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RBMA Weekender

Wir haben beim RBMA Weekender in Wien die Nächte durchgemacht

Dorian Concept, Erika, Burana Som Sistema—wir waren auf (fast) allen Veranstaltungen.

Alle Fotos: Matthias Heschl

OK. Es ist das Wochenende, auf das man sich als Fan der elektronischen Musik in Wien schon seit Wochen gefreut hat: Die Red Bull Music Academy macht für einen Weekender in Wien halt. Und Weekender heißt in diesem Fall nicht irgendwie zwei kleine Partys am Freitag- und Samstagabend. Nein, insgesamt acht unterschiedliches Happenings stehen am Programm, und wir haben uns vorgenommen, so gut wie alle davon zu besuchen.

Wir beginnen unsere Odyssee durch die Welt der elektronischen Musik am Donnerstag im Celeste. Dem Publikum dort ist offensichtlich auch bewusst, dass es mit seiner Energie ordentlich haushalten muss, wenn es das gesamte Wochenende unbeschadet überleben will. Es ist eher Kopfnicken angesagt, aber zumindest zufriedenes Kopfnicken.

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Der Auftritt vom Wiener Queer-Liebling Crazy Bitch in a Cave ist in etwa genau so schräg, wie Künstlername und Bühnenoutfit es erwarten lassen. Irgendwie macht mich das leicht hektische Herumgefuchtel ein bisschen nervös, aber gesangstechnisch weiß die verrückte Bitch definitiv, wie man eine Not zur Tugend macht. Und letztlich bin ich von der Inszenierung der ungeraden Töne dann doch fasziniert. Richtig an Fahrt gewinnt der RBMA-Abend Nummer Eins aber ganz klar erst mit Ninja Tunes very own Emika.

Und wie sie das tut: In den ersten 20 Minuten bearbeitet Emika das Publikum mit ziemlich straightem, vocalfreiem Techno und man kann währenddessen nichts anderes tun, als ihre völlig absurde Coolness zu begaffen. Danach greift die Britin dann doch zum Mikrophon, und macht mich mit ihrer Stimme zum ersten Mal an diesem jungen Wochenende etwas sprachlos. So interessant und schräg die Vocals von Crazy Bitch in a Cave waren, so perfekt und fehlerfrei sind die von Emika.

Bereits am Freitag werden dann alle meine Vorsätze, mit der Energie für das Wochenende halbwegs hauszuhalten, aus dem Fenster geworfen. Es ist die (vermeintliche) Concert Night des RBMA-Weekenders, aber wer Buraka Som Sistema kennt, der weiß, dass er das mit dem gediegenen Konzertabend gleich vergessen kann. Es geht gleich ziemlich heftig zur Sache: Zu irgendeinem Zeitpunk holen die Portugiesen eine ganze Horde Frauen aus dem Publikum auf die Bühne, während die angetrunkenen Kerle, die versuchen, ebenfalls die Bühne zu erklimmen, ziemlich charmant wieder auf ihre Plätze verwiesen werden. Und wer die dann folgenden Minuten miterlebt hat, wird vermutlich nie wieder behaupten, dass österreichisches Publikum beim Tanzen irgendeiner anderen Nation auch nur irgendwie nachsteht—spätestens dann, als sich die komplette Arena ihre Jacken, T-Shirts und sonstige Kleidungsstücke wie besessen vom Körper reißt.

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Buraka Som Sistema haben die Arena in ihre Einzelteile zerlegt, das Publikum hat sich ein bisschen selbst zerlegt, und alle müssen erst mal ins Freie, um Luft zu schnappen. Keine besonders dankbare Aufgabe für Patrick Pulsinger und Gernot Bronsert von Modeselektor, die als nächstes an der Reihe sind, um ein B2B-Set zu spielen. Aber auch hier haben wir wiedermal was gelernt: Unterschätze niemals die alten Haudegen. Das Set ist fabelhaft. Es ist deep, es bringt dich schonungslos zum tanzen, und vor allem ist es unvorhersehbar—inklusive Kendrick Lamar-Remixes. Pulsinger und Bronsert machen ihre Sache mehr als gut, und das Publikum bleibt fast übergeschnappt motiviert. Scheiß auf das Energiehaushalten, die Fiesta ist in vollem Gange.

Gott sei Dank gibt es bei der Red Bull Music Academy als Kontrastprogramm zu all dem kompromisslosen Feiern auch noch die Lectures, bei denen man auch verkatert auftauchen kann. Dieses Jahr finden die Lectures im Palais Bellegarde in der Praterstraße statt—ein alter, gewölbeartiger Rohbau mitten in der Wiener Innenstadt, in dem man fast gezwungenermaßen fantasiert, wie abartig gute Partys sich hier schmeißen ließen. Trotzdem herrscht dort drinnen absolute Wohnzimmer-Atmosphäre. Während Elektro Guzzi am Freitag auf der Couch platzgenommen und das Publikum in ihr Effektpedal-Universum mitgenommen haben, sitzt am Samstag ein sehr alter und beeindruckender Mann auf der Couch.

