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Wie die Medien darauf reingefallen sind, dass Kanye West-Fans Paul McCartney nicht kennen

Journalisten der halben Medienwelt wurden von ein paar Kanye West-Fans getrollt.

Letzten Donnerstag haben die beiden Musik-Ikonen Kanye West und Paul McCartney in einer monumentalen, generationsübergreifenden Geste zusammen einen Song mit dem Namen „Only One“ veröffentlicht. Und taugte er auch was? Wenn du die ganzen Reaktionen im Internet auf die Veröffentlichung mitverfolgt hast, dann bist du, was das angeht, vermutlich kein bisschen schlauer geworden, da sich die ganze Unterhaltung ziemlich schnell nur noch um eine Frage drehte: Wer zur Hölle ist eigentlich Paul McCartney?

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Eine der bequemsten Formen zeitgenössischer Contentgenerierung ist die Zusammenstellung eines Blogposts anhand einer Aneinanderreihung von Tweets—ich bin mir ziemlich sicher, dass du den einen oder anderen Artikel der Art schon „gelesen“ hast. Diese Posts können unterschiedliche Formen annehmen: „Sieh mal, wie sehr sich die Leute über XYZ aufregen“, ist wohl am gängigsten, knapp gefolgt von, „Zu deinem Vergnügen: Eine ordentliche Ladung verblödeter Teenager“. Der Sinn und Zweck dahinter liegt auf der Hand: Man will sich unsere ureigene Verachtung für die ignorante Jugend zu Nutze machen und damit auf einfachste Weise den Traffic ankurbeln. Das Beste für den Idioten hinter dem Artikel ist noch, dass es ziemlich einfach ist, das Suchfeld bei Twitter zu bedienen—eine Sache, die in diesem Fall lediglich dadurch erschwert wurde, dass besagte Neuigkeit am Neujahrstag ins Haus flatterte, einem Feiertag an dem die meisten Blogger ihre Inhalte von ihrem Katerlager auf der Wohnzimmercouch aus herunterleiern.

Es gibt einen guten Grund dafür, warum random ausgewählte Twitteruser nicht gerade einen Ruf als verlässliche Recherchequelle haben, allerdings—und auch wenn sie manchmal einen guten ersten Schritt für frische Informationen darstellen können—sind sie ein geradezu unerschöpflicher Quell des Trollens und offensichtlicher Fehlinformation. Und dazu gehört eben auch der letzte Sturm im Wasserglas, bei dem sich alle aufregten, dass junge Leute angeblich nicht wissen, wer Kanye Wests Kollaborateur Paul McCartney ist.

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Erstaunlicherweise waren Buzzfeed diesmal die Ersten, die mit der Überschrift „These Kanye West Fans Want to Know: ‚Who Is Paul McCartney?’“ die Story in Umlauf brachten. In dem Post fanden sich dann Screenshots (nein, nicht eingebettet, das hätte es um einiges einfacher gemacht, der Sache selber nachzugehen) von Tweets, in denen eine Reihe von Twitterusern ihr Nichtwissen über einen der berühmtesten, wenn nicht den berühmtesten lebenden Musiker der Welt kundtaten.

Und das ist nicht das erste Mal, dass wir diesen Tanz, versehentlich, mitgetanzt haben. Erinnerst du dich noch daran, als McCartney 2012 bei den Grammys aufgetaucht ist? Ähnliche Fakeposts wurden schon für Arcade Fire und Bon Iver aus dem Hut gezaubert und auch als Billy Crystal bei den Oscars war—um nur einige zu nennen. Und, soweit ich weiß, ist auch dieser Bodensatz des Internets hier mit wahrscheinlich schon dutzenden solcher Artikel angekommen.

Ich war eigentlich schon dabei, die ganze Geschichte zu ignorieren und mich wieder wichtigeren Dingen zuzuwenden—was ein wirklich guter Ratschlag für so ziemlich alles ist, was du im Internet findest—, aber dann, wie konnte es anders sein, ja, wie-konnte-es-eigentlich-anders-sein?!, fingen alle anderen an, sich total auf das Thema einzuschießen. E! Online stürmte das Feld mit der Überschrift „These Kanye West Fans Don’t Know Who Paul McCartney IS, Which Means All of Society Is Doomed“, unter der sie viele der gleichen Tweets posteten, die auch schon bei Buzzfeed verwendet worden waren. Und genau die gleichen drei Tweets fanden sich dann auch bei der Daily Mail, Death and Taxes und ABC News wieder. Good Morning America verfasste sogar einen Beitrag zu der Kontroverse, die eigentlich gar keine war.

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Ja, das lief im amerikanischen Fernsehen

People und The Independent wiederum berichteten dann lieber ausführlich darüber, dass das Ganze nur ein Witz war. Eine Tatsache, die für so ziemlich jeden offensichtlich sein sollte, der mehr als fünf Sekunden damit verbracht hatte, sich die Tweets anzuschauen, die als Beweis für den Untergang des Abendlandes angeführt worden waren. @DesusNice, von dem einer der drei zitierten Tweets stammt, ist ein ziemlich bekannter Twitter-Scherzkeks mit über 60.000 Followern, dessen Timeline voll ist mit ähnlichen Witzeleien. „David Duke came back out of nowhere like a racist D'angelo so shouts to him”, heißt es zum Beispiel nur ein paar Tweets später bei ihm. Jeder, der es schafft, einen derartig vielschichtigen Spruch zu kreieren, weiß definitiv, wer Paul McCartney ist—davon kann man einfach ausgehen. Wenn man sich nur eine Handvoll Tweets von einem der zitierten Nutzer anschaut, wird sofort klar, dass man es hier mit erprobten Bullshittern zu tun hat.

