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So feiern Russen in Wien

Wie feiern eigentlich Russen in Wien? Ich wollte dem Klischee "Russen" und der russischen Wahrheit etwas auf den Grund gehen.

Wie feiern eigentlich Russen in Wien? Ich wollte dem Klischee "Russen" und der russischen Wahrheit etwas auf den Grund gehen. Alle Eindrücke sind wie immer als rein subjektiv zu verstehen, der Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wir fragen uns: Wie sieht der russische TurnUp in Wien aus? Was macht der Russe abseits von hegemonischen Weltansprüchen, Kalinka und Putinverehrung eigentlich in Wien? Studieren, denn die etwas habenderen Russen schicken ihre Kinder gerne in westliche Hochschulen. Österreich ist aufgrund der historischen Rolle, der hohen Lebensqualität und der guten Bildungseinrichtungen ein beliebtes Ausbildungsziel. Viele Russen bleiben danach auch hier und schaffen sich eine neue Existenz in Wien. Mein primärer Berührungspunkt mit der Wien-Russischen Kultur war mein russischer Mitbewohner vor zwei Jahren, den wir liebevoll Muskelrusse tauften. Er besaß keinen Adidas-Trainer (noch nicht) und war auch kein Oligarchenkind. Er verkörperte daher schonmal einen Klischeebruch mit zwei der hartnäckigsten Bildern, die man von Russen hat.

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Wie gehen Russen also feiern? Man kann die Art der typischen Russenparty grundsätzlich in drei verschiedene Kategorien unterteilen. Als Erstes die gute alte Hausparty. Der Russe lädt dabei nicht jeden beliebigen Kommilitonen ein, sondern es trifft sich meistens eine geschlossene Gesellschaft zu Schach, Vodka und Russisch sprechen. Zweitens die Show & Shine-Variante, bei der es in einem Club, in den man ohne Anzug nicht hinein kommt, um die offensive Darstellung der eigenen Affluenz geht und als dritte Variante—als klassenübergreifende Verständigung—das Freilufttrinken. Beim Freiluftfeiern, das wetterunabhängig ist, wird Malzbier und bei besonderen Anlässen Vodka in massivsten Mengen konsumiert. Die obligatorischen Sonnenblumenkerne sind bei uns eher weniger gesehen, weil man in Österreich nur Importware aus der Türkei bekommt und der Russe ist dem Türken derzeit nicht sehr wohlgesonnen. Erdolf und Putler haben sich im Moment ja nicht besonders lieb, da beide in Syrien etwas zu sagen haben wollen und auch ordentlich mit ihren Säbeln rasseln und dabei immer wieder mit dem Dämon des Nato-Bündnisfall spielen.

Moskauer Partyveranstalter, die sich über das Klischee der russischen Unterschicht lustig machen.

Die erste Variante ist also die oben genannte Hausparty. Meistens sind, obwohl man sich bei irgendwem zuhause trifft, alle aus Respekt halbewgs gediegen angezogen und es wird getrunken, sich über Tagespolitik und Philosophie ausgetauscht. Habe ich schon erwähnt, dass getrunken wird? Viel. Wirklich viel. Da man sich—entegen des Klischees—auch in Russland nur ungern prügelt, misst man die Manneskraft durch das Ausloten der Trinkfestigkeit. Die Landpomeranze in mir fühlt sich absolut verstanden. Russen haben auch irgendein Anti-Vodka-Gen. Entweder ist es die Erziehung oder sonst irgendeine schwarze Magie—Russen vertragen absurde Mengen von diesem Quasi-Spiritus. Nichtmal die Russen selbst haben eine Erklärung dafür, es ist einfach so. Russen vertragen Vodka, Topf trifft Deckel. Da wir aber bei Noisey schon viel zu viel über Hauspartys geschrieben haben, probierte ich die zweite Variante einfach im Selbstversuch aus.

Um die zweite Variante, in erster Hand überprüfen zu können, besuchte ich mit ein paar Russen im Schlepptau die Russian Night in Wien. Als erstes bemerkten meine Russenfreunde sofort, dass die Türsteher Tschetschenen wären. Auf die Frage woher sie kommen, war die Antwort ein "Grozny" und die Türsteher waren anscheinend nicht so erfreut darüber, russische Gesichter zu sehen, wie man es erwartet hätte. Im Inneren bot sich ein ähnliches Bild, viele Kasachen und Ukrainer, wenig "echte" Russen. Da sich auch im ehemaligen Ostlbock—wie in meiner Heimat Vorarlberg—niemanden mag, der mehr als 20 km auseinander wohnt, fühlte sich auch niemand so wirklich willkommen. Der Name der Veranstaltung war wohl etwas irreführend.

