FYI.

This story is over 5 years old.

Interviews

Der Sum 41-Sänger Deryck Whibley hätte sich fast zu Tode gesoffen

Wir haben mit dem Pop-Punker über seinen Zusammenbruch und sein neues, abstinentes Leben gesprochen.

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Deryck Whibley

Als letztes Jahr im Internet Handyfotos von einem körperlich schwer gezeichneten und ans Bett gefesselten Deryck Whibley auftauchten, war das geradezu verstörend. Vor ziemlich genau einem Jahr, am 15. April, brach der Sum 41-Frontmann und letzte Verbliebene der Originalbesetzung in seiner Küche mit einem Drink in der Hand zusammen. Seine Verlobte, das Model Ariana Cooper, brachte ihn sofort ins Krankenhaus, wo die Ärzte dann ein akutes Leber- und Nierenversagen als Folge von Whibleys exzessivem Alkoholmissbrauch feststellten. Es schien ganz so, als würden die zahlreichen Jahre schweren Trinkens und pausenlosen Tourens nun ihren Tribut zollen.

Anzeige

Spätestens seit der Veröffentlichung des ersten Sum 41-Releases, Half Hour of Power, 2000 fingen die damals noch jugendlichen Punks an, die Sau rauszulassen—man musste dem selbstzerstörerischen Image als Skatepark-Hooligan ja schließlich auch gerecht zu werden. In den folgenden zehn Jahren pausenlosen Tourens traten die pubertären Späße bei Whibley bald in den Hintergrund und Shots nahmen bei ihm die Überhand: „Solche Partys werden irgendwann zur Norm. Es ist alles, was du kennst, und du siehst auch keinen Weg daran vorbei“, sagt er Noisey am Telefon von seinem Zuhause in L.A. aus. Allein 2001 spielten Sum 41 mehr als 300 Shows, perfektionierten so ihren melodiösen Pop-Punk und schafften es mit ihrem ersten richtigen Album All Killer No Filler in den globalen Mainstream. Danach veröffentlichten Sum 41 noch vier weitere erfolgreiche Alben, die kaum oder nur wenig von ihrer radiofreundlichen Formel abwichen. Sie machten sich schon bald einen Ruf für ihre schier unermüdliche Arbeitsethik. Die Sache ist nur die, dass die meisten Süchtigen zu einer Substanz greifen, um auch weiterhin in einem hektischen Umfeld zu funktionieren.

Mit inzwischen 35 Jahren hat Whibley alle Mühe, den Erwartungen der Labels und der Millionen von Fans gerecht zu werden. Er sagt, dass er sich von manchen Leuten habe ausnutzen lassen. Zusammen mit den übrigen emotionalen Verletzungen scheint er der perfekte Kandidat für regelmäßige Rehab-Besuche zu sein. Erschwerend kommt noch dazu, dass Sum 41s Terminkalender in all den Jahren nie leerer wurde. „Es ist eine Menge Stress, es ist ein harter Lebensstil. Es ist schwer, bei diesem Tempo mitzuhalten, ohne irgendetwas zu verwenden, um damit klarzukommen. Ich habe getrunken, um in Fahrt zu kommen. Es kam oft vor, dass ich gar nicht trinken wollte, aber ich war so müde, dass nur eine ordentlich Ladung Jack mich noch raus auf die Bühne bekam.“ Nach der drei Jahre andauernden Tour für das 2011er Album Screaming Bloody Murder erreichte Whibley einen kritischen Punkt. „Das war die längste Tour, die wir je für ein Album gemacht hatten, und es war das erste Mal in unserer ganzen Laufbahn, dass ich endlich mal eine Pause einlegen wollte“, sagt er. „Normalerweise habe ich sofort danach immer damit angefangen, ein neues Album zu schreiben, aber dieses Mal sagte ich einfach, ‚Fuck it!’, und begann zu feiern, was dann quasi ein ganzes Jahr lang andauern sollte.“

