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Interviews

"Hättest du nicht Lust, über einen unserer Songs drüberzuschauen?"—Interview mit einem Metalcore-Ghostwriter

Marci hat als Mastermind von We Butter The Bread With Butter den deutschen Electrocore erfunden. Heute schreibt er Songs für Caliban, Ana Ana oder Fall of Gaia.

Marcel "Marci" Neumann ist derjenige, der vor acht Jahren deutsche Kinderreime auf übertrieben stumpfe Breakdown-Gewitter gelegt hat. Dazu spritzige Party-Synthesizer und ein neues Genre namens Electrocore war geboren. We Butter The Bread With Butter polarisieren bis heute mit Namen und Musik die Metalcore-Welt, genossen aber lange gebündelte Aufmerksamkeit und reihenweise Trittbrettfahrer. Marci ist jetzt erwachsen, er bestreitet mit Sound-Designs und dem Schreiben von Werbemusik seinen Lebensunterhalt. Er blickt zurück auf das, was nach all der Zeit so los ist im Eskimo-Callboy-Lager und enthüllt, dass er der Szene immer noch beisteht—als Produzent und Ghostwriter. Denn obwohl er ganze Songs für Electrocore-Bands schreibt, steckt in ihm auch gut argumentierte Verachtung für die Szene, in der er sich selbst mit WBTBWB bewegt. Keinen Partycore-Fan interessiert es doch, wer da wirklich auf der Bühne steht. Und wer die Songs geschrieben hat? Das wird nicht einmal hinterfragt.

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Im Metal sieht das schon ein wenig anders aus. Für das deutsche Metalcore-Aushängeschild Caliban hat Marci zum Beispiel große Flächen an Sound, Strukturen, Riffs und ganze Song bei den letzten drei Alben beigetragen. Im Booklet wird er dagegen nur am Rande als Co-Producer erwähnt—das mit dem Songwriter-Status würde auch etwas unangenehm klingen. Weil die Wahrheit ein tiefer Stich ins Herz des Fans wäre, wenn die Lieblingsband einen Scheiß von den Songs geschrieben hätte, die in einem selbst doch so viele Emotionen und Sehnsüchte auslösen. Da macht es für die Bands allein aus Marketing-Gründen Sinn, kompositorische Hilfe nicht zu erwähnen. Damit die Fans weiter in der Illusion leben können. Ob die Wahrheit besser ist, darüber lässt sich streiten.

Marcel Neumann

Noisey: Was machst du alles neben We Butter The Bread With Butter?
Marci: Filmmusik am meisten, Werbemusik, Image-Filme, Jingles. Und dann noch Jobs für andere Bands, wo ich Songs schreibe, ausproduziere, zu Ende bringe oder das Albumkonzept erstelle. Das ist Aufgabe des Produzenten: Ist das Album in sich stimmig, ist die Auswahl der Songs cool, machen die in der Reihenfolge Sinn?

Wie kommen Leute aus der Werbeindustrie auf dich zu?
Ich bin Freelancer und arbeite mit Agenturen zusammen. Wenn man zuverlässig arbeitet, buchen die einen immer wieder.

Für welche Firmen schreibst du so?
Ich habe für Microsoft, Deutsche Bank und Immowelt geschrieben. Mein persönlicher Ritterschlag war für Rolls Royce—aber das klingt immer riesiger, als es dann ist. Normale, kleine Werbefilme, normal bezahlt, niemand ist Millionär geworden. Meistens sind das Online-Clips, die werden oft produziert. Da ist alles dabei, von drei Sekunden bis hin zu Spielfilmen.

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Das ist dein richtiger Beruf? Oder wirft We Butter auch was ab?
Ja, richtig. Lange hat We Butter nichts abgeworfen, darum ist es nicht mehr der Mittelpunkt von uns. Klar war das am Anfang OK, weil es geil war, Festivals wie Rock am Ring zu spielen—total krass. Wir haben die Welt nicht verstanden und waren glücklich. Aber nach sechs Jahren, wo man seine Wohnung und sein eigenes Essen bezahlen muss… Man arbeitet von Montag bis Sonntag dafür, checkt eMails, telefoniert, probt, schreibt Songs. Da muss das finanziell irgendwas abwerfen.

