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Wir sind immer noch für mehr Konzerte in Wohnzimmern

Wir waren bei der neuesten Ausgabe der Sofar Sounds Vienna und haben kurzzeitig unseren Zynismus abgelegt.

Alle Fotos: Alexandra Toma

Letzten Donnerstag stehe ich abends mit knapp 60 anderen Menschen im Wohnzimmer einer 2er-WG hoch oben über dem Donaukanal. Das Publikum ist überwiegend jung, sehr freundlich, sehr international und auf eine beruhigend unspektakuläre Weise schön. Man trinkt Dosenbier, Billa-Wein und entschuldigt sich, wenn man anderen auf die Füße tritt.

OK, das mag jetzt alles ein bisschen romantisierend klingen, war aber exakt so. Mich hatte es auf die mittlerweile dritte Ausgabe der Wiener Sofar Sounds verschlagen. Und das hat sogar einen alten Zyniker wie mich ein bisschen berührt.

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Ich kannte Sofar vorher nicht. Es kann sein, dass ich einfach schon lange den Anschluss an die Szene verloren habe, gehe jetzt aber mal davon aus, dass das für einige von euch ebenso gilt. Deshalb ein kurzer Abriss: Sofar Sounds sind kleine, intime Wohnzimmerkonzerte, bei denen—so haben es sich die beiden Londoner Gründer 2009 vorgestellt—die Musik im Vordergrund stehen soll. Nicht völlig revolutionär, aber nichtsdestotrotz schön.

Mit der Zeit verteilte sich der Gedanke über die Welt—mittlerweile gibt es das Konzept in über 90 Städten. Während sich die WG langsam mit Menschen füllt, die wirklich alle die Schuhe ausziehen (jede WG-Party würde sich freuen, wenn sie dahinter käme wie die Macher das schaffen), rede ich im „Backstage-Raum" mit Anna, Bojana und Thomas, den drei Machern der Wiener Sofar-Konzerte.

Anfang des Jahres kannten sich die drei top motivierten und freundlichen Menschen irgendwo zwischen Anfang und Mitte 20 noch nicht. Über verschiedene Ecken kamen sie unabhängig voneinander mit der Zentrale in London in Kontakt. Und anders als im Booking-Bereich, wo die Agency die verschiedenen Interessenten gegeneinander ausspielen würde, fragten die Sofar-Leute die Drei, ob sie nicht zusammenarbeiten wollen. Sie wollten. Nach einigen Skype-Gesprächen fand die erste Sofar Session Wiens im Mai im Beisein eines der Gründer statt.

Die einzelnen Sofar Chapter haben relativ viel Freiheit, ein paar Prinzipien sind aber überall ähnlich: Die Konzerte sollen klein bleiben, man soll bitte nicht die ganze Zeit mit dem Handy herumfuchteln und auch nicht reden. Die Bands spielen ein 30minütiges Stripped Down-Set (meist akustisch und ohne Schlagzeug), und solange soll man einfach mal still zuhören. Getränke bringt jeder selbst mit.

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Ein weiterer Baustein der „Nur die Musik soll im Vordergrund stehen“-Taktik ist die Platzvergabe: Man meldet sich für die Sessions an, ohne zu wissen wer dort spielen wird. Von der bekannten Indieband bis zu oberösterreichischen Acapella-Mundart-Truppe kann einen alles treffen. Bzw. ohnehin beides, es spielen immer drei Bands an einem Abend. Die Plätze werden dann nach einem bestimmten Schlüssel vergeben—ein Teil per first-come-first-serve, ein Teil verlost, manche auch vergeben, zum Beispiel an Leute, die sich zum Hosten bereit erklären.

Hosts zu finden ist nicht so schwierig wie es klingt. Es werden mit jedem Mal mehr Leute, die ihre Wohnung zur Verfügung stellen wollen—was auch damit zusammenhängen dürfte, dass die Sofar Leute nicht nur aufbauen, sondern auch putzen. Überhaupt scheint es langsam ganz gut zu funktionieren. Momentan kontaktieren die Macher die Bands meist noch selbst, die Erfahrung aus anderen Ländern zeigt aber, dass mit dem steigenden Bekanntsheitsgrad die Bands eigentlich zu Sofar kommen, weil sie die Atmosphäre und den Support (es entsteht ein Video, das auf den internationalen Sofar Youtube Channel mit 38.000 Subscribern kommt) schätzen.

Aktuell passiert das alles noch ehrenamtlich: Die Organisation, das Schneiden des Videos, die Fotos. Es geht irgendwann ein Hut herum, aber die Spenden dürften sofort wieder in die Produktion gehen.

Während ich abwechselnd Bier und Wasser (60 Leute in einer Wohnung können eine Menge Hitze erzeugen) in mich hineinschütte, höre ich Chili&The Whalekillers zu—der isländisch/österreichischen Folk-Combo aus Salzburg, die in einer gerechten Welt so erfolgreich und kontrovers wäre wie Mumford&Sons. Mit den Akustikgitarren, Hosenträgern und gelegentlichen Einschüben von Saxofon und Akkordeon ist das die perfekte Musik für das Wohnzimmer an diesem Abend, und man spürt, weswegen das Konzept so viele Leute anzieht. Es ist familär, man hat aber gleichzeitig das Gefühl, irgendwo zu sein, wo nicht alle hinkommen. Es ist exklusiv, ohne dabei unsympathisch zu werden. Das muss man auch erstmal schaffen.

Für die nächste Session von Sofar Vienna kann man sich auf der Homepage anmelden.