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pro contra

Wie sehr dürfen wir uns die Kultur von anderen aneignen?

Weiß sein ist öde und Schuld daran haben einzig und allein die Weißen.

Anm. d. Red.: Das neue Taylor Swift-Video „Shake it Off“ und die aktuellen Geschehnisse in Ferguson bringen die Debatte, inwiefern man sich eine fremde Kultur aneignen darf und ob es rassistisch ist, wenn man es denn macht, wieder ins Rollen. Wir haben bereits einen Beitrag von einem Autor, der das Video nicht idiotisch findet, heute lest ihr einen Beitrag von einer Autorin, die hinter diesem Phänomen ein viel größeres Problem sieht.

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Ich weiß, dass du der Meinung bist, kulturelle Aneignung sei ein neues Phänomen, aber genau wie „Selfies“ gab es sie eigentlich schon immer. Es gab einfach nur nicht so einen allgegenwärtigen Begriff dafür. Ich weiß auch, dass du der Meinung bist, dass es eigentlich nichts ausmacht, und es macht tatsächlich nichts aus, aber nicht aus den Gründen, aus denen du denkst, dass es nichts ausmacht.

Du glaubst, es macht nichts aus, weil niemand das Recht hat, dir zu sagen, dass du dies oder jenes nicht tun darfst, weil du nicht die entsprechende Hautfarbe hast. Oh mein Gott, schmeckst du nicht die große Portion Ironie in dieser Aussage? Sie ist so unglaublich penetrant, dass sie eigentlich nicht zu übersehen ist! Dich darüber zu beschweren, dass du nicht twerken darfst, weil du weiß bist, während Schwarze dafür erschossen werden, dass sie die Straße nicht an der dafür vorgesehenen Stelle überqueren (und dabei schwarz sind), dafür erschossen werden, weil sie Musik hören (und dabei schwarz sind), dafür erschossen werden, dass sie an Türen klopfen (und dabei schwarz sind), und wegen anderer Vergehen erschossen werden, die sich unter der Kategorie des bloßen „Existierens“ (und Schwarzeins) zusammenfassen lassen, sollte man deiner rücksichtslosen Beleidung aufgrund ihrer unverhohlenen Dreistigkeit fast schon mit nervöser Verwirrung applaudieren.

Hm … aber das ist doch der Sinn und Zweck hinter kultureller Aneignung, ihr Pfeifen. Weiße Menschen besetzen traditionell Aspekte schwarzer Kultur (oder auch die anderer ethnischer Gruppierungen), erlauben es schwarzen Menschen (oder Menschen anderer Ethnien) aber nicht, sich im Gegenzug Teile ihrer eigenen Kultur anzueignen (oder wenn überhaupt mit großen Einschränkungen). Wenn du mir nicht glauben willst, dann such doch mal nach den schwarzen Ballerinen in Taylor Swifts Video. Ach stimmt ja, es gibt gar keine. Das lag aber bestimmt nur daran, weil die besten Ballerinen, die an dem Tag zum Vortanzen kamen, alle weiß waren—so läuft das doch, oder?

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Die Sache ist einfach die: In einer zunehmend vielfältigeren und multikulturelleren Gesellschaft verschwimmen die Grenzen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen immer mehr. Das Problem ist jetzt aber, dass an diesen Tagen und in den sozioökonomischen und politischen Zuständen, in denen wir gerade leben, weiße Menschen dafür verantwortlich sind, dass schwarze Kultur unterdrückt wird, und sie sich diese dann auch noch für ihre eigenen Zwecke aneignen. Und genau das ist der Grund, warum, immer wenn Taylor Swift auf „Ghetto“ macht und Lana und die anderen sich mit Kopfbedeckungen der amerikanischen Ureinwohner schmüken, die Scheiße, die sie gerade dort treiben, auch beim Namen genannt wird.

Obwohl sie bei Weitem nicht die schlimmsten Vergehen zu verantworten hat, ist Katy Perry die wahrscheinlich meistgeschmähte und berüchtigtste Aneignerin fremder Kulturen und ihre jüngsten Kommentare darüber, sich von nun an auf „Hotdogs und Baseball“ zu beschränken, waren unglaublich entlarvend, weil sie in aller Deutlichkeit darlegten, wie unglaublich öde die Kennzeichen „weißer Kultur“ sind. Damit kommen wir zur eigentlichen Krux der Sache, die in meinen Augen das große Problem darstellt: Weißsein ist einfach stinklangweilig und die einzigen Menschen, denen man dafür die Schuld geben kann, sind die Weißen.

Schau mal, wenn du den Menschen einer anderen ethnischen Gruppe oder Kultur sagst, dass sie so gehen, sprechen und handeln müssen, wie du, um die gleichen Jobs zu bekommen, in den gleichen Geschäften einzukaufen und die gleichen Toiletten zu benutzen wie du, dann machst du „weiß“ und „weiße“ Identifikationsmerkmale zum Standard. Die weiße Identität wird dann so alltäglich, dass du einfach nicht mehr innovativ, kreativ oder interessant sein kannst, ohne dir Charakteristika von jeder Ethnie oder Kultur, die du unterdrückt hast, zu stehlen oder auszuborgen.

