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Rave's not dead!—Die Wiener Freeparty-Szene

Ein Insider hat uns beschrieben, wie es der (Free)Tekkno-Szene in Österreich geht.

Alle Fotos: Carl Schranz

Nur wenige Stunden nach der diesjährigen Nachttanzdemo (der zweiten seit dem Ende der „Freeparades“ 2010, bei der jährlich bis zu 20 Tekkno-Soundsysteme die inneren Bezirke Wiens unsicher machten) wurde eine Lagerhalle in einem Wiener Industriegebiet vorübergehend zur Durchführung eines Warehouse Raves (so die Rund-SMS) besetzt. Drei österreichische Tekkno-Soundsysteme (die aufgrund der Repression durch die Behörden an dieser Stelle besser ungenannt bleiben) haben in jener Nacht ihr Equipment zusammengetragen, um eine Boxenwand aus vier, jeweils über drei Meter hohen Boxentürmen (pyramidenartig aufeinandergestapelt) aufzubauen. Innerhalb von nur zwei Stunden nach Bekanntgabe der genauen Adresse waren über 1.000 Raver und Raverinnen vor Ort – die (bisher) größte illegale Party des Jahres in Wien konnte stattfinden. Die Winter-Saison ist eröffnet!

In der warmen Jahreshälfte finden im Umkreis von Wien fast jedes Wochenende sogenannte „Freepartys“ statt—so nennen Tekkno-Soundsysteme und ihre Anhänger Raves, bei denen unangemeldet öffentlicher oder privater, leerstehender Raum beansprucht wird. Ein Tekkno-Soundsystem besteht in der Regel aus einem oder mehreren Trucks bzw. umgebauten LKWs, in denen das ganze Equipment – also Boxen, Sound- und Lichttechnik, Plattenspieler, Drumcomputer, Synthesizer, Stromaggregate und Treibstoff—verstaut werden kann und zusätzlich das Kollektiv engagierter TechnikerInnen, ProduzentInnen und DJs Platz finden. Dem Credo der Tekkno-Propheten Spiral Tribe folgend („no money, no ego“) ziehen diese Soundsysteme durchs Land und durch den Kontinent um unkommerzielle Partys unangemeldet in leerstehenden Arealen abzuhalten.

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Die DJs verstecken sich dabei stets hinter der Boxenwand und/oder Tarnnetzen, da einzig und allein das Klangerlebnis im Vordergrund stehen soll—Namen, jedenfalls der einzelnen DJs, sollen keine Rolle spielen. Das alberne Rumgepose eines David Guetta oder seiner Kinder im Geiste bleibt einem dabei erspart (vom Sound wollen wir gar nicht erst sprechen). Denn zwischen „Techno“ und „Tek(k)no“ (mit ein oder zwei „k“) liegen Welten!

Die Ursprünge dieser Bewegung finden sich Ende der 80er-Jahre auf der britischen Insel, wo die proletarische Jugend der Thatcher-Ära nur in leerstehenden „Warehouses“ zu elektronischer Musik tanzen konnte und so genannte „New Age Travellers“ (Aussteiger/Systemverweigerer und Hippies) durchs Land zogen. 1991, bei einem Hippie-Festival, begannen sich diese Szenen zu vermischen, als Spiral Tribe die bisherige Hippie-Idylle mit Acid Techno ein für alle mal beendete. Bereits 1992 gipfelte das Freeparty-Movement in der „Schlacht von Castlemorton“, einem illegalen, selbstorganisierten, kostenlosen „Teknival“ (so fortan die von Spiral Tribe geprägte Bezeichnung für „Tekno-Festivals“) mit über 40.000 BesucherInnen – das von der Polizei gesprengt wurde. In der Folge wurde Spiral Tribe vor Gericht gestellt (und freigesprochen) und die britischen Gesetze dahingehend verschärft, jegliche Art von „Freeparty“ ein für alle mal zu verhindern.

Spiral Tribe ging zur Hälfte ins „Exil“ nach Kontinentaleuropa, um hier bis 1996 eine Schneise des Freetekno-Spirits von den Benelux-Staaten ausgehend über Frankreich, Deutschland, Tschechien, Österreich, Slowakei, Italien, Bulgarien – bis in den Libanon und, über Spanien nach Marokko zu schlagen. Überall dort entwickelte sich eine rege Underground-Tekkno-Szene, die auf Selbstorganisation setzt und Kommerz sowie staatliche Bevormundung ablehnt. So entstanden auch in Österreich die ersten Soundsysteme zu Beginn der 1990er-Jahre, wie etwa Teamtrash, LEGO, Enter, Traxx oder Apacut/Tekwax. Mitte der 90er spaltete sich die Szene im Zuge der Kommerzialisierung, doch umgebracht hat das den Freeparty-Spirit nicht. Er lebt—zumindest im österreichisch-tschechischen Raum—munter in Form dutzender aktiver Soundsysteme, die unkommerzielle und unangemeldete Partys für hunderte und manchmal tausende „Systemflüchtlinge“ (vom kapitalistischen zum Soundsystem!) veranstalten, weiter.

