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Staubig, aber Digital: Wie Produzenten vom Plattenkisten durchforsten zum Youtube surfen übergegangen sind

Glaub uns, es gibt einen Unterschied.

Foto: Laura Lynn Phtotgraphy

„Der Drang, den Break zu finden, der Drang, diese 12“ zu bekommen, der Drang, herauszufinden, woher das Sample in deinem Lieblings-Rapsong stammt, die Nervosität beim Plattenkaufen und -hören ist so viel stärker, als jeder MP3-Sammler es jemals verstehen kann“—Gaslamp Killer in Fuse TVs Crate Diggers

Früher musstest du zum HipHop produzieren aufstehen und irgendwo hingehen—Plattenläden, Flohmärkte, Kirchenkeller, Plattenbörsen. Eine zerkratzte Platte mitzunehmen, nur weil das Cover dich ansprach, konnte zum nächsten Loop beim Song „T.R.O.Y (They Reminisce Over You)“ führen. Es glich einem Kreuzzug nach Bläser-Stakkatos, Basslinien und James Brown-Drumbreaks. Zwischen Beat-Produzenten der frühen 90ern, wie Q-Tip, Large Professor, Pete Rock oder den Beatnuts, entstanden 20 Jahre anhaltende Freundschaften, nicht durch das gemeinsame Interesse für Basketball oder Quizabende oder durch das College, sondern weil man sich zum Plattenkisten durchforsten traf. Der Akt des Suchens war für den Plattensammler genauso wichtig wie der Fund.

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Aber wie kann man diggen, wenn dein Lieblings-Plattenladen dicht macht? Das Sterben der unabhängigen Plattenläden Mitte der 2000er setzte auch den Produzenten zu. Die alten Rituale wurden dauerhaft unmöglich gemacht; wie kannst du nach Gold graben wenn iTunes die Herrscher über das Vinyl in den vorzeitigen Ruhestand zwingt? Wo ist die Freude am MP3s sammeln? Ein 99 Cent teurer Binärcode in hoher Bitrate sorgt bestimmt für keinen Adrenalinschub.

Der Entdeckerdrang war jedoch stärker als die Limitierung des Marktes. HipHop-Produzenten haben angefangen, sich durch die Schließung der Plattenläden weiterzuentwickeln, denn wenn sich eine Tür schließt, öffnen sich zwei weitere. Die Geburt von YouTube und der umfassende Zugang zu obskurer Musik durch Blogs haben 2005 den Prozess des traditionellen HipHop-Samplings für immer verändert. Die Trennung von „Sammlung“ und „Werkzeugen“ wurde in Gang gesetzt; die Sammlung des Plattensammlers stagnierte, während sich die Online-Werkzeuge zum Austausch von Beats exponentiell verbreiteten. Und mit dem Mangel an Plattenläden wurde die Nachfrage nach Vinyl größer, schreckte aber Produzenten ab, die sich nicht mit einem Sample erpressen ließen, das man im Internet umsonst bekommen konnte.

Wenn man der von Jim Jarmusch aufgestellten 2-von-3-Regel folgt, dann können Dinge gut, schnell oder billig sein. Wenn etwas gut und billig ist, dann wird es nicht unbedingt schnell sein. Wenn etwas gut ist und schnell gemacht wird, wird es teurer sein. MP3s sind schnell und billig, lassen aber die unvergleichliche Klangqualität von Vinyl vermissen. Verfügbarkeit und Einfachheit wurde mit der Zeit wichtiger als das Gefühl von Vinyl und dessen traditionelle Position als Hauptzutat für klassische Rapsongs.

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„Ich habe hauptsächlich mit Vinyl angefangen, da du es anfassen und die Stellen, die du sampeln willst, in der Hand halten und sehen kannst“, sagt Paul White, ein Produzent aus Großbritannien, der sich durch Mitarbeit an den Alben von Danny Brown einen Namen gemacht hat. „Ich habe aber auch mit YouTube, MP3s, Kassetten und allem möglichen gesampelt. Es ist wirklich egal. Zu viel Nachdenken kann die Reinheit eines Gefühls beschädigen. So ist es auch bei der Frage, wo das Sample herstammt. Manchmal verbringst du Ewigkeiten mit dem Versuch, etwas dreckiger zu machen, während eine MP3 von YouTube schon extrem dreckig ist. Du wärst überrascht, wie viel veröffentlichtes Material von YouTube stammt.“