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Was Menschen gerne übersehen, wenn es einen Aufschrei darüber gibt, dass mal wieder irgendjemand an einer Kultur nur einen bestimmten Kopfschmuck zu schätzen weiß (und mit „gerne übersehen“, meine ich „selektiv vergessen“), ist die Tatsache, dass es den Menschen, von denen diese Tradition eigentlich stammt, nicht in der gleichen Form möglich ist, sich selber auszudrücken, wie es weiße Menschen können. Die amerikanischen Ureinwohner wurden zu tausenden abgeschlachtet, ihnen wurde es verwehrt, eigenes Land zu besitzen, ihnen wurde das Recht genommen, ihre eigene Religion auszuüben, und ihre Kinder wurden auf Internate geschickt, damit sie zusammen mit den „Zivilisierten“ lernen konnten. Glaubst du, den amerikanischen Ureinwohnern war es erlaubt, auf den Straßen im neuen Amerika einfach in Mokkasins und Federschmuck langzulaufen? Nein, sie wurden gezwungen, Anzüge zu tragen, sich nett gegenüber den Weißen zu verhalten und Sonntags in die Kirche zu gehen. Jetzt verstehst du vielleicht auch, wie ärgerlich es sein muss, die Kinder deiner Unterdrücker halbnackt auf Festivals mit eben den Symbolen deiner Kultur rumtanzen zu sehen, die dir selber verboten worden waren.

Oder nehmen wir Taylor: Mit ihren Hi-Tops, der Käppi und dem Klunker sieht sie aus, als wäre sie gerade eine Treppe in Harlem runtergekommen. #IfTheyGunnedHerDown, welches Bild würde die Presse wohl für Taylor nehmen? Aber mal ehrlich, wenn sie so jeden Tag vor die Tür gehen würde, glaubst du, man würde überhaupt auf sie schießen—ganz egal, was für ein Vergehen sie begangen hat? Es ist eine Beleidigung, zu behaupten, dass das doch „einfach nur Spaß“ ist, wenn es für andere Menschen überhaupt kein Spaß ist, die, egal wie sehr sie sich anstrengen, weiß zu sein, damit sie nicht ausgegrenzt werden, einfach nicht mithalten können. Lies nur Ronan Farrows vielleicht nicht ganz so günstig formulierten, aber dennoch gut gemeinten Kommentar zu „Black Motheritis“ [den Sorgen einer schwarzen Mutter], um einen Sinn dafür zu bekommen, wie etwas, das für weiße Popstars „Spaß und Wertschätzung“ sein kann, für schwarze Menschen den Unterschied zwischen einem plötzlichen Tod und einem weiteren Tag auf dieser Welt machen kann.

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Ich weiß, dass dir das nicht gefällt. Ich weiß, dass du das unglaublich ungerecht findest. Warum sollten die amerikanischen Ureinwohner ein Monopol auf federbesetzten Kopfschmuck haben? Warum sollte ich nicht twerken dürfen, einen Kimono tragen, mich selber als vorlaute schwarze Frau bezeichnen und einfach das tun, was auch immer ich will? Wir sind doch alles nur Menschen, für mich gibt es keine unterschiedlichen Hautfarben und Rassismus ist doch schon lange passé und überhaupt bla bla bla. Ich stimme dir bis zu einem gewissen Punkt sogar zu. Ich finde es bescheuert, Werte oder Glaubenssätze (sein sie religiös, spirituell oder etwas anderes) hochzuhalten, die nicht meine eigenen sind. Ich finde es ermüdend, dass unsere Leben in derartiger Weise von den Fehlern beeinflusst wird, die unsere Eltern und Großeltern gemacht haben. Ich hasse die Tatsache, dass wir nicht einfach einen Kuchen aus Regenbogen und Liebe backen können, den dann alle essen, und glücklich sind. So gerne ich aber auch einen ideologischen Raum besetzen würde, der sein historisches und strukturelles Gewicht dahinter nicht geltend macht, ist es leider so, dass die Wirklichkeit nicht so funktioniert. Es gibt zu viel Schmerz und zu viel Wut auf der einen Seite und zu viel Ignoranz auf der anderen Seite, als dass der Rest von uns die Vergangenheit einfach Vergangenheit sein lassen könnte. Bis es Gleichheit gibt, wird es Ungleichheit geben, verstehst du?

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So, nachdem ich all das gesagt habe, kann ich nun die Antwort auf die oben gestellte Frage geben: Nein. Taylor Swift, Katy Perry, Lily, Lana und sogar Miley und Justin, die jetzt „black “ leben, sind nicht das Problem—sie sind nur ein Symptom davon. In Anbetracht dessen macht kulturelle Aneignung in der Popmusik nicht wirklich etwas aus, weil der ganze Scheiß mit oder ohne sie weiterexistiert. ABER die große Frage, über die du vielleicht mal nachdenken solltest, wenn du damit fertig bist, deine Lieblingskünstler zu verteidigen, lautet: Wenn sie schon so viel auf ihrem Teller haben und ihnen dazu noch ein ganzes Buffet aus Privilegien zur Verfügung steht, warum genau müssen sie dann auch unbedingt noch von den Tellern anderer Menschen essen?

Dieser Gastbeitrag von Grace Medford erschien ursprünglich auf One Of Those Faces.

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