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Vergangenen Freitag also wurde zu einem „Warehouse Rave“ am Rande Wiens mobilisiert. Kurz vor Mitternacht verbreitet sich eine SMS wie ein Lauffeuer: eine Wegbeschreibung, die mit den Worten „links neben dem Tor ist ein Loch im Zaun!“ endet. Spät, aber doch (so gegen halb vier) erreiche ich die Location. Zu diesem Zeitpunkt soll sich der Andrang schon wieder langsam entspannt haben, aber ich brauche dennoch fast zehn Minuten, um mich vom Eingang bis in die Halle im Inneren eines verwinkelten Lagerhallen-Komplexes vorzukämpfen. Kühle, feuchte Rauchschwaden strömen aus der halb geöffneten Flügeltür, die als finsterer Schlund laufend Menschen verschluckt und ausspuckt. Wie in einem Ameisenbau ordne ich mich in die Strömung ein, die mich an vielen Abzweigungen und Räumen vorbei von Lichtpunkt zu Lichtpunkt, von Kammer zu Kammer (Räume, die zwei Gänge verbinden) tiefer ins Innere des Gebäudes führt. Das Gedränge wird immer dichter, stellenweise hört man die Musik gar nicht mehr, die auf der Straße noch so deutlich wahrnehmbar war. Blutverschmierte Zombies kommen mir entgegen (es war Halloween), eine mehrgeschossige Treppe führt endgültig in den sprichwörtlichen Untergrund. Schließlich offenbart sich in einer etwa 70 x 30 Meter großen Halle der Tekkno-Tempel. Vor einer über drei Meter hohen und etwa zehn Meter breiten Boxenwand drängen sich—nach hinten hin locker werdender—mindestens 500 Menschen. In der Ecke befindet sich eine Bar, die so ziemlich alles was man trinken kann zu sozialen Preisen ausschenkt. Im ganzen Gebäude- und Gängekomplex haben sich weitere hunderte Menschen verstreut. Laufend kommen neue Gäste an, während andere schon wieder gehen, insgesamt wohl über 1000 Leute.

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Es herrscht eine ausgelassene Stimmung, wenngleich man in der großen Halle, die abgesehen von der Lichtinstallation auf der Boxenwand (Stroboskope und Laser), der danebenliegenden Bar und einer Leuchtstoffröhre am gegenüberliegenden Ende des Saales überhaupt nicht ausgeleuchtet war, nur schwer Gesichter erkennen konnte. Und oft auch nur im Millisekunden-Takt des Stroboskops. Die Musik ist so laut und wuchtig, dass man im Schallkegel der Boxenwand ohnehin mit niemandem reden konnte. Also wurde hier vor allem hochkonzentriert und in den Bässen versunken getanzt. Jeder Widerstand ist zwecklos!

Um halb fünf wechselt die Musik: Acid Techno ist angesagt—ein Schmankerl für viele Tekkno-LiebhaberInnen. Die häufig von Anfang der 90er-Jahre stammenden Platten genießen aufgrund ihrer ausgefeilten und hypnotischen 303-Kompositionen regelrecht Kultstatus. Die Geschwindigkeit ist eine Spur geringer als bei Hardcore Tekno und zwischendurch werden auch populäre „Rave-Hits“ aus der (kommerziellen) Blüte-Zeit des Technos, mit einem Hauch nostalgischer Ironie, ins DJ-Set eingestreut. Also läuft um 5:45 „Meet her at the Loveparade“ von 1996 (bloß eine Spur schneller und mit härteren, durchgängigen Beats unterlegt). Jubel bricht aus.

Überhaupt genießen Platten aus der frühen Zeit der Tekkno-Bewegung unter den Ravern hohes Ansehen, da sie durch ihre analoge Herstellungsweise mit Drumcomputern, Samplern und Synthesizern eine ganz andere Wirkung entfalten, und die Rhythmen der einzelnen Tonspuren häufig um einiges ausgereifter ineinandergreifen als Produktionen der jüngeren Zeit.

