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Lieber HipHop, wir müssen über Ghostwriting reden!

Immerhin geht es hier um HipHops heiligstes Gut: die Authentizität.

„I signed up for Greatness, this comes with it“, so Aubrey „Drake“ Graham in einer Nachricht an einen Fan. „This“, das sind dieser Tage lautstark geäußerte Vorwürfe, Drake würde seine Texte von Dritten schreiben lassen. Auf der Kläger-Seite stehen der mehrfache Drizzy-Kollaborateur Meek Mill, sowie der altgediente DJ-Recke Funkmaster Flex.

Seit Meek Mills Twitter-Tirade vom vergangenen Mittwoch ist eine Menge passiert. Der angebliche Drake-Ghostwriter Quentin Miller stellte klar: „I am not and never will be a Ghostwriter!“ Funkmaster Flex teilte einen angeblichen Reference-Track für Drakes „10 Bands“, auf dem mutmaßlich besagter Miller Drakes Strophen rappt. Der Beschuldigte selbst antwortete erst am Wochenende, im Rahmen seiner OVOSOUND-Radioshow auf iTunes Music. „Charged Up“ ist zwar kein Disstrack per se, scheint aber eindeutig die Meek-Situation zu adressieren: „Wow, I’m honored that you think this is staged.“

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Was Meek Mill zu seiner Tirade bewog, was Nicki Minaj damit zu tun hat und wie es nun weiter geht, dass ist eigentlich gar nicht so wichtig. Interessant ist viel mehr die Diskussion, die diesen Streit in Gang gesetzt hat. In ihm geht es immerhin um HipHops heiligstes Gut: die Authentizität.

The whole game know forreal they scared to tell the truth! I can't wait tok these guys and sit back and act like they don't know!

— Meek Mill (@MeekMill) July 22, 2015

Quasi im Gründungsmythos des Genres steht festgelegt, dass der Rap-Künstler das, was er vorträgt, auch verkörpern muss. Wenn nun also ein Drake, einer der einflussreichsten Künstler der von Kanye West geprägten HipHop-Generation, nur ein Produkt seiner Ghostwriter wäre, wäre damit ein Monument gestürzt. Drake wurde zwar immer von vielen kritisiert, seine Musik sei zu weich und poppig, hat aber dennoch dem gesamten Genre seinen Stempel aufgedrückt und auch deswegen viel Kritiker-Lob eingeheimst, weil er in seinen Texten sein Neureichen-Leben so schonungslos seziert hat wie kaum ein Künstler vor ihm. Aber nicht nur das: Vor allem Nothing Was The Same und If You’re Reading This It’s Too Late waren auch Machtdemonstrationen, auf denen Drake in vielen Dingen Maßstäbe gesetzt hat, an dem sich der Rest der HipHop-Welt zu messen hatte. Die Beats folgten keinem Schema F, waren aber immer großartig, und das Gespringe zwischen Singen und Rappen, pathetischer Emotionalität und imponierender Ignoranz, beherrschte Drake derweil so virtuos, dass ihm absolut niemand mehr an den Karren pinkeln konnte.

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Wenn jetzt herauskommen würde, dass Aubrey Graham tatsächlich Texte einrappt, die ein anderer eine Nacht zuvor geschrieben hat, würde das tatsächlich all diese Qualitäten schmälern. Allerdings nicht, weil es allgemein verwerflich ist, Texte zu interpretieren, die nicht die eigenen sind—macht ja auch fast jeder Popstar—sondern weil insbesondere bei wie Drake immer die Behauptung im Raum steht, der Mensch Aubrey Graham und der Rapper seien zwei Facetten derselben Person. „I’ve never seen a sense in crafting a story that isn’t my own“, sagte Drake kürzlich in einer Kurz-Doku für einen bekannten Limonade-Lieferanten. Wenn er so etwas sagt, im Studio aber die Texte eines anderen einrappt, dann macht ihn das nicht unbedingt zu einem langweiligen Künstler, auf jeden Fall aber zu einem Lügner.

Nun liegt die Wahrheit aber natürlicherweise irgendwo dazwischen. Ja, eingangs angesprochener Quentin Miller war mit Drake im Studio, was allerdings zu keinem Zeitpunkt ein Geheimnis war. Miller ist in den Album-Credits von If You’re Reading This It’s Too Late genauso angegeben wie Aubrey Graham. Heißt, er hat an einigen der Texte mitgearbeitet (und neben ihm weitere Menschen). So weit, so gewöhnlich.

