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Musst auch du Chet Faker lieben?

Chet Faker wird von allen geliebt, Radio und Presse zugleich, und du musst dich fragen, ob du ihn auch lieben solltest. Nächste Woche erscheint sein Debüt, der Tag der Wahrheit.

Es gibt einen sehr schmalen Grat zwischen einem semi-bekannten Künstler, der Everybody’s Darling ist und von allen, die ihn kennen, geschätzt und geliebt wird, und einem ehemaligen Hype, der im Radio gespielt, langsam von allen fallen gelassen wird und niemand mehr zugeben möchte, dass er ihn vor, während oder sogar noch kurz nach dem Hype mal gefeiert hat. Dieser Grat stellt oft den entscheidenden Punkt der Karriere dar, die meisten fallen auf dem Weg entweder nach links, zurück in die szenige Unbekanntheit, oder nach rechts, rein in die Mainstream-Schiene, die in die gleiche Richtung wie die Uncoolness-Schiene reicht.

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Genau auf diesem schmalen Grat befindet sich Chet Faker gerade.

Seit der Australier Nicolas James Murphy vor ein paar Jahren seine Coverversion von „No Diggity“ als Chet Faker in das gefährliche Internet hochlud und gezwungen war, die Hype-Maschine und die darauffolgenden Erwartungen selbst zu erleben, wird er von den meisten, die ihm mal gehört haben, geliebt. In den letzten drei Jahren hat Chet zahlreiche Konzerte und Festivals gespielt, The Temper Trap und Bonobo auf ihren Touren supportet, eine Solo EP veröffentlicht und—man könnte fast sagen—gefeatured wie eine Hure. Dabei ist auch die EP Lockjaw zusammen mit Flume entstanden, für die die beiden Australier mehr als gelobt wurden.

Die Zeit, die sich der Melbourner genommen hat, um dann sein erstes Album fertigzustellen, war länger als üblich und länger, als es ihm jedes Label wahrscheinlich empfohlen hätte. Nächste Woche muss sich Chet Faker aber dann vor der ganzen Welt entblößen, wenn sein Debütalbum Built On Glass erscheint. Dass seit der Geburt des Projekts schon fast vier Jahre vergangen sind, hat zwar den Vorteil, dass er sich seitdem eine kontinuierlich wachsende Fanbase aufgebaut hat, aber gleichzeitig erwartet diese—und vor allem auch die Musikpresse—jetzt so einiges von der bevorstehenden Platte.

Warum Chet Faker seine Platte nicht schon viel früher veröffentlicht hat, hat verschiedene Gründe. Zum einen wollte er mit seinen Features und Produktionen noch mehr Kreativität für die Eigenproduktion sammeln, vielleicht etwas Zeit schinden, damit sein Erstwerk rundum noch perfekter wird, zum anderen hatte er vor der Unterschrift bei Future Classics letztes Jahr nie ein forderndes Label im Rücken, nur das US-Indie-Label, Downtown Records. Allerdings scheint Chet Faker auch nicht der Typ zu sein, der sich von jemandem reinreden lässt oder sich an Regeln hält, stattdessen macht er seine Musik so, wie er sie haben will—nicht wie andere es erwarten.

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Das merkt man schon beim ersten Hören von Built On Glass. „Cigarettes & Loneliness“ ist da so ein Beispiel. Der Vocaltrack, der beinahe acht Minuten lang ist, wendet sich gegen alle Regeln eines Hits und ist trotzdem oder genau deswegen einer der besten Tracks des Albums. Die wenigsten schaffen es, dich acht Minuten lang auf einem Track, der keine Techno-Vierviertel-Bassdrum hat, am Ball zu halten, und dir eine kontinuierliche Geschichte zu erzählen, die dich nicht langweilt. Die Kunst daran ist es, dass du nach den acht Minuten nicht einmal gemerkt hast, dass der Track keine Standard-3-Minuten hatte. Auch Tracks wie „Lessons in Patience“ oder Interludes wie „No Advice“ klingen sich eben so lange aus, wie Chet es für angemessen hält. Er lässt sich, genau wie in den letzten drei Jahren, überhaupt nicht hetzen.

