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OK, wo war noch mal der Unterschied zwischen Pop-Punk- und Boybands?

5 Seconds Of Summer sind die blink-182 der Generation Y—und es gibt keinen Grund sie deswegen zu hassen.
Emma Garland
London, GB

Gerade macht ein weltweites Phänomen namens 5 Seconds of Summer die Runde—vier australische Teenager, die es geschafft haben, von einer YouTube Coverband zu einer Gruppe zu werden, deren Debüt-EP es mit 143.000 verkauften Kopien in der ersten Woche bis auf Platz zwei der amerikanischen Albumcharts geschafft hat. Das Problem bei 5SOS ist allerdings, dass sie so geschickt auf der Grenze zwischen Punk- und Boyband balancieren, dass sich alle, von Alternative Press bis hin zum Guardian uneinig darüber sind, in welche Sparte sie gehören. Warum ist es denn so schwer, eine Band, die laute Gitarren spielt und vom Rockmagazin Kerrang! zum besten internationalen Newcomer gewählt wurde, als Punkband zu bezeichnen? Die Antwort darauf findet sich irgendwo in den späten 90ern.

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In unseren Erinnerungen haben wir oft dieses Bild von den 90ern als „total alternatives“ Jahrzehnt. Unsere romantischen Rückblicke beschränken sich dabei allerdings fast nur auf diesen flanelltragenden, Fugazi-hörenden, in veganen Kooperativen arbeitenden Schlag von Menschen. Ja, auch die preisgekrönte Serie Portlandia startete mit einem Sketch darüber, wie cool die 90er waren. Was wir dabei aber immer vergessen, ist die Tatsache, dass diese ganzen Erscheinungen nur die Undergroundströmungen einer wesentlich dominanteren Kommerzkultur waren.

Ende der 90er hatten sich große Teile der Jugend für „Teenage Dirtbag“ als Identität ihrer Wahl entschieden. Hollywood feierte einen Typen, der so viel Pech in der Liebe hatte, dass er seinen Schwanz in einen Kuchen steckte, Jackass machte tätowierte Kiffer zu Stars, die sich zum Spaß Bienen in die Hose stopften, Tony Hawk’s Pro Skater war das meistverkaufte Computerspiel und die erfolgreichsten Musiker waren die, die selber zur Minderheit gehören wollten, und die, die ihre eigene Hausparty sprengten, weil sonst niemand aufgetaucht war. Das Klima in der Popkultur war zunehmend offener geworden, so dass auch drei Loser in Dickies zu Rock-Ikonen mit fünffach Platin werden konnten—ja, selbst die Vorstellung, dass Fred Durst mit Britney Spears zusammen ist, schien durchaus im Rahmen des Möglichen. Plötzlich war es cool, uncool zu sein.

Die ganzen coolen Kids, die mich zuvor noch regelmäßig dafür aufgezogen hatten, dass ich schon Jahre zuvor in Baggys rumgelaufen war, fingen 2000 plötzlich an, die ganzen Bands zu hören, die ich auch mochte. Wie aus heiterem Himmel vereinte eine Vorliebe für tannengrüne Kordrucksäcke von Quiksilver Jugendliche unterschiedlichster sozialer Herkunft. Dieser Wechsel hatte definitiv mehrere Gründe, aber wenn ich einen besonders hervorheben müsste, dann wäre das die Veröffentlichung von Blink-182s bahnbrechendem Album Enema Of The State. Es hat schon eine Fülle retrospektiver Artikel gegeben, die sich geradezu poetisch damit auseinandersetzten, inwiefern es sich hierbei um das einflussreichste Pop-Punk-Album aller Zeiten handelte—aber schon damals kam man um seinen Stellenwert einfach nicht herum.

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Ihre Kombination der musikalischen Grundlagen von Bands wie den Vandals, den Descendents und Bad Religion mit der kommerziellen Formel von Boybands, die in den 90ern die Charts fest im Griff hatten, machte Blink-182 zu einer regelrechten Goldgrube. Sie nahmen sich dem Lieblingsthema der Punks an—dem Gefühl der Entfremdung—und verbanden es mit dem Collegehumor der damaligen Zeit. Sie spielten mit dem allgegenwärtigen Unbehagen der Pubertät, indem sie dauernd nackt durch die Gegend liefen, und verarschten das archetypische Bild des Sportlertypen, indem sie pausenlos darüber Witze rissen, bis am Ende alle gleich waren. Es machte plötzlich keinen Unterschied mehr, ob du nach der Schule Bass oder Football spieltest: Man trat sich jetzt sowieso vorwiegend gegenseitig in die Eier. Innerhalb weniger Jahre stiegen Mark, Tom und Travis von Angestellten bei Gary’s Chicken And Ribs zu den Posterboys der Jackass-Generation auf. Sie hatten einen Weg gefunden, Mainstreampop zu machen und trotzdem alternativ rüberzukommen—und sobald sie das geschafft hatten, machten alle es ihnen nach.

Nein, Blink-182 wollten nicht schon immer mehr Pop als Punk sein. Wie jede andere südkalifornische Skatepunkband hatten auch sie damit angefangen, in Kellern und Garagen zu proben, 8-Spuraufnahmen zu machen und Lo-Fi-Demos zu veröffentlichen. Sobald sie dann aber einmal die Formel dafür entdeckt hatten, wie sich die Anti-Establishment-Haltung des Punk perfekt an sich selber verkaufen ließ (drei gutaussehende Jungs, die ein Händchen für Powerchords und eingängige Melodien hatten), kehrten sie nie wieder zu ihren Wurzeln zurück. Zur gleichen Zeit erklommen auch Sum 41, Jimmy Eat World und die All-American Rejects die Charts, gefolgt von einem kurzen, aber extrem lukrativem Aufstieg des Nu-Metal, der Evanescence zu zwei Grammys verhalf und Hybrid Theory zum meistverkauften Album des 21. Jahrhunderts machte.