Anzeige

Als er dann begann, auch am Morgen zu trinken, um den Kater zu überstehen, lief sein Alkoholismus endgültig aus dem Ruder. Das bittere Ende war dann der oben genannte Zusammenbruch in seinem eigenen Zuhause. „Es ist unglaublich schwer, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Das war es auch, was mich in diesen Zustand brachte“, sagt Whibley. Sobald er in das Krankenhaus eingeliefert worden war, wurde er umgehend in ein künstliches Koma versetzt und für eine Woche ruhiggestellt—auch damit sein Körper die Entzugserscheinungen verkraften konnte. „Eine Woche später wachte ich auf und fühlte mich ziemlich gut“, sagt er. Dann merkte er aber, dass er an verschiedene Infusionsgeräte angeschlossen war. „Da erkannte ich, dass es schlecht um mich stand. Die Ärzte sagten mir, dass ich froh sein könnte, noch am Leben zu sein, und dass weiterhin die Möglichkeit bestehen würde, dass ich das hier nicht überlebe.“ Während seiner Genesung über die nächstens Monate gab es Komplikation, darunter auch innere Blutungen und Muskelschwund. Seine Ärzte gaben ihm dann schon sehr bald zu verstehen, dass er in seinem Leben nie wieder trinken dürfe.

„Mental habe ich noch nicht mal das Verlangen zu trinken“, sagt er. „Hätte ich es nicht fast bis zu meinem Tod getrieben, hätte ich vielleicht das Gefühl, etwas verpassen—aber ich verpasse nichts. Ich bin fertig damit. Ich hatte auf jeden Fall genug und es macht noch nicht mal so viel Spaß.“ Whibley hat das letzte Jahr dann dafür genutzt, sich zu erholen. Im März sah man ihn dann zum ersten Mal wieder mit seiner Verlobten in Hollywood, die—zusammen mit seiner Mutter—eine der Hauptstützen in dieser schweren Zeit war. Whibley sagt, er habe seinen Freundeskreis radikal verkleinert: „Es war eine der ersten Entscheidungen, die ich als nüchterner Menschen getroffen habe, diejenigen Menschen auszuschließen, die ich nicht in meinem Umfeld brauche.“ Das ist Teil seiner Genesungsstrategie—zum ersten Mal als Erwachsener passt sich Whibley einem abstinenten Lebensstil an. Als das letzte wirkliche Überbleibsel der großen Pop-Punk Dynastie der 2000er plant Whibley, seine Herrschaft auch weiterhin fortzuführen so gut er kann. Diesen Monat sind Sum 41 im Studio, um Songs für ihr sechstes Album aufzunehmen—und das Management arbeitet gerade an einer Tour.

Anzeige

Noisey: Wie kommst du mit deiner Genesung voran?
Deryck Whibley: Ich habe immer noch Probleme mit dem Gehen. Weil ich so lange im Krankenhaus war, ist einfach alles verkümmert—meine Muskeln, einfach alles. Ich konnte lange Zeit gar nicht laufen und ich bin immer noch dabei, wieder einen normalen Gang zu bekommen. Die Ärzte sagen, dass ich schnell Fortschritte mache, aber für mich fühlt sich das alles sehr langsam an. Ich kann es kaum abwarten, wieder auf der Bühne zu stehen. Ich weiß einfach nichts mit mir anzufangen. Ich habe das Gefühl, dass ich wieder bereit bin. Das ist das Einzige, was mich dazu motiviert hat, weiterzumachen und hart zu arbeiten. In meinem Leben dreht sich alles darum, wieder auf die Bühne zu kommen. Musik ist wirklich mein einziger Lebensschwerpunkt, seit ich im Krankenhaus gelandet bin—ich dachte ja nie, dass ich irgendwann mal sterben könnte. Ich schaue zurück und sehe, wie viel schlimmer es hätte kommen können. Ich hätte noch viel mehr gesundheitliche Probleme bekommen können—zumindest meine Leber ist in Ordnung! Mein Körper hat einfach die Notbremse gezogen, bevor noch mehr Schaden angerichtet werden konnte. Ich bin aus der Sache ohne eine Leberzirrhose oder eine Transplantation herausgekommen. Es hätte schlimmer kommen können.

Soweit ich weiß, ist der erste und wichtigste Schritt aus der Sucht die Akzeptanz.
Ja, das war eine große Sache. Man fühlt sich wie ein totaler Vollidiot. Dann akzeptiert man das—es hätte ja nicht so kommen müssen. Wenn du aber noch mittendrin steckst, siehst du das nicht als Problem. Du kommst vielleicht aber an einen Punkt, an dem du siehst, dass es nicht … nicht gut ist. Es gab eine Menge Reaktionen in die Richtung von, „Pfff, ich wusste, dass das passiert“, oder, „Ich hab’s dir doch gesagt.“ Ich weiß, dass ich viel zu jung für ein Leberversagen bin. Vielleicht wäre es irgendwie OK gewesen, wenn ich 30 Jahre lang hart durchgesoffen hätte? Aber jetzt gerade bin ich einfach viel zu jung dafür.