Ebenso auffällig auf dem sonst sehr cleanen Album ist das anziehende Tempo ab der zweiten Hälfte. In bestehenden Regeln gesprochen könnte man es als aufbauende Spannung bezeichnen, aber das ist es keineswegs. Im Gegenteil, sind die ersten sechs Titel, die dann von dem Interlude „/“ beendet werden, alles andere als Vorboten von Spaß und Spannung. Sie sind keine Lieder, die dich in das Album ziehen und dich bei der Stange halten—jedenfalls nicht, wenn du dich nicht dafür interessierst. Wahrscheinlich werden deswegen auch die wenigsten nach dem ersten Hören erkennen, wie gut dieses Album wirklich ist.

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Denn Built On Glass gibt sich keine Mühe, dich zu fesseln. Wenn du dich aber darauf einlässt, dann fesselt es dich gern und heftig. Die zweite Hälfte des Albums erinnert dann auch mehr an den Chet Faker von Thinking In Textures, seiner ersten Solo-EP, die viel beatlastiger, elektronischer ist und weniger Vocals hat. Ein Gesicht, das ihm zwar ebenso gut steht wie der innige Soul, hinter dem aber mehr außergewöhnliches Talent schlummert. Dass Built On Glass in zwei Teile geteilt ist, die allzudeutlich mit einem „This is the other side of the record, now relax some more, drift a little deeper, as you listen“ aufgeteilt wird, liegt aber nicht nur an der Stimmung und Atmosphäre der Tracks, auch an der Themenlage. Der Sänger bezeichnet den ersten Teil als Pre-Break-Up, den zweiten als Post-Break-Up. Und auch wenn die Euphorie im zweiten Teil mit dem Tempo nach oben geht, bleiben die Texte durchweg nachdenklich und ernst.

Built On Glass wird in einer Woche in die CD-Regale gestellt und die große Hoffnung Chet Faker entblößen. Seine bedingungslosen Fans werden es lieben, so wie sie alles von ihm lieben, selbst wenn er eigentlich gar nichts tut. Seine andern Fans werden es kritisch beäugen, die Musikpresse auch, aber wahrscheinlich auf den Nenner kommen, dass es ein solides, souliges und gutes Album ist, ein passendes für das Chet Faker-Debüt, aber kein besonders facettenreiches, wie es ein Chet Faker hätte bringen können. Ist Built On Glass ein Meisterwerk? Nein. Aber wir können von ihm definitiv noch ein Meisterwerk erwarten, das hört man auch in seinem Debüt.

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Der schmale Grat, auf dem sich Chet Faker gerade bewegt, ist durchaus ein gefährlicher. Und auch wenn die meisten nach links oder rechts fallen, gibt es noch einen anderen Weg. Und zwar den Schritt nach vorne. Immer mal wieder gibt es einen Ausnahmekünstler, der ohne Probleme die Balance zwischen ‚anerkannt‘ und ‚mainstreamig‘ schafft und den Schritt nach vorne kriegt, ganz einfach weil er so gut ist. Diese Künstler bringen kein Album zweimal raus, sie entwickeln sich ständig weiter, leben ihre Kreativität aus und machen die Musik der Musik willen, weil sie sie in diesem einen Moment genau so fühlen. Eben mit so einem Künstler haben wir es bei Chet Faker zu tun. Genau deswegen unterscheidet sich sein Debütalbum auch so von seiner ersten Solo-Ep und von seiner zweiten Kollabo-EP. Und genau deswegen wird sein nächstes Album in eine komplett andere Richtung gehen. Vielleicht rasiert er sich für sein Zweitwerk seinen markanten Vollbart ab und erfindet sich komplett neu, vielleicht wird das nächste Album auch das Meisterwerk, für das er einen Stern auf der Hall of Fame bekommt. Bei Built On Glass, seinem Albumdebüt, haben wir es mit dem cheesy Soul-Werk zu tun, das es wohl nur einmal in seiner Karriere geben wird, das man sich mehr als einmal zu Gemüt führen sollte und das genau das richtige Debüt für den jungen, emotionalen und reflektierten Nicolas James Murphy ist.

Musst also auch du Chet Faker lieben, so wie alle es tun? Nein, musst du nicht, aber du wirst. Warte nur mal ab.

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Built on Glass erscheint am 11. April 2014 bei Future Classic. Bestellt es bei iTunes oder Amazon.

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