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Die einzelnen Mitglieder von 5 Seconds of Summer müssen durchschnittlich so um die fünf Jahre alt gewesen sein, als das alles passierte—das dürfte in etwa auch das Alter gewesen sein, in dem die Jungs von Blink-182 waren, als die Descendents Milo Goes To College veröffentlichten. Wahrscheinlich hatten 5SOS ursprünglich davon geträumt, eine Band wie Blink-182 oder Green Day zu werden, als sie dann aber alt genug waren, erkannten sie, dass kommerzieller Pop die Charts dominierte. Die Plätze wurden von gutgeölten Boybandmaschinerien wie One Direction und Union J auf der einen Seite und Sologiganten wie Taylor Swift auf der anderen Seite eingenommen und für eine neue große Pop-Punkwelle wie die in den frühen 00er Jahren schien es 2014 einfach keinen Platz zu geben. Der Aufstieg des Losers war schon passiert, abgeschlossen und gemeinhin anerkannt—genau wie all die anderen Dinge, deren Ablehnung dem Loser in seinen Anfangstagen so einen Erfolg beschert hatte. Die goldene Ära der Nietengürtel und Übergrößenshorts ist ohne Zweifel vorbei: Green Day haben inzwischen ihr eigenes Broadway-Musical, Good Charlottes Madden-Brüder trieben ihren Selbsthass auf die Spitze, indem sie mit Paris Hilton und Nicole Ritchie ausgingen, und das Punk-Power-Pärchen Avril Lavigne und Deryck Whibley geht auch schon lange wieder getrennte Wege. Der kommerzielle Erfolg dieser Künstler erschuf eine Marktlücke, durch die ihnen dann ähnliche Acts hätten folgen können, aber niemandem wollte das so recht gelingen—bis dann 5 Seconds Of Summer auf der Bildfläche erschienen.

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5SOS sind genau die Art von Vorzeigeteenager, die andere Teenager als „rebellisch“ fetischisieren können—einfach nur weil sie sich Flannelhemden um die Hüften binden. Sie sind aber gleichzeitig so harmlos, dass Eltern sich keine Sorgen um einen wie auch immer gearteten schlechten Einfluss machen müssen. Sie tauchten auf, nachdem die kommerzielle Pop-Punkwelle zum erliegen gekommen und den meisten Menschen klargeworden war, dass grüngefärbte Haare nicht automatisch bedeuten, dass man seine Wochenenden schnorrend und kleberschnüffelnd in der Bahnhofsgegend verbringt. Sie sind aber gleichzeitig auch das Produkt von Werten, die mit dem Aufstieg von Social Media an Wichtigkeit gewonnen haben. Sie sind Blink-182 mit einer makellosen PR, bzw. Abercrombie mit einem Augenbrauenpiercing. Macht die Tatsache, dass sie den gleichen Manager wie One Direction haben, sie denn weniger zu einer echten Band? Sie spielen ihre Instrumente selbst und schreiben ihre eigenen Songs über Mädchen, in die sie sich verknallt haben und darüber, man selbst zu sein und sich nicht irgendwelchen Stereotypen anzupassen, und auch über all die anderen Sachen, die man mit Blink-182 verbindet. Und auch sie haben in nur einem Jahr die Entwicklung von der Kellerband in ausverkaufte Arenen vollzogen—dank des regen Interesses großer Plattenfirmen. Selbst die Ähnlichkeit ihrer Musikvideos sind unmöglich von der Hand zu weisen.

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Es ist einfach so, Pop-Punk Bands werden immer Diskussionen um Authentizität heraufbeschwören, da allen Punkströmungen eine berüchtigt geringe Toleranz für „Poser“ und „Sellouts“ gemein ist. Die Fans werden immer die Integrität ihrer eigenen „Szene“ schützen wollen und das bedeutet in der Regel, diejenigen abzusägen, die plötzlich richtig Kohle machen. Wenn du „echten“ Pop-Punk hören willst (will heißen: Bands die deine Eltern nicht kennen), dann seien dir The Story So Far, The Wonder Years, Modern Baseball oder die Gnarwolves ans Herz gelegt—letztere sind in gewisser Weise die Fenix TX von 2014. Ich sehe aber keinen Grund, sich darüber aufzuregen, dass eine Band wie 5SOS als Pop-Punk bezeichnet wird. Im Grunde bedienen sie sich nur der gleichen Formel, die Blink-182 damals nach oben katapultierte, und die „Swing, Swing“ zu jedermanns Lieblingssong machte.

Aber egal wer am Ende wie viel Kohle macht, den meisten Pop-Punk Bands von Home Grown bis zu All Time Low ist eine Sache gemein: Spaß haben. Und, wenn man bedenkt, dass 5SOS dieses Jahr für den Record Store Day eine Single auf Tape veröffentlicht haben, auf deren B-Seite sie einen 31-sekündigen Prügeltrack mit dem Titel „Pizza“ zum Besten geben, dann sieht es ganz so aus, als ob sie genau das tun: Spaß haben. 5SOS schauen zurück auf Blink-182, wie Blink-182 zurück auf die Descendents geschaut haben, und sie nehmen sich ihren Teil von One Direction, genau wie auch Blink-182 sich ihren Teil von den Backstreet Boys genommen haben. Wäre Tom Delonge heute 19 Jahre alt, er würde wohl genau das Gleiche tun.

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