„Wenn du etwas auf Vinyl findest, geht damit ein viel magischeres Gefühl für das Potential einher, als wenn du es im Internet findest“, sagt Quelle Chris, Lo-Fi Loop-Träumer aus Detroit, der Klassiker mit Danny Brown, Roc Marciano, The Alchemist und anderen geschaffen hat. „Als ich angefangen habe, aus dem Internet zu sampeln, dachte ich ehrlich gesagt nicht, dass andere Leute das auch machen. Ich dachte, ich wäre auf eine Art Goldgrube gestoßen.“

Mit dieser Annahme war er nicht allein. Produzenten haben angefangen, weniger Plattenkisten und mehr URLs zu durchforsten. „Ich war nie ein Fan davon, eine Platte, die ich nur zum Sampeln benötigte, für 50 Dollar zu kaufen. Mich nervt es, einen Typen zu bezahlen, der entschieden hat, dass diese seltene, aber im Endeffekt semi-beeindruckende Platte soviel wert ist.“, sagt Blockhead, Produzent von Aesop Rock, Billy Woods und etlichen Instrumental-Alben für Ninja Tune. „Ich finde die Tatsache, gierigen Sammlern Geld zu geben, nicht besonders ansprechend, also suche ich das Zeug online. Das hat es mir ermöglicht, Samples zu finden, die zu hören ich mir sonst nie hätte leisten können. Mein Plattenspieler funktioniert nicht einmal mehr. Die Tatsache, dass ich ihn nicht habe reparieren lassen, spricht Bände darüber, wie viel einfacher und ergiebiger das Durchsuchen von Blogs für mich ist.“

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J-Zone macht bereits seit Mitte der 90er Jahre Beats und nutzt dazu die ungewöhnlichsten Methoden, wie vergessene Schwarzweißfilme von seinem Videorekorder zu sampeln oder das Spielen von Live-Drums auf seinem neuen Album Peter Pan Syndrome. Er hat zwar MP3s in sein Repertoire aufgenommen, ist aber gleichzeitig weiter für Analoges sensibel. „Ich versuche während des Prozesses so wenig wie möglich auf einen Computermonitor zu starren. Ich entdecke hier und da etwas bei YouTube oder eine MP3, die ich irgendwo finde. Mein Sound ist normalerweise ziemlich Lo-Fi und ich zerstückele die Dinge meistens in kleinere Teile, es ist also nicht so, dass ich einen acht Takte langen Loop habe, bei dem du erkennst, ob die Quelle eine FLAC-Datei oder eine 128-kbps-MP3 ist. Ich habe mich nie um die Qualität geschert, da ich bei meinen Beats einen ‚Wall of Sound’-Ansatz verfolge—wenn ich es im Beat unterbringe, wird das Sample sowieso ruiniert.“

Jüngere Produzenten wie Small Professor, die in den frühen 2000ern angefangen haben, sind sich der Geschichte des Vinyl-Samplings bewusst, mussten die langsame Transformation zum MP3-Sampling aber nicht mitmachen. „Ich habe vor zehn Jahren mit dem Beats Produzieren angefangen. Ich habe schon immer fast ausschließlich von MP3s gesampelt. Ich denke, dass MP3s definitiv das gewisse Etwas fehlt, das man bei Vinyl findet, also habe ich immer versucht, das zu kompensieren, indem ich bei meinen Beats mehrere Samples übereinander lege, die meistens wiederrum statisch von Vinyl gesampelt wurden, um den ‚vollen’ Klang zu bekommen.“

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Die Suche nach rätselhaften Spuren scheint mittlerweile mit Suchmaschinen anstatt abgegriffenen Albumcovern aus vergangenen Zeiten verbunden zu sein. „[Bei] YouTube kannst du einfach irgendwas Verrücktes eingeben und sehen, was dabei zum Vorschein kommt. Ich nutze bei meiner Suche ziemlich häufig das Wort ‚trippy’: ‚trippy 70er Jahre Comic’ oder so was in der Art. Du findest etwas, lachst dich schlapp, hast eine Menge Spaß und 15 Minuten später hast du einen Beat fertig!“, sagt Paul White.