Kanye has a great ear for talent. This Paul McCartney guy gonna be huge.

— Desus Nice (@desusnice) January 1, 2015

Dann hätten wir hier noch die Formulierung in den Tweets von @OVOJosh, Beweismittel A in—was weiß ich—dem Untergang unserer Zivilisation oder so. „I don’t know who Paul McCartney is, but Kanye is going to give this man a career w/ this new song!!“ heißt es dort [das Profil wurde mittlerweile auf privat gestellt]. Wer spricht bitte so? Wie viele Offensichtlichkeiten muss man bitte vorsätzlich übersehen, um zu der Feststellung zu kommen, dass dies ein Mensch ist, der a) nicht weiß, wer Paul McCartney ist, b) glaubt, dass dieser durch die Kollaboration mit Kanye eine Karriere starten wird, und c) seinen Satz dann noch mit zwei Ausrufezeichen beendet?

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#PEAKCAUCASITY https://t.co/t3V8EzNbJ6

— Desus Nice (@desusnice) January 5, 2015

Das Gleiche lässt sich auch über @CurvedDailys Tweet sagen, in dem er Kanye dafür dankt, einen unbekannten Künstler mit ins Rampenlicht zu nehmen. Wenn man es nicht schafft, diese offensichtliche Trollerei aus hundert Metern Entfernung gegen den Wind zu erkennen, dann gibt es in der ganzen Geschichte definitiv eine Person ohne Plan und Verstand—und es ist nicht die, die du denkst.

Von allen drei Accounts wurden dann fleißig die ganzen entsetzten (und grenzwertig bedrohlichen) Kommentare erzürnter Beatles-Fans auf ihrer Timeline geretweetet und Links zu den Artikeln über die Geschichte gepostet. Warum? Weil genau das der eigentlich Grund für das ganze Theater war. Trolle trollen für Aufmerksamkeit—und um sich an der Blödheit der Menschen zu erfreuen, die darauf reingefallen sind.

@OVOJosh You're joking, right? You can't be that ignorant. Google Paul McCartney if you really are.. then just facepalm yourself with a rock

— Thom Clark (@Wanderer711) January 3, 2015

@OVOJosh Beatles hold 6 diamond albums, 24 multi plat, 39 plat, 45 gold. Hold 6 Guinness records. Who is Kanye to that legacy?

— إسرائيل (@SunWu36) January 3, 2015

Mir bereitet es persönlich jetzt nicht unbedingt schlaflose Nächte, ob Teenager wissen sollten, wer Paul McCartney ist—mit dieser wichtigen Frage haben sich auch andere schon zu Genüge beschäftigt. Ich bin mir sicher, dass einige von ihnen das nicht tun, aber das sind nicht die Teenager, die ihr sucht (via Star Trek). Das, was mir wirklich Sorgen bereitet, ist die Intelligenz unserer Medienlandschaft. Ob jetzt jemand weiß, wer einer von den Beatles ist, ist relativ belanglos, wohingegen ein besseres Anzeichen für den Untergang unserer Gesellschaft doch ist, wenn Scharen leichtgläubiger Tölpel es nicht schaffen, einen Witz zu erkennen, wenn er direkt vor ihrer Nase ist. Man sagt ja, dass es schwierig ist, Sarkasmus im Internet zu erkennen, aber letztendlich ist das doch auch nur eine Ausrede für Menschen, die zu faul sind, sich den entsprechenden Kontext zusammenzusuchen. Viel mehr noch als die Fähigkeit, ein anständiges Interview zu führen oder einen interessanten Artikel zu schreiben, sollte die erste Frage bei jedem Bewerbungsgespräch für einen Medienjob lauten: Weißt du, was Ironie ist?

Die Sache ist allerdings die, dass bei dieser Art von Artikel viele der Autoren ganz genau wissen, was eigentlich los ist, es ist ihnen bloß schlicht und einfach egal—und das ist eigentlich noch viel schlimmer. Wir leben quasi in einem Human Centipede der Überheblichkeiten. Es ist genau so, wie McCartney damals auf seinem ersten Solo-Album nach den Beatles sang: „I’m just sitting here watching the wheels go round and round.” Die Twitter-Trolle wissen, dass die Blogger zu faul sind, zwischen Spaß und Ernst zu unterscheiden, die Blogger wissen, dass der gemeine Leser zu faul ist, um zu erkennen, dass er hier gerade zynisch an der Nase herumgeführt wird, und selbstherrliche Medienkritiker wie ich sind zu süchtig nach dem Geruch ihrer eigenen pedantischen Ausdünstungen, um zu erkennen, dass wir uns mit dem Schreiben eines solchen Artikels wie diesem hier, gerade auf der Meta-Ebene selbst getrollt haben.

Luke O’Neil tweetet ausschließlich über ernste Dinge. Er ist ein braver Twitter-Boy—@lukeoneil47

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