Spätestens, wenn da das Minus auf dem Konto steht.
Absolut, genau der Punkt war da. Zweite Amerikatour, wir haben uns sehr gefreut, kamen wieder und jeder hatte 800 Minus auf dem Konto. Das war für mich die Initialzündung, Werbemusik beruflich zu machen. Ich habe gemerkt, We Butter ist nicht meine Zukunft und ich bin nicht so der performende Musiker, der wiederholt, sondern der, der Neues schafft.

Und wie kommen die Bands auf dich zu?
Viel lockerer. Über Facebook oder auf Festivals, wo alle Bands abhängen. "Deine Keyboards klingen so gut, hättest du nicht Lust, über einen unserer Song drüberzuschauen?" Dann entwickelt sich das, dass ich plötzlich das ganze Album durcharbeite oder Riffs beitrage. Dass man das von Anfang an sagt, das gibt es glaube gar nicht mehr. Außer man heißt Silbermond und rennt wieder zum Warner-Produzenten, weil er weiß, welcher Slot im Radio frei ist. In dem Bereich bin ich nicht aktiv.

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Wie fühlen sich die Bands, wenn du plötzlich deine Riffs einschiebst?
Je größer die Band ist, desto weniger Eigenanspruch gibt es. Da geht es mehr darum, ob das Album funktioniert. Das ist gar nicht die Schuld der Bands. Sie müssen ja selber schauen, wie sie im aktuellen Zeitraffermarkt funktionieren. Eine Band kann heute innerhalb von einem Jahr so groß werden, dass sie um 20 Uhr vor einem 20.000-Mann-Festival spielen. In dem Zeitalter finde ich es nicht so schlimm, wenn der Anspruch nicht darauf liegt, von zwölf Songs wirklich alle von vorne bis hinten selbst gemacht zu haben, sondern in time das Album zu haben, weil das Festival-Booking im Dezember beginnt. Zeitgleich sind sie performende Musiker, das halbe Jahr unterwegs. In dem halben Jahr waren Produzenten zu Hause, haben die neueste Musik gehört und nachgemacht, versucht zu verstehen, warum Justin Bieber schon wieder Platz eins ist. Die Zeit hatten sie ja nicht, wenn sie auf Tour waren. Ich kann es verstehen, sich da Hilfe zu holen.

Legst du Wert drauf, als "Co-Producer"—wie im Falle von Caliban—oder Songwriter genannt zu werden?
Mittlerweile ja. Am Anfang auch gar nicht, weil ich dachte: Cool, hat ja Spaß gemacht. Aber wenn man dann merkt, dass man davon gar nichts hat… Es ist ja überhaupt nichts Schlimmes, Leute zu erwähnen, die einem geholfen haben. Respekt, der gehört dazu.

Hast du ganze Alben geschrieben?
So weit, dass in jedem Song was von mir drinnen ist. Bei Caliban mit I Am Nemesis war es sehr viel. Auf dem letzten, Gravity, waren es komplett instrumental zwei Songs, aber vor allem halbe Songs, oft komplette Teile: Drums, Bass, Gitarre. Wir sitzen meist zu dritt in einem Raum und schreiben die Songs zusammen: Hauptproduzent Benny Richter und Gitarrist Marc Görtz.

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Marc stellt sich in Interview stets selbstbewusst als Songwriter zur Schau.
Marc ist fleißig, ja. Wenn jemand mit einem Demosong ankommt und du aufgrund davon den kompletten Song machst—wer hat dann den Song gemacht? Du hättest ja nicht die Eingebung, die Geschwindigkeit und die Tonlage so gehabt. Dann würde ich schon sagen, er. Er bringt mir Zement und Ziegel und ich baue das Haus zusammen. Und dann gibt es noch Benny als Head of Music, der es komplett rund macht.

Wirst du von Caliban aus als Songwriter ausgeklammert? Redet ihr da drüber?
Natürlich. Ich kann es absolut nachvollziehen, wenn es bei der Band nicht so rüberkommt, dass da noch jemand so viel macht. Man ist ja stolz auf das Album, spielt das ein und hat all die Arbeit drum rum. Bei jedem Projekt sage ich ganz offen: Erwähnt mich und alles ist cool.