Bei Blockhead basiert die Suche nach Genres und Obskuritäten auf Anonymität—er will von der Existenz des Künstlers nichts wissen, bevor er ihn findet. Quelle Chris sucht nach Absurditäten des Kabelfernsehens—Werbeclips und unentdeckte Filme. J-Zone vermischt immer noch das Alte mit dem Neuen. „Manchmal, wenn ich etwas bei YouTube finde und der Song wirklich super ist, versuche ich, die Platte davon zu ergattern und dann von der Platte zu sampeln. Wenn die aber ein Vermögen kostet, sample ich es von YouTube. Verdammt, warum auch nicht?“

Small Professor ist der schlimmste Albtraum der Musikindustrie. „Wenn es um die Online-Suche geht, verwende ich ein paar verschiedene Methoden. Die erste ist die einfachste: Finde raus, was dieser oder jener gesampelt hat und lade dir die komplette Diskografie [des gesampelten Künstlers] runter. Die zweite ist, nach Kategorien zu suchen: ‚OST’, ‚1974’ oder ‚Ahmad Jamal’. Die dritte Methode kostet etwas mehr Zeit, da sie Wikipedia/AllMusic.com/Discogs.com beinhaltet: Sie erlaubt mir Künstler einzutippen und nicht nur ihre beliebtesten und am meisten heruntergeladenen Veröffentlichungen zu sehen, sondern auch die selteneren Sachen, die man durch normale Suchmaschinen vielleicht nicht findet.“

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Die Verkaufszahlen von Vinyl waren 2013 so gut wie seit zwanzig Jahren nicht mehr und Platten sind noch nie so verfügbar und sammelbar gewesen wie heute. Aber werden die Beat-Produzenten aufgrund besserer Klangeigenschaften wieder zur traditionellen Methode übergehen? Oder zumindest um sich dem Retro-Trend anzuschließen? Quelle Chris erachtet das für seinen Prozess als notwendig. „Ich schaue immer Platten durch, auch wenn ich kein Geld habe. Ich mache mich über die Plattensammlungen von Freunden her. Ich habe sogar schon Platten im Laden gelassen und sie mir später im Internet angehört und auf einmal nicht mehr das Gefühl dafür gehabt.“

Paul White hat seine Meinung geändert, nachdem er diverse Schätze bei YouTube entdeckt hat. „Ich war früher kritischer gegenüber Leuten, die keine Platten kaufen, aber mittlerweile denke ich anders. Die Musiker selbst würden wollen, dass so viele Leute wie möglich ihre Musik hören.“

Blockhead ist bezüglich seines Ansatzes, der Produktionspuristen durcheinander bringen könnte, ehrlich. „Ich denke, die meisten Produzenten nutzen immer noch ausschließlich Vinyl. Das ist der Grund warum diejenigen von uns, denen das egal ist, so schnell schief angeguckt werden. Ich bin diesen Typen nicht böse, aber sie haben definitiv ein anderes Wertesystem als ich, sowohl im Hinblick darauf, wie sie Musik sehen als auch welchen Wert sie Vinyl beimessen. Ich muss jedoch zugeben—es fühlt sich an wie Mogeln, verglichen mit der Art wie ich früher Beats gemacht habe.“

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J-Zone erkennt den Vorteil von Vinyl für Live-Situationen an. „Als DJ zu spielen ist eine andere Geschichte, da du es mit der Soundqualität eines ganzen Songs in einem vollen Laden zu tun hast und MP3s nie so gut klingen wie eine Platte auf 45rpm. Aber beim Sampling kannst du das ausgleichen. Niemand weiß, ob du eine Originalpressung, eine Nachpressung, eine Datei oder was auch immer benutzt hast. Es geht um Können.“

Egal, welches Format du nutzt, es kommt immer noch auf die Kunst des Sampelns an. Small Professor nutzt vielleicht ausschließlich MP3s, aber Vinyl ist für ihn trotzdem nicht ausgestorben. „Es gibt weiterhin nichts Vergleichbares dazu, eine gute Spur auf einer Schallplatte zu finden, denn anders als bei einer digitalen Datei auf deinem Computerbildschirm, kannst du nicht sehen, was mit der Musik passieren wird. Du musst dich bei den Breaks auf deinen Instinkt verlassen.“

Zilla Rocca hat mehr Platten verscherbelt, als du besitzt, Freundchen. Er ist bei Twitter. - @ZillaRocca

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