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Bei einem Rave auf dem Gaswerkgelände in Simmering wurde die 90er-Jahre-Nostalgie zur Spitze getrieben. Damals, Anfang November 2012, folgten etwa 700-800 Leute dem Aufruf einiger der bekanntesten Soundsysteme Österreichs auf das historische Gebiet der „Gasometer Raves“—um Acid Techno und Euro- bzw. Italo-Dance—natürlich mit erhöhter Geschwindigkeit und härteren Bässen—abzufeiern. Während die Stimmung im eindrucksvollen Industriedenkmal in Simmering also auf den Höhepunkt zusteuerte, legten die DJs plötzlich eine dramaturgische Pause ein – und versuchten (vergeblich) mit Walzer und Volksmusik die Tekknoheads zu irritieren. Doch die Menge blieb cool, feierte fünf Minuten lang ganz volkstümlich und traditionell – das Gejohle wurde währenddessen immer lauter. Und schließlich, endlich: die heiß ersehnte Erlösung!

Diese Party (2012) endete übrigens gegen 9 Uhr mit einem WEGA-Einsatz (die Location wurde zuvor stundenlang observiert, bis die nötigen Polizeieinheiten mobilisiert waren und das Gelände umstellten). Zu diesem Zeitpunkt war kaum noch ein Viertel der Partygäste anwesend, die sich weitgehend widerstandslos abdrängen ließen. Dennoch kam es zu zwei Festnahmen, nachdem ein WEGA-Beamter gestolpert war. Und es gab mehrere Verletzte, als dessen Kollegen reflexartig auf umstehende Leute einprügelten, da sie von einer Attacke auf ihren Kollegen ausgingen. Als einziges Medium berichtete die Kronen Zeitung über den Vorfall und behauptete dabei, drei Polizisten seien verletzt worden (was sonst niemand bestätigen kann). Die Anlage wurde vor Ort beschlagnahmt, die Halle plombiert. Dennoch konnte die Polizei hier keinen wirklichen Erfolg erzielen. Ein paar Tage später hat sich die Anlage in Luft aufgelöst, ohne dass sich jemand bei der Polizei gemeldet hätte.

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2006 schien sich das Blatt für die Freeparty-Szene vorübergehend zu wenden, als die damalige österreichische Innenministerin Maria Fekter auf den internationalen Repressionszug (nach der brutalen Räumung des CzechTeks 2005 mit unzähligen Verletzten und einem Toten) aufspringen wollte und anlässlich einer von der Polizei gesprengten Tekkno-Party in Niederösterreich die Öffentlichkeit vor der vermeintlichen Gefahr solcher Partys zu warnen versuchte. Sie wies in einem längst legendär gewordenen Sager darauf hin, „dass dies reine Drogenkonsum-Partys sind“ und „das Gefährliche dabei ist der Mischkonsum“. Doch die öffentliche Reaktion blieb weitgehend aus. Kein/e österreichische/r Journalist/in schien zu verstehen, wovon die gute Dame hier eigentlich spricht. Stattdessen hagelte es Parodie-Videos aus der Tekkno-Szene, die in der einen oder anderen Form genüsslich Fekters O-Töne ausschlachteten—das bekannteste ist wohl „Mischkonsum“; weniger bekannt: „Fikter“ vom niederösterreichischen Produzenten Zellkern.

Und so zeigt sich: auch wenn nur noch selten mehr als 1.000 Raver auf eine Party mobilisiert werden können, existiert weiterhin eine lebendige Freeparty-Szene, die vielen Menschen regelmäßig als Ort der Befreiung und Zuflucht dient und sich nicht so einfach aus der Welt schaffen lässt. You might stop the party but you can't stop the future!

Hier gibt es keine Securities und Hausordnung, keine Dresscodes, keine Zutritts- oder Taschenkontrollen, keinen Konsumzwang, keine Sperrstunde. Und das wirklich Absurde dabei: es funktioniert auch noch! Da keine Ordnungs- und Organisationsstrukturen existieren, achten die Leute insgesamt mehr aufeinander, und bei all den Gefahren, die vor allem größere Raves in ungesicherten Hallen mit sich bringen, passiert letztlich doch erstaunlich wenig. Die aggressive Stimmung von Großraumdiscos weicht hier einer stoischen Gelassenheit, wenn man mal jemanden versehentlich auf die Schuhe steigt oder anrempelt. Oder man verwickelt sich in ein nettes (manchmal auch eher wirres) Gespräch. Die Leute kommen vor allem deswegen hierher, um sich voll und ganz den Bässen hinzugeben und sich fallen zu lassen. Und an diesem Bedürfnis wird sich so schnell auch nichts ändern.

Rave's not dead! Die nächste Party kommt bestimmt.

Carl Schranz