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Bärte, Joints & Gitarren im Agglo-Horror

Am zweiten Up In Smoke Indoor Festival wurde die goldene Vergangenheit des Rock'n'Roll gefeiert. Statt LSD-Trips gab es Bier aus der Dose und das war gut so.

So klingt der Weltuntergang! Mein Trommelfell fleht mit einem Kitzeln um Gnade, doch ich denke nicht daran, Ohrenstöpsel zu holen und auch nicht daran, mich aus der Schusslinie der aufgedrehten Gitarrenverstärker zu flüchten.

Stattdessen lasse ich das Dröhnen und Grollen von der Bühne über mich hereinbrechen wie die riffgewordene Sintflut und werfe meinen Kopf zum Slow-Motion-Stampfen der Drums vor und zurück. „Headbangen ist Meditation, ist Gebet“, denke ich dabei.

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Kaum eine Band entfaltete an diesem Wochenende eine so kompromisslos nihilistische, reinigende Wucht wie die Extrem-Doomer Conan. Grenzerfahrungen musste man an diesem Wochenende in der Basler Agglo leider suchen. Auch wer wegen dem Line-up aus 90er-Stoner und psychedelischem Retro Rock von einem rauschhaften Hippie-Happening träumte, wurde enttäuscht.

Freitag, 03.10.2014:
Zwischen Autobahn, IKEA und Erotikmarkt liegt die Konzertfabrik Z7 und als ich das braune scheunenartige Gebäude erblicke werden Erinnerungen wach. Erinnerungen an meine Jugend und im Gebüsch versteckte Sixpack Feldschlösschen, weil das Ticket für die Thrash Metaller Testament schon genug schmerzte.

Rock'n'Roll gehört nicht auf idyllische Wiesen wie im Hipster-Paradies Glastonbury und nicht in schicken Hallen wie in Montreux, sondern genau hierhin: in die graue, etwas verstaubte Einkaufs- und Logistikwüste. Schliesslich stammen auch Black Sabbath aus dem verrussten Fabrik-Moloch Birmingham.

Mit neu erwachtem musikalischem Klassenbewusstsein („Eat the rich“ knarzte Lemmy schon in den 80ern!) stürze ich mich also in die zweite Ausgabe des Up In Smoke. Aus der Zeltbühne auf dem Vorplatz kracht die dritte Band des Tages, Wardhill. Das Genfer Trio geht trotz frühem Vorabend und überschaubarer Zuschauerzahl mit Wumms ans Werk.Stoner Rock ist momentan in und so erhalten auch Bands, die es gar nicht verdient hätten, Beachtung.

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The Vintage Caravan zum Beispiel. Die drei Isländer, allen voran der Fronter, nutzen die grosse Z7-Bühne für allerhand Posen. Das Gros der Anwesenden scheint dem Gitarrengewichse, den Fischmund-Grimassen und Schablonentexten wie „Expand your Mind“ zugetan.

Ich sehe darin genau die Oberflächlichkeit, gegen welche Stoner eigentlich kämpfen sollte, so dass ich mich der nächsten Dose Bier und dem Joint eines Freundes (ich hab nie was und kann auch nicht drehen) zuwende.

Mit Headbangen, Dosenbier, Joints und verlabertem Darüberhinwegsehen, dass alles nicht so sphärisch ist, wie es könnte, geht der Abend weiter. Aber ich habe genug Erfahrung, um zu wissen: Es geht weder um Stil (von den Bärten abgesehen, die sind Pflicht) und auch nicht um Bewusstseinserweiterungen. Es geht um lauten Sound und das Abfeiern davon.

Also schüttle ich meine Birne zum verschrobenen Groll-Doom der Italiener Ufomammut. Und ich schüttle meine Birne zum old school Stoner der Kalifornier Fu Manchu, die diesen Stil schon spielten, bevor der Ausdruck überhaupt erfunden wurde.

Ich habe grad akzeptiert,dass der Headliner Blues Pills die letzten 40 Jahre musikalischer Entwicklung ignoriert und trotzdem fantastisch sein wird. (Immerhin erinnert ihre Sängerin Elin Larrson stimmlich an Janis Joplin und befriedigt optisch eher Männerfantasien.)

Da klopft mir jemand auf die Schultern: Andy Longy, Drummer von The Arkanes. Die Liverpooler sind mit Blues Pills und den erwähnten Fischgesicht-Rockern The Vintage Caravan auf Tour, darf aber an diesem Tag nicht auf die Bühne: Zu indie, zu wenig Stoner.

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Dreimal haben sie schon in meinem Club gespielt und genau deshalb sitze ich Minuten später in ihrem Tourbus, den sie mir voller Stolz präsentieren („Like real rockstars!“), trinke Jägermeister mit Red Bull, halte mein Gesicht für verwackelte Selfies hin.

Samstag, 04.10.2014
Es ist Samstagmittag. Zu früh, um dem Rock'n'Roll zu frönen. Ich kenne praktisch alle, die vor der Bühne stehen. Der Grund: Auch die Jungs, denen die undankbare Aufgabe zu teil wird, den zweiten Festivaltag zu eröffnen, sind meine Freunde.

Die Oltner No Mute riffen souverän gegen den Kater an und lassen die nachfolgenden Psychedelic Rocker Black Willows, das darf man ohne falschen Lokalpatriotismus sagen, leblos erscheinen und da ist es nur richtig, wenn Hellroom-Projectors danach das Publikum mit—Achtung, wieder Lokalpatriotismus!—„Hallo Olte, siter do?“ begrüssen.

Als dann mit Greenleaf der erste internationale Act auf der Bühne steht, frage ich mich wieso jemand Stoner Rock auf die grosse Bühne pflanzt. Die Zeltbühne passt einfach besser. Trotz ihrer weissen Erdöl-Wände, trotz ihrer Dorffest-Atmo.

Aber mit dem nächsten Bier finde ich während den Performances von The Socks mit ihrer Uriah Heep-Orgel und den bluesigen Lonely Kamel in dieFeierlaune zurück. Bei Dozer lande ich sogar im Moshpit und schere mich wie Punk-Zeiten nicht darum, an welchen schweissigen Typen ich grad geklatscht werde.

Es ist ein langer Tag und gegen den Abend falle ich in ein Formloch. Ob Allunah, Mars Red Sky oder der aufgewärmte „Low Desert Punk“ von Brant Björk: Es plätschert an mir vorbei und so hole ich mir eine Bratwurst und Pommes am Fressstandund lese im hauseigenenen Z7-Magazin, dass der Besitzer Norbert Rassismus und Xenophobie überhaupt nicht gut findet. Viel mehr kann man auch nicht machen, denn das Gelände hat im Vergleich zu anderen Festivals kaum Umschwung.

Bei den New Yorkern Acid Rockern Naam stehe ich dann doch in der ersten Reihe. Die einzige Band auf dem Billing, die keine Gitarren auf der Bühne hat, dafür mit einem Tasten-Hexer aufwartet, der mit Ledermantel, Sonnenbrille und Schlapphut auch einen Bond-Villain geben könnte, ist eine wohltuende Abwechslung und wer am Ende das Drumset in Schutt und Asche legt, hat sowieso gewonnen.

Zumindest einen zum Abschluss, denn zum Abschluss gelingt es Kadavar doch noch, so etwas wie mystisches Rockgötter-Flair heraufzubeschwören. Die drei Berliner Rauschebärte erinnern mit kompromissloser Intensität daran, was Rock'n'Roll früher einmal war: Aufbegehren, Ekstase, Magie. Heute ist es der Soundtrack zum Feiern mit Dosenbier und Freunden.