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Gerhard Heinz, 87 Jahre alt, seines Zeichens absoluter Pionier der elektronischen Kompostion, verantwortlich für die Musik von Kindersendungen wie dem Kasperl oder Helmi, eine gefühlte Million Werbejingles, und mehr als 130 Filmsoundtracks—auch für die Musik in unzähligen Sex-Filmen—erzählt aus einem Leben, das einem als junger Mensch im Jahr 2014 fast unglaubwürdig erscheint. Es wirkt übrigens auch etwas unrealistisch, wenn ein fast 90 Jahre alter Mann einen Pioneer-DJ-Mixer bedient, als wäre es das Selbstverständlichste auf der ganzen Welt. Nach zwei Stunden hat man das Gefühl, der Mann hat mehr erlebt und mehr Persönlichkeiten kennengelernt, als alle anderen Gäste im Raum zusammen. Stimmt wahrscheinlich auch.

Lectures und Wissen hin oder her, die Partys des Music Academy Weekenders sind noch lange nicht vorbei. Es ist verdammt nochmal Freitag fucking Abend und Zebra fucking Katz hat sich in der Pratersauna angekündigt. Und—wie soll es auch anders ein—schon vor der Türe der Sauna wird einem bewusst, dass die Party heute aus allen Nähten platzen wird—und das obwohl Detroit-Legende Theo Parrish zeitgleich das Tech Gate mit einem 4-Stunden-Set bespielen wird. In der Sauna ist jedenfalls die Hölle los. Der Bunker platzt aus allen Nähten, als der Mann aus New York beginnt. Zebra überzeugt nicht nur als Showman, sondern auch als Rapper. Spätestens, als Zebra Katz, wie schon bei seiner Show im Vorjahr, wie Spiderman an der Decke des Bunkers herumklettert, schreit das Publikum, schwitzt und fällt quer durch den Raum. Moshpit!

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Sonntags beim Aufstehen wünscht man sich dann doch, es gestern nicht so übertrieben zu haben. Local Hero Dorian Concept kommt etwas zu spät zu seiner Lecture, denn der Soundcheck für sein Konzert am Abend hat etwas länger gedauert als geplant. Macht nichts, denn ich kann jede Sekunde Erholung vor dem Grande Finale eines unglaublichen intensiven Wochenendes gut gebrauchen. Als Location am letzten Abend musste natürlich etwas Pompöses her—immerhin endete das Bass Camp letztes Jahr sehr eindrucksvoll im Burgtheater. Dieses Jahr ist es also das ähnlich noble Casino Baumgarten. Man erkennt viele, leicht erschöpft aussehende Gesichter, die man an den Vortagen noch in den Morgenstunden in der Pratersauna oder Arena gesehen hat. Insgeheim haben alle ein bisschen gehofft, dass die letzten Konzerte des Wochenendes bestuhlt sein würden—aber nix da. Dorian Concept und SOHN verdienen ein stehendes Publikum und jetzt kann man ja wirklich auch noch die allerletzten Energievorräte verbraten—um den Montag ist es ja sowieso schon geschehen.

Dorian Concept, der mit seinem neuen Album zu einem deutlich größeren, internationalem Ding aufgestiegen ist, spielt nun also ein Live-Set—mit Streichquartett und einer Band, die aus den Kompagnons Cid Rim und The CloniOUs besteht. Er ist dabei aber so bescheiden wie eh und je. Die Ansagen macht er durchs Schlagzeugmikrophon—da versteht man zwar die Hälfte nicht, aber verdammt, ist das sympathisch. Nach der ersten Nummer vergisst das Publikum vor lauter Konzentration komplett zu applaudieren. Dorian wirkt für den Leader einer ganzen Gruppe von hochklassigen Musikern schon fast absurd bescheiden. The CloniOUs und Cid Rim gesellen sich nach 15 Minuten auf die Bühne und vor allem durch die Drums gewinnt das Ganze dramatisch an Bühnenpräsenz und Drive. Die Streicher werden zwar etwas vorschnell wieder von der Bühne verabschiedet, die Show wird aber trotzdem immer genialer—und auch tanzbarer. Als Zugabe spielt Dorian dann sogar noch einmal ganz alleine auf seinem zu klein geratenen Keyboard einen alten Song, und für fünf Minuten wird das Publikum noch einmal so euphorisch wie in den Tagen zuvor.

Einen gebührenden Abschluss feiert der Weekender dann mit dem aktuell vermutlich größten Act des Line Ups: SOHN, der Brite, der von Wien aus einen Raketenstart ins internationale Musikgeschäft hingelegt hat, ist für ein paar Stunden zurück daheim. Und er beglückt das Publikum mit genau dem, was es erwartet hat: Düstere Stimmung, einen zur Perfektion getriebenen, elektronischen Sound und seiner Stimme, bei der man schon ziemlich immun gegen Soul sein müsste, um nicht berührt zu sein. Im Casino Baumgarten kommt so etwas ähnliches wie Gänsehaut auf. Das lässt sich auch komplett ohne Energiereserven genießen.

Meine Güte, bin ich müde. Aber mindestens genau so glücklich. Red Bull Music Academy Weekender, du hast mir absurde, wilde und vor allem musikalisch wohltuende Momente beschert. So viele, dass ich fast mit dem Gesicht auf die Tastatur falle, während ich diese Zeilen schreibe. Vielen Dank und Gute Nacht.