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Ich habe mich durch 25 Jahre „Rennbahn-Express“ gelesen

Das Magazin hat gleich mehrere Generationen an Österreichern geprägt. Wir haben uns auf eine Zeitreise begeben.

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Wenn man Österreicher fragt, was sie in der Jugend so geprägt habe, fällt öfter der Name Rennbahn-Express. Das fängt bei den wenigen jüngeren Menschen an, die ich so kenne, und hört bei Bundeskanzler Faymann auf. Zumindest wenn man Wolfgang Fellner glauben will.

Die grundsätzliche Geschichte des Magazins ist schnell erzählt. Der Rennbahn-Express wurde 1968 als Schülerzeitung in Salzburg gegründet. Eben von jenem Wolfgang Fellner, den man heute vor allem als Herausgeber von Österreich kennt, seinem Bruder und einem weiteren Mitstreiter. Die Brüder siedelten nach Wien. In der Folge erlebte das Magazin einen unglaublichen Boom und hängt die deutsche Bravo hierzulande problemlos ab. 1984 tat Fellner etwas, das er sehr gut kann, und verkaufte den R-E in seiner profitabelsten Hochphase an den Kurier.

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Das ist die Kurzform der Story, die aber nicht erzählt, warum der Rennbahn-Express so erfolgreich war, welche Geschichten er erzählt hat, wie er sich veränderte. Weil ich das wissen wollte, habe ich mich in die Bibliothek der Uni Wien gesetzt (mein Studentenausweis ist also doch nicht ganz unnütz) und habe das Archiv des Reenbahn-Express durchgearbeitet. Vom Jahr 1975 bis ins Jahr 2000, als das Magazin dann wieder verkauft wurde.

Die 70er

In den 70ern war der R-E immer noch ein wenig die Fortsetzung einer Schülerzeitung mit erweiterten Mitteln. Es ging viel um „das SCHUG“ aka das Schulgesetz, Nachhilfe, Rauchverbot (ihr brandheißes Thema, seitdem es 1974 gibt), aber auch viel um Schulpolitik. Der R-E war ziemlich nahe an dem Leben eines politischen Schülers der 70er. Außerdem wurden zahlreiche Landesschulsprecher mit den entsprechenden Frisuren vorgestellt.

Es gab immer wieder größere Reportagen über die Kleinkriminalität im Prater („ein freier Raum zwischen gesellschaftlichem Abfallhaufen und obskurer Existenzmöglichkeit“), Österreichs „Rockerbanden“ (wo Menschen wie „Rudolf S., 21, aktiver Rocker“ zu Wort kamen) oder den intellektuellen Drogen-Untergrund Wiens, wo man über „Zarathustra, Plato und Hesse“ diskutiert. Man kann das heute alles ein bisschen belächeln, aber man darf halt nicht vergessen, dass das gesellschaftliche Klima der 70er keinesfalls so frei war, wie es manche Fotos von enormen Koteletten heute suggerieren. Der R-E packte früh Aufregerthemen an, zum Beispiel über einen großen Sexreport („46% der Burschen in der achten Klasse und 46% der Mädchen 'bumsen' regelmäßig, die Hälfte davon sogar mehr als zehn Mal im vergangenen Jahr“). Das war eigentlich verdammt mutig. Und wenn die Redaktion einen weiblichen Lehrling über seine Abtreibung erzählen ließ oder der 23-jährige „Michael M.“ in der ersten Person beschrieb, wie sich „das Schwulsein“ anfühlt, war der R-E gar nicht so weit von dem entfernt, was wir bei VICE heute machen. Nur halt in einer einer Umgebung, die weder das Internet noch das „anything goes“ kannte.

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Der Musikteil des Rennbahn-Express kannte in den 70ern primär zwei Themen: angelsächsische Rockbands und Austropop. OK, eigentlich waren es sogar drei: angelsächsische Rockbands, Austropop und Wolfgang Ambros. Bei Letzerem ist es übrigens wirklich sehr schön zu sehen, wie der R-E ab 1975 in regelmäßigen Abständen „Ambros denkt ans Aufhören“ oder „Ambros macht noch zwei Jahre“ titelt. Artikel wie „Sigi Maron singt nicht, um Millionär zu werden!“ sind aus heutiger Sicht fortlaufend treffend. Es gab darüber hinaus auch schon größere Musikstorys, zum Beispiel über das Problem, in Österreich mit seiner Musik Geld zu verdienen (mit dieser schöne Tabelle über das ungefähre Schilling-Monatseinkommen österreichischer Stars Mitte der 70er). Trotzdem blieb der R-E in Sachen Musik eher ein Ankündigungs-Blatt, was ja in den 70ern aber eine verdammt wichtige Funktion war. Formulierungen wie „Die 'ACID', der Rock-Favorit bei den österreichischen Mittelschülern“ oder Meldungen, dass „jetzt endlich auch in Österreich“ eine Band auf der Bühne Feuer speit, wirken im Jahr 2015 dann doch eher niedlich. Apropos „niedlich“: Eines der zentralen Themen der Musikredaktion war die Frage, welche der großen Bands aus Übersee (der Ärmelkanal hier ausdrücklich eingeschlossen) demnächst eventuell auch in Wien spielen könnte. Das führte zu solch schönen Meldungen.

Für mich die vielleicht schönste Story der 70er ist der Guide, in dem „erstmals alle Diskotheken Österreichs“ zu finden waren. In dem wurde der Camera Club übrigens als „die Gammler-Disko Wiens“ bezeichnet.

