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Ein offener Brief an den polnischen Abgang

"Polnischer Abgang" oder "sich auf Französisch empfehlen" bezeichnet das Verlassen einer gesellschaftlichen Zusammenkunft ohne eine Verabschiedung. Wir lieben dich, Baby.
Foto und Collage von der Autorin.

Lieber polnischer Abgang,

ich weiß, dass meine Freunde unsere Liebe nicht schätzen. Wobei, lass uns ehrlich sein: Sie hassen dich. Immer, wenn wir beide uns zusammentun, werden mindestens zwei oder drei Menschen grantig. Böse. Beleidigt. Sie fühlen sich von mir im Stich gelassen – weil ich dich ihnen vorziehe. Sie halten unsere Liebe für egoistisch und rücksichtslos. Aber keine Liebe könnte ohne ein bisschen Neid und Missgunst gedeihen. Angelina und Brad wissen das. Richard und Cathy auch. Und wir wissen das auch.

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Dabei mussten wir zusammen schon viel schlimmere Zeiten durchleben. Erinnerst du dich an die Jugend? Als es noch ein Drama war, wenn wir zusammen von der Party verschwunden sind? Damals, als weder ich noch meine Freunde Vertrauen in den sicheren Heimweg hatten? Als du noch unbekannt und neu warst? Du hast mir nur ganz leise und leidenschaftlich ins Ohr genuschelt, dass wir ja heim könnten. Aber ich habe mich nicht getraut. Ich hatte Angst vor der gesellschaftlichen Ächtung.

Ich weiß noch ganz genau, wie es zwischen uns beiden angefangen hat. Ich war 16 und wir haben am Klo geturtelt. Damals ging ich noch nicht mit dir nach Hause – sondern wir ruhten uns gemeinsam in einer versperrten Kabine aus. Erinnerst du dich, wie alle geklopft haben, um uns zu stören? Ich erinnere mich an das gestresste und betrunkene Gesicht meiner besten Freundin. Wie sie mir “Oida, echt? Ich dachte, dir ist etwas passiert“ entgegengefaucht hat. Ich musste sie beruhigen und sie beschwichtigen – und ihr damals versprechen, nie wieder mit dir in einer Klo-Kabine zu schmusen.

Die Freundin gibt es nicht mehr. Dich schon. Aber das war erst der Anfang. Wir sind beide süchtig nacheinander geworden. Und wir schmusten immer öfters zusammen. Manchmal in einem Fast Food-Laden. Ich habe ihnen erzählt, ich hole Zigaretten. Und habe mit dir am Tisch im Fast Food-Restaurant bis in die Morgenstunden wild geschlafen. Manchmal in der U-Bahn – die ganze Nacht fuhren die U6-Strecke entlang und entdeckten ungeahnte Stationen und Seiten der Hauptstadt für uns. Wir haben zusammen Wien kennengelernt. Und immer wieder die Klo-Kabine. Es wurde unser Lieblingsplatz. Unser Rückzugsort. Unser Hort der Liebe. Wir waren noch so schüchtern. So unerfahren.

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Irgendwann sind wir älter und mutiger geworden. Und unsere Nähe entwickelte sich weiter. Wir fingen an, zusammen heim zu gehen, wir fingen an, Taktiken des Verschwindens zu entwickeln. Aus dem wilden Geklopfe meiner Freunde wurden Terror-Anrufe im Sekundentakt. Kannst du dich erinnern, als wir einfach das Handy auf leise gestellt und zusammen gekichert haben? Sollen sie doch anrufen – wir brauchten sie nicht. Wir hatten auch so Spaß. Wir brauchten niemanden.

Doch unser harter Egoismus traf mich spätestens am Tag danach – meine Freunde waren böse. Ich musste mich rechtfertigen. Manchmal erfand ich Situationen, um mich zu erklären. Wie: “Meinem Bruder ging es nicht gut, ich musste schnell nach Hause.“ Am Anfang glaubten sie mir noch alle Lügen – sie glaubten, dass unsere Beziehung mit meinem reifenden Alter starb. Diese Narren.

Irgendwann fiel ihnen wieder auf, wie unbeschwert ich Party mache. Wie ich lache. Wie ich trinke. Wie mich kein spätnächtlicher Plan verunsichert. Wenn es hieß: "Ab eins müssen wir weiter zur XY-Party" lachte ich sorglos in den Vollmond hinein. Und verschwand mit dir, wenn mir danach war. Und ihre rasende Wut wandelte sich mit der Zeit in Akzeptanz um. Sie fingen endlich an, dich zu respektieren.

Nun sind wir erwachsen. Und alle lassen uns in Ruhe. Sie sind nicht zufrieden. Sie sind nicht glücklich über uns. Sie sagen, auf mich ist in der Nacht kein Verlass. Vielleicht haben sie Recht. Aber wir sind zusammen gewachsen. Keine Gesellschaft – ob mit drei oder zwanzig Personen – schafft es, dass ich nicht mit dir heimgehe. Ob Homeparty oder Clubbing-Nacht. Wir zwei finden spätestens ab zwei Uhr in der Früh zusammen.

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Ich begrüße sie ohne dich. Gehen tue ich mir dir. Jedes Mal. Ja, vielleicht haben wir keine Manieren. Vielleicht sind uns gesellschaftliche Konventionen egal. Vielleicht stehen wir über dem zementierten Elmayer-Regelwerk der Österreicher. Vielleicht sind wir zu progressiv und frei, um wirklich verstanden zu werden. Aber ich möchte dir für alles danken: Für die Ruhe, wenn ich sie brauche. Für den stresslosen Heimweg. Für das Ersparen von Überredungsreden, warum ich doch bei ihnen bleiben sollte. Für das Erkennen meiner Grenzen, Wünsche und Hoffnungen.

Aber eins noch: Wenn ich dich noch einmal bei einem meiner Freunde sehe, dann werde ich wild. Das ist unhöflich und es gehört sich nicht. Verdammt, Baby. Ich möchte, dass es zwischen uns monogam bleibt – und meine Freunde nicht in deinen Genuss kommen. Nenne mich egozentrisch, nenne mich besitzergreifend. Aber diese Schamlosigkeit haben wir uns zusammen erkämpft. Den anderen steht sie meines Erachtens nach nicht zu.

Hochachtungsvoll, voller inniger Liebe und bis Freitag,

dein größter Fan und Verehrer.

Fredi hat Twitter: @schla_wienerin

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