Welche Bands machst du noch?
Down To Date—total geile Typen, talentierte Band. Die wollten auch mal sehen, wie es ist, wenn jemand rüberschaut. Die waren total skeptisch, als ich dann die Gitarren ausgebessert habe. Nach dem Album sagten sie aber: Ja, das machen wir jetzt immer so. Weil es nicht so viel wegnimmt, sondern ich nur drüber poliere. Ich schmeiße dann eben mal einen C-Teil weg und schreibe einen komplett neuen, weil es songdienlicher ist. Das braucht ein wenig Überredung, am Ende ist der Song dadurch aber cooler. Ich habe noch ein Album für die Berliner Electro-Künstlerin Ana Ana gemacht. Da kamen Demos von Gesang und Klavier und ich habe die kompletten Songs geschrieben. Fall Of Gaia habe ich zusammen mit Daniel Haniß gemacht, der Gitarrist von Eskimo Callboy—einer der besten Songwriter, die ich kenne.

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Der auch Ghostwriting für Bands macht?
Aber vom Feinsten. Das ist auch gar kein Geheimnis. Im Metalbereich ist er einer der besten, den man in Deutschland zur Zeit finden kann, auch Sound-mäßig. Da kann man neidisch werden. An sich schreibt er alleine, aber ihm hat frischer Wind gefehlt, da hat er mich gefragt. Bei To The Rats And The Wolves ist es ähnlich. Beim neuen Album soll ich mit ihm auch noch einiges machen. Daniel und ich werden in Zukunft viel vertreten sein, weil wir unfassbar gut zusammen arbeiten können.

Aber wie lange wird das noch am Zahn der Zeit sein? To The Rats And The Wolves klingen schon wie Eskimo Callboy—braucht man noch so eine Band?
Ehrlich gesagt schon, weil der Anspruch der Jugend immer kleiner wird. Monotonie ist der kleinste Anspruch, den man haben kann. Aber im sozialen Medienzeitalter ist es der einzige, den die Jugend noch an Musik hat. Wenn eine Band was neues kreiert, wird gar nicht zugehört. Es heißt gleich, die haben sich so weiterentwickelt—sowieso das Unwort in der Geschichte von Musik. Je monotoner du das machst, desto mehr Erfolg hast du im Metalcore. Total ätzend.

Es wird wieder Zwölfjährige geben, die anfangen, Impericon zu entdecken. Dann, wenn Eskimo wieder out sind, weil es die ja schon vier Jahre gibt. Die Neuen mit Electrocore-Mucke sind dann viel attraktiver als wir oder Eskimo, egal ob wir live besser spielen oder bessere Songs schreiben. Darum geht es gar nicht, die sind jung, tätowiert, witzig und benutzen jetzt auch Snapchat. Und die Fans wollen hören, was Eskimo schon gemacht haben. Und die neuen Bands wollen so klingen.

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Ist das für dich moralisch vertretbar, weiterhin die Szene zu füttern?
Ich finde die Szene total furchtbar. Die geht mir komplett am Arsch vorbei und gibt mir auch nichts mehr, das ist total ausbeutende Maschinerie, mehr nicht.

Und du fütterst sie.
Nein. Weil mir es Spaß macht, Musik zu machen. Ich habe Spaß daran, modernen Rock mit Synthies zu machen, als Herausforderung und Aufgabe, die ich erfüllen will. Ist ja nicht meine Band.

Trotzdem gibt es die neue Band, welche die Szene am Leben hält.
Ich kann mich nicht gegen die Szene wehren. Bevor die Jugend in die Szene kommt, ist sie schon verhunzt von den Medien. Ich kann immer noch sagen, dass es nicht gut ist, so viele Tiere zu essen. Das finde ich viel wichtiger als als musikalischer Messiahs Aufklärungsarbeit zu leisten. Da drehe ich mich im Kreis.

Leidenschaftliche Puristen würden damit dennoch nicht in Zusammenhang gebracht werden wollen.
Da sehe ich den Fehler nicht in den jungen Bands, die Musik machen wollen und auch gern so ein schönes Album haben wollen. Da helfe ich ihnen lieber, das Album so zu gestalten, wie sie es im Kopf haben. Die können ja auch nichts dafür, die sind so aufgewachsen. Die denken, sie müssten solche Musik machen, um ein Festival zu spielen—voll der falsche Ansatz, wenn man anfängt, Musik zu machen. Das ist so impliziert von den Marken und Firmen in diesem Genre, das wird vom Flyerdruck über Bandmerch so erzogen.

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Naja, in Deutschland warst du mit We Butter schon eins der ersten Aushängeschilder was Electrocore angeht.
Cool. Vielleicht bin ich auch schuld, dass es so ist, wie es ist? Vielleicht sollte ich überhaupt nicht stolz drauf sein.