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Die Partygesellschaft hat sich in der oben erwähnten Darstellung des eigenen Besitzes geübt, die Wodkaflasche auf dem Tisch war weniger Statussymbol sondern mehr die obligatorische "you gotta be this rich"-Eintrittskarte. Viele der Exilrussen wollen anscheinend den Instagram-Celebrity Lifestyle der Oligarchenkinder aus Moskau kopieren. Ich bin wichtig weil ich reich bin, in einem Land mit so großen sozialen Unterschieden wie Russland mag das auch wirklich wichtig sein, in Österreich diene es eigentlich der Prestige im eigenen sozialen Umfeld. Das ganze verprasste Geld wäre—laut russischer Expertise—primär dazu notwendig, das anwesende "Weibsvolk" zu beeindrucken. Die Mentalität des männlichen Versorgers ist in der russischen Kultur noch stärker ausgeprägt, daher ist es als russischer Mann notwendig nach außen hin die eigene Fähigkeit zur Versorgung des Aufrisses zu zeigen. Weiter zur Musik. Die Russen bezeichneten die Musik, die bei der Veranstaltung lief als "Alko-Trash"—die russische Version von unseren Partytempel-Ballermann-Hits. Also weniger eine echte Russenparty, sondern mehr die Exportversion davon. Die Nichtrussen sollen das Klischee einer Russenparty, das sie erwarten, auch bekommen. Dem Amerikaner, der dabei war, hat es gut gefallen.

Da Russen gerne unter Russen sind oder unter Völkern mit denen es weniger ethnische Spannungen gibt, sind wir dann auch bald wieder gegangen und auf die 70er Party im MQ weitergezogen. Dort hat sich gezeigt, dass die russische Seele mit der österreichischen Unbekümmertheit weniger anfangen kann. Obwohl man dem Wiener immer vorwirft, ein Grantler zu sein, hat er es abseits der Bumbumtempel meistens nicht nötig, jede Sekunde in die öffentlich sichtbare Zementierung seines sozialen Status zu investieren. "Psychologisch sind echte Russenpartys eher mit einem Rudelkampf um die Alphaposition vergleichbar. Wenn dann alles so locker zugeht wie hier und jeder einfach nur feiert, ohne groß sich selbst zeigen zu müssen, ist es dem Russen etwas fremd", so mein psychologiestudierter Russenfreund. Selbiger meinte auch, dass Russen durch ihre antrainierte dominante Art des Auftretens bei den meisten österreichischen Frauen weniger gut ankommen, da sie eher die Aura eines Predators, als die eines Partners hätten. Im Gegenzug würden die russischen Frauen in Wien aber Österreicher als Beziehungspartner bevorzugen. Rein hormonell wären sie zwar dem groben Alpha schon erlegen, dass österreichische Männer aber putzen und kochen können und ihren Willen seltener mit Gewalt im Haushalt durchsetzen, sei ein begehrenswerter Charakterzug. Der Besitz einer österreichischen Staatsbürgerschaft auch. Tu Felix Austria.

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Die russische Frau ist jedoch auch sehr anspruchsvoll und alles andere als unterwürfig. Für eine Russin muss der Mann einiges mitbringen—Auftreten, Status, Bildung und Umgangsformen. Man fängt an zu verstehen, warum die so klare und offensichtliche Darstellung der eigenen Person und des eigenen Reichtums so wichtig ist für das Russische Balzverhalten. Im Gegenzug dazu investiert die russische Frau sehr viel Zeit und Geld in ihre eigene Bildung, ihr Aussehen und in ihre eigene Fähigkeit Männer "zu bekommen". Russinen können—according to Muskelrusse—besser flirten als Österreicherinnen, man müsse nicht die ganze Arbeit alleine machen, wenn man als würdig erachtet wurde. Vor dem ersten Wort können unsere östlicheren Nachbarn also nicht nur Aussehen und Styling beurteilen, sondern sich auch schon ein grobes Bild von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Gegenübers machen. Natürlich wird von oben bis unten betrogen, gelogen und der Schein aufrecht erhalten, aber das wird es ja überall in der Gesellschaft.

Üblicherweise trifft man die Russen, die mit Schnee am Tisch und 300 Euro-Vodkaflaschen Party machen, in Etablissments wie dem Goodman, dem Palffy, der Skybar oder dem Sofitel. Für wen dieses ganze Ostprollgehabe nichts ist, der kann sich immer noch dem Freilufttrinken hingeben, der dritten Variante. Das russische Freilufttrinken unterscheidet sich nicht wirklich vom österreichischen, außer durch komplette Wetterunabhängigkeit und dadurch, dass der Sound etwas besser ist. Man zieht eine Akustikgitarre mit Volksliedern dem Handylautsprecher vor. Da diese Volkslieder auch meistens von echtem männlichen Schmerz handeln, sind sie viel erträglicher als dein gelockter PoWi-Freund, der den letzten Imagine Dragons-Song nachspielt und du ihm aufgrund der geltenden Gesetze leider nicht den Schädel einschlagen darfst. Deine russischen Freunde würden besagtes Schädelschlagen natürlich trotzdem durchziehen. Damit sind wir wieder beim Klischee.

Jetzt sitzen also alle in der Hocke in einem Nebengang einer Wohnsiedlung um eine Lampe und man trinkt sich mit Vodka nieder. Mit Adidas-Tracksuit. Gut, so 1:1 wie auf YouTube geht es dann doch seltener zu, aber die Seele einer jeden Kultur ist halt immer noch ein Klischee, das dann immer wieder und wieder neu reinterpretiert und missverstanden wird. Wenn man den modernen Exil-Russen in Österreich zusammenfassen will könnte man sagen, dass sie durch die Bank höflich und sehr gebildet sind, sich auch gut integrieren und halt manchmal in typisch russischen Verhaltensweisen hängen bleiben, die dem Österreicher doch manchmal etwas fremd sind.

Header: Foto via Flickr | Miguel Mendez | CC BY 2.0

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