Anzeige

Bist du denn in gewisser Weise, also was deine Abstinenz angeht, vielleicht sogar froh, dass das passiert ist?
Ich glaube, es geschah zur richtigen Zeit in meinem Leben. Ich bin ganz froh, dass es mir jetzt passiert ist und nicht erst mit 50 oder so. Mein Körper hätte das dann wohl nicht mehr gepackt. Es ist aber natürlich nicht gut, dass es überhaupt so weit kommen musste. Wie auch immer, ich fühle mich jetzt besser denn je. Ich bin gesünder. Ich bin besser in Form, als ich es je war. Ich bin produktiver. Na gut, ich war immer schon sehr produktiv, aber ich war vielleicht auch einfach nur gut darin, ein funktionierender Alkoholiker zu sein.

Ab welchem Punkt deiner Genesung hast du wieder angefangen Musik zu schreiben?
Ich schrieb schon im Krankenhaus wieder. Sofort, ich sang und notierte mir Sachen. Als die Ärzte mir sagten, dass mir ein langer Genesungsprozess bevorsteht, meinte ich nur, „Was soll das heißen? Ich muss dieses Jahr noch eine Platte rausbringen!“ Sie sagten mir dann, dass ich für mindestens ein Jahr, wenn nicht sogar für zwei, nicht auf Tour gehen könnte. Ich sagte ihnen aber, dass ich ein Album aufnehmen und touren werde. Sie lachten mich aus. Tja, jetzt bin ich hier, schon zur Hälfte mit der Platte fertig.

Reflektierst du in deinen neuen Songs, was passiert ist?
In gewisser Weise schon. Man kann auch schlecht so etwas durchmachen, ohne dass es sich in der eigenen Arbeit niederschlägt—aber generell scheint mein Leben immer schon in meiner Musik durch. Es findet seinen Weg dorthin, auch ohne, dass ich direkt darüber spreche. Ich schreibe zum Beispiel einen Song namens „Goddman, I’m Dead Again“. Es gibt auf dem Album soweit ein oder zwei Songs zu der Sache, aber es wird sich nicht alles darum drehen. Aber frag nur jeden anderen, der Lieder schreibt: In der Regel wissen die am wenigsten, wovon ihre Songs handeln. Ich würde sagen, 80 Prozent meines Tages besteht aus Physiotherapie, der Rest dann aus Schreiben und Aufnehmen.

Anzeige

Es ist also quasi eine zweite Chance für dich.
Ja, das ist es! Es passieren gerade viele aufregende Sachen. Vieles ist einfach neu für mich. Ich habe zuvor nie etwas nüchtern gemacht. Seit ich 17 war, habe ich ständig getrunken und viel gefeiert. Auf Tour dann auch wirklich pausenlos—ich habe mir nie eine Pause gegönnt. Jetzt habe ich diese ganze neue Welt vor mir und merke, dass es viele Dinge gibt, die ich noch nie gemacht habe. Ich würde nicht sagen, dass ich irgendetwas verpasst habe. Es ist mehr, dass ich manche Sachen bis zu diesem Punkt in meinem Leben beiseite geschoben habe.

Hast du Angst davor, wieder auf Tour zu gehen?
[lange Pause] Ich habe schon etwas Angst. Nicht wirklich Angst davor, wieder zu trinken, sondern ich hoffe eher, dass mein Balancegefühl bis dahin wieder OK ist. Ich will nicht einfach hinfallen. Aber eigentlich weiß ich es jetzt auch noch gar nicht. Ich weiß nicht, wie das alles wird. Ich werde es nicht wissen, bis wir wieder auf der Bühne stehen. Es könnte aber genau so gut das Beste werden, was ich je in meinem Leben gemacht habe. Könnte ich jetzt auf Tour sein, dann wären wir das jetzt bestimmt auch. Wir arbeiten aber daran. Wenn es eine Bühne gibt, dann spiele ich auch da drauf.

Folgt Adria Young bei Twitter—@adriayoung

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.