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Wie es ist, als kleiner Mensch auszugehen

Deine abendlichen Vergnügungsstunden können zum Spießrutenlauf werden, wenn du sogar zu klein bist, um dem Zigarettenautomaten zu beweisen, dass du über 16 Jahre alt bist.

Gehörst du zu den Gesegneten, die sich im Alltag nie mit der eigenen, sagen wir „dürftigen“ Körpergröße konfrontiert sehen und dein Leben nicht in XXXS-Dimensionen fristen musst, dann lass dir eines sagen, bist du klein, dann gilt: size matters. Während den ersten Etappen meiner Adoleszenz war meine Begeisterung über mein lack of size nicht besonders groß. Ich war immer die Kleinste in der Klasse, wurde öfter von Normalgroßen überrannt, weil übersehen und wurde gleich mal als Streber abgestempelt, weil ich na no na ned in der ersten Reihe sitzen musste, damit ich ohne Kopf und Körper vor mir auf die Tafel sehen konnte. Von dem armen Ding, das noch einen Zentimeter kleiner war als ich, möchte ich gar nicht erst anfangen. Der zarte Zwerg hatte es auch nicht leicht. Wenn man klein ist und deswegen öfter in aussichtslose Situationen gerät, beschließt man recht früh, sich den Gegebenheiten anzupassen. Oder kreativ zu werden.

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Screenshot via YouTube

Seit meinem 13. Lebensjahr habe ich immer Taschentücher dabei. Aber keine, in die du reinrotzen möchtest. Jedes meiner Paar Schuhe wird sorgfältig mit einer Schicht Taschentücher oder einer kleinen, zusammengewutzelten Socke ausgestattet. Dieses Mini-Plateau wird hinten unter der Ferse ausgelegt, sodass ich im Alltag satte zwei bis vier Zentimeter größer bin. Je nachdem, wie viel der Schuh nach dieser Veredelung Platz für mehr Fuß zu bieten hat, bringe ich 157 oder sogar 159 Zentimeter auf das Längenmaß. Den Traum, zumindest 160 Zentimeter zu sein, habe ich bereits mit einer stagnierenden Körpermessung von 149 in der zweiten Klasse Gymnasium aufgegeben. Da kam dann nicht mehr viel.

Natürlich war ich als Jugendliche nicht vor Fernsehsendungen gefeilt, die dir einen Floh ins Ohr setzen. Eines Abends sah ich diese Reportage über Kleinwüchsige und über andere, in ihrem Körperwachstum gestörten, oder „aufgehaltenen“ Menschen. Da habe ich zum ersten Mal von der Möglichkeit gehört, sich die Beine brechen zu lassen. Ja wirklich. Dir werden deine Beinknochen gebrochen und ein Jahr lang von Metallgestellen auseinander gezogen. Während dein Körper Knochenmasse in die Lücken und Risse einlagert und dadurch wächst, klaffen an deinen Beinen offene Wunden, die sich leicht infizieren können. So vegetierst du monatelang und von extremen Schmerzen geplagt dahin.

Ich spielte tatsächlich wochenlang mit dem Gedanken, mich diesem Märtyrium hinzugeben, nur damit ich fünf Zentimeter größer werde. Erst als mich mein damaliger Freund aus lauter Wut über meine Dummheit bat, aus dem Auto auszusteigen und mich mitten auf der Autobahn für 20 Minuten aussetzte, kam ich wieder zur Vernunft.

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Im Frühling 2011 heiratete mein Stiefbruder in Antigua, Guatemala. Dort war grundsätzlich alles ein wenig tiefer gelegt. Die Häuser mitsamt den Türen, die Raumhöhe an sich, die Menschen waren dort alle entweder gleich groß oder noch einen Deut kleiner als ich. Ich fühlte mich riesig! Das war aber gleichzeitig weird und fühlte sich falsch an. Ich sprach mit Alejandro, dem Bruder der Braut, der mir erklärte, dass die durchschnittlich geringere Körpergröße mancher Völker eine Folge der höheren Sterblichkeit größerer Menschen in Urwäldern ist. Um bei Fluchtnotwendigkeit schnell und wendig zu sein oder ganz im Dickicht des Urwaldes zu verschwinden, wuchsen die Menschen einfach klein, um weniger auffällig zu sein, keine Ressourcen zu verschwenden und nicht gleich mal nach dem ersten “Hallo” zu dieser Welt, abzukratzen. Nun, dass ich ob meiner Kleinigkeit längere Perioden des Hungers besser überstehen und feuchte, extreme Hitze besser verkraften kann, oder mein Körperschwerpunkt mittiger liegt als bei größeren Exemplaren, besänftigte meinen Unmut bezüglich meiner Größe nicht ausschlaggebend. Aber interessant war das dennoch.

