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Noisey Blog

Rudis Brille: Der Sommer, ein einziger After-Work-Club

Zieh dir legere Geschäftskleidung an und mach dich bereit für die „nette“ Party.

Foto via Flickr | tps12 | CC BY-SA 2.0

Gleich vorweg: Ich bin keiner, der den diesjährigen Sommer durch die Bank verflucht. Es war toll, mal zwei Tropenmonate zu erleben. Mit all den Vor- und Nachteilen: den Gerüchen in öffentlichen Beförderungsmitteln, den schwachen Nerven an der Supermarktkassa („Du woast hinter mia, Woama“), den lauwarmen Wässerchen, die sich ihren Weg durch die Algen der alten Donau bahnen, den Blickfängen an den schicken Kanalstränden, den plötzlich hip gewordenen Plebejersandalen der einstigen lower class, dem nicht enden wollenden Burgergeruch und den Standardfragen der Banalsociety: „Ma host Du a schene Farb, woast in da Sunn?“ Passend zum Dauerthema „Wieso bistn so kasig, leicht a Molkereiflüchtling?“

All das wird uns wohl lange in unseren braungebrannten Köpfen haften bleiben; gepaart mit der Frage, wieviele Ventillatoren man sich noch anschaffen sollte. Aus Sicht der Clubs und Partyhotspots gab es in diesen Tagen wohl etwas weniger zu lachen, denn Wien erstarrte in Hitzeagonie. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, es fand im Verhaltensmuster der Ausgehsociety eine „back to the roots“-Bewegung statt; bloß zu welchen Wurzeln? In die Neunziger? Eine Zeit, als es entweder Afterworkclubbings oder ein bisschen Underground in verrotzen Kellern oder Schächten gab?

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Unten geht's weiter

So kam mir der Sommer 2015 vor: In ist, wo es musikalisch einfach um nichts geht und was nichts beziehungsweise wenig kostet. Es geht nicht mehr darum, wirklich guten Sound zu hören, dafür sind die Hörgewohnheiten der—gefühlten eine Million—Musikerfinder zu zersplittet. Es geht darum, dass man nichts mehr ausgeben will, weil man eh nichts mehr cool findet. Contentloses Ausgehverhalten möchte ich fast meinen. „Elektronische Musik“ als Deckmäntelchen für alles. Und plötzlich findet man sich bei Albert & Tina wieder, mit Tausenden anderen. Irgendetwas muss ja cool sein, es hat ja zwei Millionen Zusagen und selbst die hübsche Rezeptionistin von gegenüber geht da hin. Man stößt und drängt, schüttelt Hände und schon ist man betrunken und es war lustig. Oder beim Techno Cafe (das DAS habe ich jetzt ausgelassen, man möge mir verzeihen), jenem Phänomen, das ja bald 20 wird und bei dem man eine Stunde anstehen muss um keine Musik zu hören, weil es ohnehin zu voll ist. Oder man quetscht sich in den drei m² großen Pavillion und „tanzt“.Ein Erfolgsrezept ohne Zweifel, denn selbst die Bobos in meinem Nordbahnhofgelände kennen das noch. Schnell nach der Arbeit auf 22 Aperol, dann holt man sich seine Dosis Techno und dazwischen gibts was vom Barbecue und man knüpft Kontakte oder jammert, weil es zu voll ist. Am Ende ist man auch hier um 23 Uhr betrunken. Aber „nett“ wars, obwohl man den Ausrichtern zumindest zugutehalten muss, dass sie das Line Up schwerst zeitgeistig buchen. Die Entfernung zu Techno ist jedenfalls beträchtlich, der Zeitgeist sagt ja nicht immer, wie er gerade heißt.

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Foto via Flickr | Tor Lindstar | CC BY-SA 2.0