Auch im deutschen HipHop ist so etwas Gang und Gäbe. Rapper wie Bushido und Fler gehen damit vergleichsweise offen um, sind aber bei Weitem nicht die einzigen erfolgreichen Rapper, die für ihre Texte auch Input von außen zulassen. Bewegt man sich ein paar Jahre in der HipHop-Szene erfährt man zum Beispiel, dass mancher Rapper auch mal einen Indie-Songwriter für sein Album zurate zieht. Manchmal wird dieser am Ende im Booklet als Co-Schreiber angegeben. In den meisten Fällen geschieht solcher Ratschlag aber nicht bevor, sondern nachdem der eigentliche Songtext geschrieben ist. Selbst über einige der größten Reimer Deutschlands kursieren hartnäckige Gerüchte darüber, dass diese bei Album XY die Hilfe eines anderen Rappers brauchten. Das Einzige, was daran skandalträchtig ist, ist allerdings, dass sich noch immer kaum ein Rapper zuzugeben traut, dass er kein Genie, sondern ein Mensch ist.

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Es ist eigentlich erstaunlich, aber auch im Jahr 2015 hat der Genie-Kult noch Bestand. Ein guter Künstler, das soll immer noch einer sein, der ausschließlich aus sich selbst schöpft und großartige Ideen aus dem Nichts herbei zaubert. Bezogen auf die Literatur ist das noch beinahe verständlich. Welcher Büchernarr mag nicht die Vorstellung, wie sein Lieblingsliterat Tag für Tag alleine an der Schreibmaschine sitzt, Whiskey trinkt und mit Sätzen Welten erschafft. Aber im HipHop? Einem Musik-Genre, in dem es so oft darum geht, als Teil einer Crew zu agieren, und einfach mit Freunden coolen Scheiß zu machen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass viele der großartigsten Songs so oder so ähnlich entstanden sind:

Rapper XY, nennen wir ihn der Einfachheit halber Tupac, kommt kurz vor Mitternacht endlich ins Studio. Sein Produzent und sein Engineer sind schon länger da, sie haben in den letzten Stunden vergangene Aufnahmen perfektioniert und vielleicht an ein paar Beats gebastelt. Tupac hat ein Textblatt bei, auf dem stehen zwar bereits drei lange Strophen, aber noch keine Hook. Also bestellen die drei erstmal den Kumpel, der immer das beste Gras am Start hat, ins Studio. Der bringt noch Freunde mit. Dann wird geraucht, drei Stunden lang derselbe Beat gehört und Tupac tigert vor sich hin rappend durch das Studio. Ab und zu wirft ihm mal einer seiner Freunde ein paar Wortfetzen zu, das wenigste davon modifiziert und übernimmt er. Am Ende steht ein fertiger Song. Bevor der allerdings ins Master geht, zeigt Tupac das Material noch mal mehreren Rapper-Kollegen, vielleicht nimmt er einen von deren Änderungsvorschlägen an, vielleicht nicht. Dann wird Geschichte geschrieben.

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Was ich damit sagen will: Selbst wenn andere Menschen an einem Stück Musik mitgewirkt haben, schmälert das noch lange nicht die kreative Leistung des Rappers, der daraus etwas macht, womit sich Tausende identifizieren können. Der lyrische Input anderer ist genauso ein Einfluß von außen, wie die Nachrichten, die ein Künstler liest, seine eigenen Erfahrungen und die Erfahrungen anderer, die er nur aus Erzählungen kennt. Es ist am Ende egal, ob jede Zeile von ihm stammt, entscheident ist, was er daraus macht. Ein Künstler, egal ob Schriftsteller oder Rapper, ist immer auch ein Kurator. Einer, der Einflüsse so zusammensetzt, dass daraus etwas entsteht, was Menschen berührt.

Auch diese Erkenntnis ist keine neue, ich habe sie mir angelesen. Was ich schreibe, besteht aus seiner Mischung aus Meinung, Erfahrungen und Dingen, die ich gelesen habe. Ich habe zwar keine Gedanken verwendet, die Freunde gedacht haben, aber selbst wenn ich das getan hätte, wäre ich am Ende immer noch der Autor dieses Textes. Genauso ist Drake immer noch der Autor von „10 Bands“, selbst wenn Quentin Miller drei Zeilen darauf umgeschrieben hat.

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