Mit den Jahren wächst zumindest der Humor und die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen. Das erste Mal lauthals über mich selbst bzw. über eine Bemerkung zu meiner Größe losprusten musste ich mit 15, als ich in das Stammlokal unseres Freundeskreises kam, mich zu dem vollbesetzten Tisch gesellen wollte und ein Freund vollen Ernstes meinte „Kann bitte jemand einen Barhocker für die Anni holen?“. Er entschuldigte sich gleich mehrmals über diesen Versprecher, ich aber war ihm dankbar, weil ich diesen Fauxpas dermaßen witzig fand, dass ich das heute noch, wie man merkt, gerne erzähle.
Eines der wohl absurdesten und witzigsten Erlebnisse verbunden mit meiner vertikalen Herausgefordertheit, hatte ich 2008 mit meiner großen (sie ist über 170 Zentimeter, die Sau) Schwester. Wir waren am Nova Rock Festival und Queens Of The Stone Age spielten. Die tatsächliche Anwesenheit der Band konnte ich nur erahnen, denn wir steckten in der vorletzten Reihe. Ich, klein wie eh und je, ging ziemlich unter in der Crowd und die in die Höhe gestreckten Arme machten das Menschenschilf noch höher. Meiner Schwester tat ich wohl ein bisschen leid, irgendwann tippste sie den ca. 1,90 m hohen und ziemlich muskulösen Typen vor uns an und bat ihn, mich für ein paar Sekunden hoch zu heben, damit ich zumindest sagen konnte, ich habe die QOTSA live gesehen.

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Für ihn war das kein Problem. Er dachte, sie fordere ihn auf, mich auf eine Crowdsurf-Reise zu schicken. In seiner Euphorie schnappte mich der Kerl und warf mich zuversichtlich wie einen Football über die ersten sechs Reihen vor ihm und schon schoss ich dahin. Ich wusste nicht, ob ich schreien, lachen oder weinen sollte. Meine Schwester rannte panisch und von Lachkrämpfen geschüttelt hinter mir her. Der Schock saß tief, aber immerhin waren wir dann in der vierten Reihe und QOTSA spielten „Little Sister“.

Nun. Wie ist das mit dem Fortgehen—du hast wahrscheinlich noch nie darüber nachgedacht, aber auch im Schutz der Nacht schmeißt dein kleiner Corpus keine Happy Hour. Deine abendlichen Vergnügungsstunden können zum Spießrutenlauf werden, wenn du sogar zu klein bist, um dem Zigarettenautomaten zu beweisen, dass du über 16 Jahre alt bist.

Vom Klein-Sein in Bars

Du kennst doch sicher diese Messing-Stange am unteren Ende von Bartheken, die eigentlich dafür angebracht ist, dein Bein auf dem Barhocker sitzend, bequem darauf ruhen zu lassen. Ungeachtet dessen, dass ich es generell nur durch hochziehen und raufstemmen auf diese absurd hohen Sitzmöglichkeit schaffe, könnte ich diese Fußablage nicht mal mit meinen Zehenspitzen füßeln. Ich verwende diese Stange der Progression folglich rein als Podest. Möchte ich ein Getränk bestellen, muss ich mich auf diese Stange wuchten, um überhaupt Blickkontakt mit dem Bartender aufbauen zu können. Mit etwas Gleichgewichtsglück schaffe ich es dann auch tatsächlich, eine Bestellung aufzugeben. Tricky wird die Angelegenheit dann, wenn die bestellten Getränke vor dir stehen, du aber immer noch auf der Stange balancierst und beim Versuch, wieder auf sicheren Boden zu gelangen, mit den gefassten Gläsern rückwärts wegbrichst, auf dem Boden landest und alles um dich rum, wie gewohnt, auf dich hinab blickt.—Cheers!

Minimal im Club

Als kleiner Mensch ist man also flinker. Vorausgesetzt, du ähnelst nicht dem Michelinmännchen und platzt aus allen Nähten vor lauter Frustesserei, weil du so ein kleines Fuzzi bist. Einen gewissen Grad an Sportlichkeit setzt die versprochene Flinkheit natürlich voraus. Klein bist du generell schneller und flexibler in deiner Wegbahnung. Als besonders praktisch erweist sich das, wenn man vor dem Türsteher flüchten muss, der bemerkt, dass du gerade über den Zaun der Pratersauna gestürzt bist und dir somit im Flug freien Eintritt verschafft hast. Der Typ kommt dir nicht so schnell nach und findet dich in der Masse der Normalgewachsenen nie wieder.