Wie ist denn dein eigener musikalischer Anspruch an We Butter, wo ihr doch selbst in der Szene hängt? Würdet ihr das noch lange machen?
Nee (verächtliches Lachen), absolut nicht. Aber weil ich nicht gern der performende Musiker bin, das ist ein persönliches Ding. Ich fand es schon in der Schule doof, Gedichte aufzusagen statt zu schreiben. Ich habe den Sinn nicht verstanden, Sachen immer zu wiederholen. Auf Tour spielt man auch 20 Abende dasselbe—warum mache ich nicht was neues?

Das liegt aber auch an der Szene. Es ist auch völlig egal, ob wir da stehen oder Band XY mit Synthies, das spielt gar keine Rolle. Da sitze ich lieber im Studio und schreibe schöne Cello-Stücke, das erfüllt mich mehr.

Ist aber nicht schön für deine Fans, Sätze wie: "Es ist egal, ob wir da stehen" zu lesen.
Jaaa, ich bin mir nicht sicher, ob es in der Musikrichtung noch Fans gibt. Als ich damals zu Dream Theater gegangen bin, hatten sie Dream-Theater-Shirts an und das war cool. Heute haben sie eine Suicide-Silence-Hose, ein Linkin-Park-Shirt, eine Asking-Alexandria-Jacke und ein Cap von Despised Icon an. Du kannst mir nicht sagen, dass die Fan von irgendeiner Band sind. Das ist nur ein Fan von der Szene. Eskimo Callboy sind eine super krasse Live-Band. Aber ob jetzt der die Gitarre spielt oder jemand anderes, ist völlig egal. Völlig. Egal. Wenn bei Machine Head der Sänger nicht mehr da wäre, das wäre etwas anderes.

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Online gehen die Fans für eine Lieblingsband wie Eskimo aber schon ganz schön ab.
Der ganze Hass der Welt steckt in den Kommentaren der Metalcore-Szene. Ich sehe, wie andere Bands gefeiert werden, für die ich den Song geschrieben habe. Und dann kommentiert derselbe Typ, der das gefeiert hat, auf unserer Seite: "Ihr seid so scheiße geworden." Es ist dieselbe Musik, du Affe. Die andere Band ist nur vier Jahre jünger und hat mehr Tattoos. Das zeigt, dass die Musik so zweitrangig ist, weshalb mir das Live-Spielen zur Zeit so schwer fällt. Ich als Person spiele gar keine Rolle auf dem Konzert. Dann kann ich auch zu Hause einen Kuchen backen, das ist geiler.

Aber ihr schreibt trotzdem ein neues Album?
Ja, wir sind fleißig dabei. Beim ersten Album war ich acht Jahre jünger, ich finde nicht mehr alles gut. Ich war auch 20, genau in der Szene drin und fand es cool, bunte Shirts zu tragen. Aber bei dem neuen Album denke ich: Ich habe noch nie so einen geilen Kram geschrieben. Jetzt bin ich in der Zwickmühle. Eigentlich finde ich das alles nicht mehr so geil, aber wir haben so gute Songs. Oder es wäre ein perfekter Abschluss?

Ist es für dich wichtig, dass dies jetzt aufgedeckt wird oder sollten Fans lieber die Illusion leben?
Oft wissen Leute nicht, was für sie gut ist. Im Pop ist jedem klar, dass es glatt für das Radio ist. Es gibt einen Produzenten, jemand kommt singen, fertig. Im Metal gibt es einen Stolz, weil es handgemachte Musik ist. Die Illusion, da sitzt eine Band mit Gitarren und drückt ihre eigene Aggression aus, hat was Magisches und schafft, dass Fans Fans bleiben. Willst du es überhaupt wissen oder Fan bleiben?

Aber mit diesem Interview beantwortest du die Frage ja wieder ganz anders, indem du es aufdeckst.
Out of the box: Als ich dann langsam gemerkt habe, woraus Nahrung so besteht, habe ich meine Lieblingssachen von damals hinterfragt. Ich habe so gern meine Cini Minis gegessen. Aber krass, das stellt Nestlé her, die in Afrika Wasser privatisieren und Leute verdursten lassen. Ein Jahr später bin ich glücklich, andere Sachen entdeckt zu haben, die viel wertiger sind. Vielleich wäre es auch gut, Musik dahingehend zu revolutionieren, dass das Publikum selbstgemachte Sachen mehr zu schätzen weiß und dadurch Bands ausgesiebt werden.

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