Oder man legt sich noch auf die Wiese vorm Burgtheater. Es war ja gerade Impulstanz, drinnen im Quartier hat es 56 Grad und da legen ja auch DJs auf. Die 150 Ausdruckstänzer am Parkett toben sich aus und stecken uns an. Man versucht gazellenartig mitzuhalten, doch vor dem ersten Bandscheibenvorfall schleppt man sich an die Bar, holt sich ein Getränk im Plastikbecher und legt sich zu den 2000 Anderen auf die kleine Wiese und hofft auf paarungswillige Bekanntschaften. Da wird es mitunter spät, aber auch das war „nett“—Musik: egal, es war lustig und es hat uns wenig gekostet. „Nett“ muss es mittlerweile sein bei uns in Wien, „lustig“, und wenn man genug intus hat—egal was—dann tanzt man zu allem; auch zu Modern Talking oder „Supergirl“. Aber heißt es nicht irgendwo, „nett“ sei die kleine Schwester von scheiße? Warum zieht es die Wiener wieder vermehrt zu Oberflächlichem hin? Die Clubs können buchen was sie wollen, weil es wird eher vorgezogen, sich mit Bierdosen an den Kanal zu setzen und erst spät oder gar nicht mehr einzukehren. Egal, wie warm das Bier ist, egal wie pissig die Steinfeder aus dem Lidl schmeckt, runter muss es, es is grad so „nett“.

Foto via Flickr | D.C.Atty | CC BY 2.0

Warum spielen etwa Granden wie Ian Pooley, Dirty Doering oder Coyu mittwochs beim Abendschwimmer vor mäßig gefülltem Haus, wo sie anderswo Hallen füllen? Warum greifen viele gar auf die Waffe „freier Eintritt“ zurück, um wenigstens mit dem Barumsatz zu überleben? Warum funktionieren tiefgangfreie Konzeptveranstaltungen wie am Schnürchen, während Andere am Ende, trotz hoch angesehenem Bookings, mit leeren Taschen dastehen? Was passt da nicht mehr, wenn selbst der Pool, der beste Burger der Stadt oder ein gutes Booking sich nicht gegen überfüllte Gratsiveranstaltungen halten können? Es gelang ja trotz allem nicht, das zarte Pflänzchen Open Air vor der Sommerhitze zu schützen. Was fehlt den Clubs, dass man sie im Sommer eher meidet? Gibt es zu viele? Hat sich alles zu sehr aufgeteilt? Wurde der einst homogene Wiener Clubgeist Schall und Rauch?

Ich höre oft, dass viele nicht mehr ausgehen, weil es uninteressant geworden sei. Nun, manchmal kommt mir der Wiener vor wie ein fetter dummer Kater, der einst mal ein wilder Hund war und jetzt nur mehr gefräßig und behäbig in einer Ecke verharrt. Whiskas will man keines mehr und das Publikum ist allen überall zu jung, prollig, hipstermäßig, komisch, männderdominiert und zu was-weiß-ich. Aber ist es nicht extrem arrogant vom gerade 25-jährigen Frischakademiker, die 22-jährigen Studenten zu jung zu finden? Die Frauen, nach denen er Ausschau hält, sind doch auch nicht älter. Müssen wir mit 30 schon behaupten, dass überall nur mehr Kinder sind, mit denen wir aber—wenns sein muss—trotzdem schlafen würden? Geht es immer nur ums Publikum und ums Alter, oder darum, dass in Berlin sowieso alles besser ist? Ist es ja auch, weil wir alle hinfahren und alle andren auch. Am Ende versammeln sich dann alle beim Popfest und feiern 3 Tage lang die tolle österreichische Musikszene, die danach wieder Szene sein kann—von ein paar Ausnahmekünstlern abgesehen. Mittlerweile wird das Ding langsam so groß, dass eine Verdonauinsulisierung droht.

Die Afterworkisierung Wiens ist jedenfalls schon da. Mangels Alternativen und Sattheit tummeln wir uns nur noch auf den Plätzen, die irgendwas mit Kunst zu tun haben: VOR dem Museum, VOR dem MQ, VOR dem Burgtheater. Was drinnen abgeht steht in der Zeitung. Man hat quasi die nächtlichen Ausscheidungen der Hochkultur verarbeitet, das ist Wien im Sommer 2015. Ein Installatiönchen hier, ein Modeschauchen da, und gut ists. Und wenn man schon etwas älter ist—so wie ich—dann sollte man eigentlich nur mehr Rummyrunden mit Gleichaltrigen beim Heurigen beiwohnen. Vielleicht sind mir aber die Leute noch nicht zu jung. Und die Veranstalter auch nicht zu ausbeuterisch, nur weil sie es wagen, Geld für ihr Programm zu verlangen. Dafür sind mir aber die, die mit abgespreiztem kleinem Finger und Prosecco vor den Kulturpalästen unserer Stadt stehen um dazu zu gehören, zu banal und nett, denn „nett“ ist… ach so, sagte ich ja schon.

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