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Staiger vs das Elend der modernen Welt

K.I.Z kriegen endlich Gold für "Hahnenkampf"—Staiger über die rauen Anfänge der Kannibalen-Revolution

Gold ist schön, aber "es sollten noch mehr Menschen KIZ hören – denn dann wäre die Welt ein besserer Ort".

In der letzten Woche hat die HipHop-Formation KIZ (sprich: Kay-Ai-Sie) für ihr letztes Album Hurra die Welt geht unter eine Goldauszeichnung für 100.000 verkaufte Einheiten bekommen. Im Zuge dieses Erfolges haben sich diverse Alben der Gruppe wohl ebenfalls noch einmal so gut verkauft, dass auch Urlaub fürs Gehirn und Hahnenkampf ebenfalls Gold gegangen sind—diverse Rabattaktionen machen es möglich. Im Falle von Hahnenkampf, das im Jahr 2007 erschien, hat es nun fast zehn Jahre gedauert, bis die Gold-Marke geknackt wurde, dabei ist das Album bestimmt jenes, mit dem die meisten KIZ-Fans zum ersten Mal mit der Band in Berührung gekommen sind.

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Außerdem legte Hahnenkampf den Grundstein für die neuere Rap-Geschichte, in der nach der Kokain-geschwängerten "Kragen Hoch, wir machen keine Witze und tanzen nicht"-Phase des Berliner Raps endlich auch mal wieder gelacht werden durfte—zumindest gelächelt. KIZ lieferten die Blaupause für alles, was danach kam, weil sie deutschen Humor erfunden haben und Ironie als Stilmittel endlich Einzug gefunden hat im deutschsprachigen Rap. Hat man vorher "Mutterficker" gesagt, dann hat man auch exakt das gemeint und konnte dafür als Sexist und chauvinistisches Arschloch beschimpft werden (zu Recht). Seit KIZ ist das anders. Seit KIZ kann man sich bei etwaigen Vorwürfen die Brille auf der Nase zurechtrücken und auf die ironische Brechung und den intellektuellen Gehalt hinweisen. Das ist gut so, weil man ja trotzdem ab und an das Bedürfnis hat, einfach so ganz laut "Mutterficker" zu brüllen und nicht immer dafür ausgeschimpft werden will.

Die Geschichte von Hahnenkampf war, wie alle Albumsentstehungsgeschichten von KIZ, eher mühsam. Obwohl die drei Protagonisten der Band ein unerschöpfliches kreatives Potenzial darstellen, tun sie sich mit der Produktion von Alben eher schwer. Vor allem nach ihrem Undergeound-Platin-Hit Böhse Enkelz lag die Messlatte was Wortwitz und Originalität anbetraf extrem hoch, und so verbrachten die Jungs mehrere Monate in einem australischen Songwritercamp, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Zudem war das angestammte Label der Band in den Klauen eines russischen Mafiaclans mit dem kryptischen Namen "FA Neukölln", dass an eine wirklich große Veröffentlichung mit der Kreuzberger Plattenschmiede nicht mehr zu denken war.

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Royalbunker befand sich in einer finanziellen Schieflage, sodass die ehemaligen Rap-Untergrundkämpfer und "Wir ficken die Industrie von unten in den Arsch"-Aktivisten beim Major-Riesen Universal um Unterstützung ringen mussten. Mit gesenktem Haupt trat man den Gang über die Oberbaumbrücke an und bat auf der anderen Seite des Flusses um einen Majordeal. Im Foyer des Konzerns wurden dem obersten Plattenboss sämtliche Waffen zu Füßen gelegt und man gelobte hoch und heilig, nie wieder ein schlechtes Wort über die böse, böse Plattenindustrie zu verlieren. Royalbunker hatte seine Seele verkauft, weswegen das Label auch kurz nach Erscheinen von Hahnenkampf geschlossen wurde—nicht ohne aber eine letzte große anarchistische Aktion durchzuführen.

Am Abend des 20. Juli 2007, kurz vor Erscheinen des Hahnenkampf-Albums, riefen Royalbunker und KIZ zu einem U-Bahnkonzert. Zum Preis von 2,10 Euro, wollte man gemeinsam mit den Fans mehrere Waggons der Linie 1 kapern, um dort das neue Album vorzustellen. Die Veranstaltung wurde über das sogenannte Internet beworben, was damals, vor knapp zehn Jahren, noch ziemlich neu war und aus einer einfachen Textbotschaft auf der Internetpräsenz von Royalbunker bestand. Trotz dieser eher keilschriftartigen Art der Nachrichtenverbreitung, kamen mehrere tausend Fans zum vereinbarten Treffpunkt am Schlesischen Tor, und auch die Berliner Verkehrsbetriebe samt Berliner Polizei schienen informiert gewesen zu sein. Zumindest waren die U-Bahnhöfe Schlesisches Tor und Görlitzer Park komplett abgesperrt.

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Was dann passierte, war eine Meisterleistung des zivilen Ungehorsams. Die Menge setzte sich, fast ohne Führung, in Bewegung. Wie von Geisterhand gesteuert, lief die Demonstration auf die Oberbaumbrücke zu, um das verhasste Universal-Gebäude in Brand zu stecken. Die anwesende Hundertschaft der Berliner Polizei hatte alle Mühe, die Brücke abzusperren, worauf die Menge einfach kehrt machte und in den angrenzenden Wrangelkiez strömte. Unter lauten KIZ-Rufen ergoss sich der Strom in die Falckensteinstraße, worauf auch die Hundertschaft die Brückenblockade auflöste, um an der Menge vorbei rennend das andere Ende der Straße abzusperren. Auch dort machte die Masse wieder kehrt und so ging das mehrere Stunden lang, unterbrochen nur durch mehrere Rap-Einlagen von Tarek, Maxim und Nico. Die anwesenden Bereitschaftspolizisten gerieten kräftig ins Schwitzen und die eingesetzten Beamten vom Staatsschutz rätselten, ob es sich bei KIZ um eine neue kommunistische Splitterpartei handelte, oder doch nur um einen katholischen Jugendverband. Schließlich kann es sich bei "K"-Gruppen ja um beides handeln. Irgendwann löste sich das ganze Ding dann auf, nicht ohne allerdings ein kleines Nachspiel zu haben.

Zwei Tage später, bei der offiziellen Releaseparty zum Album im Maria am Ostbahnhof, standen mehrere Polizisten in Zivil in der Halle und hielten eine sogenannte Gefährderansprache. Dass so etwas nie, nie, nie, nie wieder vorkommen möge, ermahnten die Beamten die Band und hoch und heilig wurde versprochen, dass man so etwas nie, nie, nie, nie wieder machen würde. Was auch eingehalten wurde. Bis letztes Jahr, als KIZ auf dem Berliner Oranienplatz eine riesige Kundgebung abgehalten haben. Aber die war ja auch polizeilich angemeldet und hatte ihre rechtsstaatliche Grundlage.

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KIZ gehören mittlerweile zu den etablierten Altparteien des Systems, die ihr subversives, gesellschaftszersetzendes Gift nun mit Hilfe ausgefeilter Suggestionstechniken unters Volk bringen. Damals war das Ganze noch ein wenig roher und unverfälschter. Beides hat seinen Reiz und deshalb sende ich die herzlichsten Glückwünsche für alle Alben, die nun Gold erreicht haben.

Im Endeffekt sind das nämlich immer noch zu wenig und es sollten noch mehr Menschen KIZ hören—denn dann wäre die Welt ein besserer Ort.

Foto: Staiger

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