Bevor es in den Club geht, muss man natürlich die Zeit totschlagen und versuchen, so wach und motiviert als möglich zu bleiben oder überhaupt zu werden. Bleibst du dafür allein zu Hause ist dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt. Die Wahrscheinlichkeit, mit dem Sandmann auf deiner eigenen Pyjamaparty im Bett zu landen ist hier sehr hoch.

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Man tut sich also mit Freunden zusammen, besorgt Alkohol und schon geht das Vorspiel los. Da kein Mensch Alkohol schwitzt und selbst wenn man das könnte, niemand diesen selbstgebrauten Saft trinken würde, muss die flüssige Stimmung also erst mal besorgt werden und da macht sich geringe Körperhöhe auch schon wieder bemerkbar. In Supermärkten herrscht eine Gnom-feindliche Rangordnung. Die guten, hochpreisigen Weine stehen immer in der oberen Etage, der billige Fusel ganz unten. Liebe Freunde, ich bin nicht geizig, ich bin nur zu klein, um an den guten Wein zu kommen.

Apropos Alkohol. Bist du klein, wirst du schneller rauschig. Aufgrund der geringeren Verteilungsfläche, fährt der Alkfluss rascher und konzentrierter in und durch deinen kleinen Körper. Das ist leider wirklich so—während meine, durch die Bank zumindest einen Kopf größeren, Freunde ein großes Bier wegschupfen wie nichts, kann ich mich nach 500 Mililiter Getreideshake zusammenpacken und volltrunken schlafen gehen.

Nachdem du mit vereinten Kräften dann doch in den Club gekommen bist (du musstest dem Türsteher erklären, dass du nicht erst 14 Jahre, sondern nur klein bist) tanzt du stundenlang auf High Heels oder Taschentücherknödel zu, was denn sonst, Minimal. Blunzenfett und elendig müde kann es vorkommen, dass dich noch im Club deine letzten Mini-Kräfte verlassen und du dich in irgendeinem verdreckten Eck zusammenrollst und erstmal ein gepflegtes Nickerchen machst. In solch einer misslichen Lage ist es OK, klein zu sein, weil man einen kleinen zusammengerollten Igel in der Dunkelheit oft übersieht und du in Ruhe und nahezu unblamiert wieder zu dir kommen kannst.

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Bevor du früher oder später doch den beschwerlichen Heimweg antrittst, wird dir deine kleine Achillesferse once again schmerzlich bewusst, weil du dir ab und zu Schuhe mit hohen Bleistiftabsätzen an deine Baby-Füße schnallst und nun vor der Pest oder Cholera Frage stehst: Entweder du quälst dich mit deinen von Blasen übersäten, zerquetschten Zehen in den High Heels humpelnd nach Hause oder du verbläst den letzten Rest deiner kleinen Würde und klemmst dir das Folterschuhwerk unter den Arm und schleppst dich barfuß über Stock und Stein in Richtung Heim. Hast du es irgendwann in ein Verkehrsmittel geschafft, kannst du dich über deine Winzigkeit freuen und dich auf einem Doppelsitz ausgestreckt niederbetten und weiter dösen. Die neidvollen Blicke derer, die zu groß sind, um sich auf einem Zweiersitz lang zu machen, darfst du getrost ignorieren.

Das beliebte Kebap-Betthupferl im Morgengrauen, sollte sich ein Mensch mit Größendefizit dann aber lieber sparen. Bist du flachgelegt, siehst du die Spuren dieser fettigen Sünden nicht nur nach dem Aufwachen auf deinem Kopfpolster verschmiert, sondern erkennst deine Völlerei noch Tage später an deinen körpereigenen Fettpölsterchen, was wie beim Alkoholgenuss wieder auf die geringe Verteilungsfläche zurückzuführen ist.

Bist du klein, führt der gesättigte und fettgeschwängerte Zustand viel eher dazu, dein zierliches Figürchen in eine kleine rollende Schwabbelkugel zu transformieren, was dich zumindest ein kleines bisschen beherrschter macht und dich davon bewahrt, dir zu oft was Folgenschweres reinzugrinden. Zum krönenden Abschluss deiner kleinen Ausgeh-Odyssee gerätst du auch noch in Lebensgefahr, weil du dich mit Karacho die Rolltreppe zur U3 hinunter katapultierst, weil du auf deinen High Heels umgeknickt bist und dadurch der freie Fall eingeleitet wurde.

Aber alles halb so schlimm. Darwin würde mir zuversichtlich auf die Schulter klopfen und mich vielleicht sogar für meine Anpassungsfähigkeit an mein Umfeld loben. Dass ich mich zum wiederholten Mal in diesem Text mit einem Penis vergleichen würde hätte ich jetzt auch nicht gedacht, aber bitte. „Es kommt nicht auf die Größe an, sondern auf die Technik.“

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