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Manche Frauen benutzen das Fortgehen als Verhütungsmittel

Saufen und Party zu machen, um nicht schwanger zu werden ist genauso bescheuert wie es klingt.
Foto: VICE Media

Wenn man in Google die Schlagwörter "Abtreiben Zuhause" oder "Verhütung Hausmittel" eingibt, kommen mehr als genug Forum-Beiträge zu diesem Thema. Meistens sind es Foren speziell für Frauen – und meistens fragt eine verzweifelte, anonyme Person nach einem Hausmittel. Nach über zwei Stunden, die man in Foren verbringt, zeigt sich ein klares Bild: Eine Frau ist verzweifelt, zehn Frauen beschimpfen und diskreditieren sie. "Dann hol dir doch die Pille danach", "Geh doch zum Arzt, wie blöd bist du" und "Es gibt so viele Frauen, die nicht schwanger werden können, was ist los mit dir", sind einige der wenigen Antworten, die immer wiederkehren. Die Fragestellerinnen melden sich dann auch nicht mehr – ob aus Scham oder aus Angst – zu Wort.

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Leider ist es nicht ganz so schockierend, dass besonders junge Frauen ihre Sorgen und Zweifel nicht mit der Familie oder ihrem Sexualpartner besprechen. Manche nicht mal mit ihrem engsten Freundeskreis. Zum Arzt wollen viele nicht gehen – eine Abtreibung ist für viele Frauen auch finanziell nicht alleine tragbar. "Zum Arzt zu gehen bedeutet auch einzugestehen. Es bedeutet, dass man dieses Problem dann wirklich hat. Dazu war ich nicht bereit", erzählt mir Petra ( Alle Namen von der Redaktion geändert). Petra ist eine von den drei Frauen, die – wenn sie ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten – am liebsten fortgehen.

Screenshot via rund-ums-baby.de

"Es ist ja nicht so, als würde ich nicht sowieso ausgehen. Ich saufe ja sowieso am Wochenende. Ich nenne es nur Verhütungssauferei, wenn ich am Mittwoch Sex hatte und das Kondom geplatzt ist", sagt Lisa, die – anders als Petra – das Thema locker sieht. Petra und Lisa gehören zu der Gruppe von Frauen, die daran glauben, dass ein schlechter Lebenswandel eine Schwangerschaft nicht möglich macht oder gar abbricht. "Wenn ich fortgehe, dann schade ich einfach meinem gesamten Körper. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mit meiner Gewohnheit etwas in mir überlebt. Eigentlich gehe ich nicht davon aus, dass ich tatsächlich schwanger bin. Aber das Fortgehen ist eine Absicherung", sagt mir Lisa, die keine Sorgen bezüglich einer Schwangerschaft hat.

"Ich habe eigentlich nie Sex ohne Verhütung, aber letztes Mal ist es einfach passiert. Ich war in einem Land, in dem ich mir nicht einfach so eine Pille danach holen konnte – also habe ich mich mit meinem Ex-Freund elendig besoffen", sagt Steffi, die als dritte Frau mit mir über diese Taktik gesprochen hat. "Ein Arzt war auch nicht in der Nähe – und ganz ehrlich, so oft wird man eh nicht schwanger", setzt sie nach. Genauso sieht es auch Lisa: "Weißt du, eigentlich kann man nur während dem Eisprung schwanger werden. Alles andere ist eine hormonelle Belastung für meinen Körper. Mit dem Saufen wirke ich in meinem Kopf einer Schwangerschaft entgegen – und bis jetzt hat es geklappt. Meine Freundinnen machen das ähnlich."

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Lisa, Petra und Steffi sind intelligente, junge Frauen. Steffi und Lisa und studieren, Petra steht mit beiden Beinen fest im Leben. Alle drei sind über 20 Jahre alt. Hier handelt es sich also nicht um ein "Teenager werden Mütter"-Phänomen. Steffi erzählt mir, dass eine Freundin von ihr mal nach einem positiven Schwangerschaftstest nach Berlin geflogen ist, um dort Party zu machen – und am Ende der Reise nicht mehr schwanger war. Die Logik von dieser Art zu verhüten oder gar abzutreiben ist einfach – man schadet seinem Körper so lange, bis dieser nichts mehr gedeihen lässt.

