer Zeit passt: Wenn schon so vieles über uns hereinbricht (Flüchtlinge) und noch hereinbrechen wird (diverse Wahlen), dann müssen wir näher zusammenrücken, uns definieren via jener Kleidung, die einst Arbeitskleidung der Landbevölkerung war, auch Wiedererkennungsmarke der Berufsstände und noch vieles andere mehr. In Wien, das kann man gerne nachlesen, spielte die Tracht aber nie eine grosse Rolle. Zu bürgerlich, zu feudal, zuviel Adel einst. Jetzt jedoch erlebt diese Art von Kleidung eine Renaissance, die an die 20er und 30er Jahre erinnert. Mittlerweile gehört es zum guten Ton, eine Krachlederne zu besitzen—auch wenn sie nur 40 Euro gekostet hat—und sich im Spätsommer und Herbst zu den aus dem Boden schießenden Bierzeltevents zu begeben. Was sich danach ergibt, steht in den Sternen. Auch jenen im Kopf.

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Warum imitieren wir erst jetzt das Oktoberfest, wenn es das Ding doch schon ewig gibt, warum wollen wir jetzt sein wie die Münchner, wo wir doch stets und immer auf die Unterschiede gepocht haben? Ist es Teil einer beginnenden neokonservativen Entwicklung, die auf das „Wir-Gefühl“ und die „Gemütlichkeit“ bauen, gepaart mit den alten neuen Uniformen der Großväter? Erfand man dafür die „Wiener Tracht“ , die nun viele ausgraben, und die es so in dieser Form doch nie gegeben hat? Und was ist mit den vielen jungen Menschen los, die das auf einmal alle zum Schreien komisch finden und sich im Netz mit Selfies in Tracht überschütten samt hunderten Likes?

Ist dies der Neid der Lederhosen-losen wie mir? Bin ich total spaßbefreit (vielleicht, weil ich es als Kind jahrelang als einzig vorgeschrieben Unterhaltung erleben durfte und deswegen weg wollte), oder darf man laut und leise darüber nachdenken, dass man just jene Symbolik in den Horten des Aufbruchs, also den Clubs, nicht unbedingt haben muss? Darf man es mit Thomas Bernhard halten, dass des Österreichers liebste Tracht die Niedertracht ist? Darf der Selektor Leute in Tracht abweisen (auch nüchtern)? Ich behaupte: JA. Underground Resistance hat nichts mit Alsergrund Resistenz zu tun. Meinetwegen sollen sie die Menschen ihr Gesicht an EINEM Abend im Jahr (z.B. Halloween) entstellen, doch die Bierzeltglückseligkeit passt nicht in die dunklen und hellen Keller dieser Stadt, wo versucht wird, dem Fortschritt auch durch die Musik ein Gesicht zu geben. Wer zu Wiesn geht und dann in den Club, der möge wissen was er tut, der Gegensatz könnte größer nicht sein.

Es mag aber diese Entwicklung in der—oben genannten—musikalischen Langeweile und Leere ihren Ursprung haben. Man sucht stets neue Herausforderungen, und wenn sie uns der Club nicht mehr bieten kann, dann greifen wir eben auf das Alte zurück: Saufen auf einer Holzbank im Bierzelt im Dunst der Schunkellieder. Allerdings gibt es das in London, Paris, Bacelona und New York nicht. Wien rückt also wieder ein Stückchen näher an die Provinz—wo es dereinst herkam—und an München, dort wo das Ding einst herkam. Danke nochmal hiefür an die Isarstadt. Ich würde die Wiener Wiesn gerne wieder an euch zurückschicken und gegen eine Weisswurst mit Honigsenf eintauschen. Doch allzu laut würde ich diesen Wunsch nicht äußern—man würde mich vors Zelt auf die Blutwiese schleppen.

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