Keine der drei Frauen hatte eine tatsächliche Abtreibung, alle drei verhüten mit Kondomen. Auch ich kenne diese Logik aus meiner Umgebung – es scheint mir also doch keine Nischentaktik zu sein. Dr. Gill, der mir Antworten auf meine Fragen gibt, scheint nichts desto trotz überrascht. "So einen Schwachsinn habe ich in 30 Jahren nicht gehört." Dass es keine Tatsache ist, die man stolz dem Arzt erzählt, verschweige ich lieber.

Screenshot via rund-ums-baby.de

"Natürlich lässt ein exzessives Wochenende weder eine Schwangerschaft abgehen, noch eignet es sich zur Verhütung – außer die Schwangerschaft wäre sowieso abgegangen." Er erzählt mir, dass er drogenabhängige und alkoholkranke Patientinnen hat, die – abgesehen von den Entzugserscheinungen – gesunde Babys zur Welt bringen. Das macht auch Sinn – wieso sollte eine Schwangerschaft bei einer Süchtigen nicht abgehen, aber bei bei einer jungen Frau schon? Ich frage ihn, ab wann so ein Vorgehen so richtig gefährlich werden könnte – abgesehen von der offensichtlichen Schädlichkeit dieses Unterfangens. "Ab der vierzehnten Schwangerschaftswoche, ist das Gehirn entwickelt – ab da schadet man den Fötus massiv mit Alkoholgelagen." Petra sagt mir, dass man auch auf andere Hausmittel zurückgreifen kann – wie zum Beispiel Petersilie zu essen. Ich frage den Arzt, ob er von so etwas gehört hat.

"Natürlich gibt es Kräuter, die einen Abgang begünstigen – aber dieses Wissen besitzen wir heutzutage nicht mehr. Vor 200 Jahren war Kräuterkunde ein Großteil der medizinischen Hilfsmittel. Als ich letztens in Kenia war, habe ich gesehen, wie ein Buschdoktor eine Verbrennung mit einer Kräutersalbe in zwei Tagen geheilt hat. Mit unserer Medizin wären sechs Tage notwendig. Also ja, es gibt wahrscheinlich Hilfsmittel und Kräutermischungen – aber Petersilie essen gehört nicht dazu." Dr. Gill ist entsetzt darüber, wie wenig junge Frauen von ihrem Körper wissen – und ich muss ihm da recht geben.

"Trisomie 21 ist eine Gen-Krankheit. Nicht das Resultat von einem desaströsen Lebensstil", antwortet er mir auf die Frage, wie es sein kann, dass eine ehemalige Drogensüchtige, die schon länger abstinent lebt, ein Kind mit Down-Syndrom geboren hat. "Spermien funktionieren anders als Eierstöcke. Frauen nehmen mehr Schadstoffe in ihrem Körper auf. Wenn ein Mann aufhört zu rauchen, hat er bereits in ein paar Wochen qualitativ hochwertiges Sperma. Das ist bei Frauen nicht so." Wir unterhalten uns noch über Wege zu verhüten oder eine Schwangerschaft zu verhindern. Zum Schluss sagt er: "Wir leben in einer sexuell freizügigen Zeit. Da ist Verhütung wichtiger, als damals. Man sollte die Gefahren – abgesehen von einer Schwangerschaft – nicht unterschätzen."

Informationen gibt es wie Sand am Meer – trotzdem scheint es so, als würden die meisten erwachsenen Frauen mit ihrem Wissen aus der Schule leben. In meiner eigenen Umgebung besuchen durchschnittlich zwei von zehn Frauen regelmäßig den Frauenarzt. Dr. Gill hat eine ähnliche Statistik im Kopf. Wenn man die Risiken von HPV, diversen anderen Geschlechtskrankheiten und Halbwissen betrachtet, sind es viel zu wenige Frauen, die einen Arzt aufsuchen. Leider zähle ich zu den acht Frauen, die das letzte Mal vor Ewigkeiten beim Frauenarzt waren. Man ist ja jung und gesund – aber verdammt uninformiert. Also gehe ich mich jetzt informieren. Bei einem Arzt. Ich versuche weniger mit meinem Hausverstand oder dem Internet zu denken – und werde zur Expertin meines Körpers. Und ich werde strenger bei meinen Freundinnen sein – die Folgen von so einer Sauf-Verhütung sind nicht so lustig, wie der Name es vermuten lässt. Ich habe mir jetzt einen Termin ausgemacht. Ihr solltet es auch.

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