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Die 80er

Wir machen einen Sprung in die 80er. Der Rennbahn-Express wird (teilweise) farbig. Später im Jahrzehnt folgte dann ein weiterer Rebrush, der viel in Richtung Neon geht und primär von der Kombi Schwarz/Weiß/Pink lebte. Der R-E wird seinen Claim „Österreichs Schülermagazin“ los. Stattdessen ist man jetzt „Österreichs größtes Musikmagazin“. Das macht sich auch in den Themen bemerkbar: Direkt Schul-relevantes findet noch statt, nimmt aber immer weniger Raum ein. Dafür wird das Themenspektrum insgesamt breiter. Zum Beispiel gesellen sich Film (hier eine schöner Ausblick auf Conan, der Barbar, bei dem der unbekannte Österreicher Arnold Schwarzenegger „völlig überraschend“ die Hauptrolle ergattern konnte), Mode und Serien hinzu. Vor allem Knight Rider und Miami Vice werden Themen sein, die den R-E durch die kompletten 80er Jahre verfolgen werden.

Die 80er Jahre bringen auch zwei weitere größere Meta-Änderungen mit sich. Zum Einen wird das Phönomen „Stars“ immer wichtiger. Sowohl die tatsächliche Behandlung des Privat-Lebens von Bands aus Übersee, als auch das Bedürfnis, heimische Acts auf derselben Ebene behandeln zu wollen. Die Zahl der großen, knalligen Zweiseiter nimmt zu.

Aber es ist eben nicht mehr nur Mick Jagger, der auf seinem Bett fotografiert wird. Plötzlich ist es eben auch wichtig, dass Falco (der sich übrigens gar nicht an die 80er hätte erinnern, sondern einfach einen Blick in den R-E werfen müssen) ein „Morgenmuffel“ ist, wie das Sexleben von Opus so läuft oder dass Vera Russwurm Medizin studiert (Beweisfoto 1). In den 70ern druckte man eher noch die Texte von Wolfgang Ambros ab, in den 80er begleitete man ihn in den Urlaub nach Kenia (Beweisfoto 2) oder auf seine Schihütte. Zwischendurch schrieb man natürlich trotzdem immer wieder davon, dass Ambros bald wirklich aufhört.

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Das klingt jetzt viel verächtlicher, als es eigentlich gemeint ist. Homestorys mit den Mamas von Opus wirken heute eher skuril, aber es waren halt die 80er und die Hochphase des Austropop. Abgesehen davon, kann man es sich als Musikjournalist heute kaum noch vorstellen, dass man für den Besuch eines Musikers zuhause nach Großbritannien oder sogar in die Karibik fliegt, wie es in den 80ern und 90ern üblich war. Wir haben heute schon Schwierigkeiten, das Fahrgeld nach Krems zurück zu bekommen.

Als große, politische Meta-Themen brachten die 80er zum Einen den Umweltschutz, auf den sich der Rennbahn-Express früh draufsetze. Die Besetzung der Hainburger Au und der Aufstieg der Grünen wurde relativ wohlwollend begleitet. Wer auf Fundstücke steht: Hier ist ein wirklich schönes zu Josef Cap, hier eines zu Peter Pilz. Auch die Friedensbewegung war ein Thema, größere Stücke zum Beispiel als El Salvador nahmen zwar keinen großen Platz im Heft ein, waren aber durchaus vorhanden.

Musikalisch gesellen sich in dem Jahrzehnt Bands wie Soft Cell und die NDW zu Austropop, Motörhead und Status Quo. Und natürlich später auch Modern Talking. Erst mit ihrer Musik. Dann mit ihren Streitigkeiten. Und am Ende mit dieser wunderschönen Umfrage, in der immerhin 45 Prozent der Fans bezweifelten, dass Dieter Bohlen solo erfolgreich sein könnte.

Der Rennbahn-Express der 80er war ein Regionalmagazin, was auch seine Stärke war. Er stellte Forderungen, die für Österreichs Jugend nachvollziehbar waren („Holt AC/DC her!“) und war auch sonst ganz nah an seiner Zielgruppe, auch in Sachen Service. Er veranstaltete Diskussionen über die Anti-Baby-Pille, veröffentliche Adressen-Listen für Autogramm-Jäger, ließ bei Themen wie FKK („Großer Trend 85: Nackt im Wind“) Jugendliche mit Statements wie „Die Spießer keppeln nur“ zu Wort kommen. Die Zielgruppe fand sich darin wieder, ebenso wie in großen Geschichten wie „Jugend-Problem Nr.1: Beim Partner übernachten“ oder Teenager-Schwangerschaften.

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„Österreichs größtes Musikmagazin“ war auch gut darin, Trends frühzeitig aufzuspüren und abzudecken. Seien es Tattoos, die Anfang der 80er in Österreich noch verboten waren. Seien es „Gruftis“, die in Neukirchen/Oberösterreich „die heile Bürgerwelt ins Wanken“ brachten. Seien es „Die Autonomen“, sei es die aufkeimende Sprayer-Szene, die in den späten 80er unter Helmut Zilk in Wien ein großes Thema wurde. Und nicht zuletzt war der R-E seinen Lesern zu der Zeit auch etwas, das irgendwo zwischen Lautsprecher, Resonanzkörper und Forum pendelte. Nach kontroversen Artikeln erreichten das Magazin teilweise Hunderte Leserbriefe, die in der nächsten Ausgabe oft einfach zu einem neuen Artikel verwertet wurden. Es gab Kleinanzeigen. Und Leser konnten auch einfach Fragen stellen, die in einer ständigen Rubrik beantwortet wurden. Das war verdammt klug. Es war eine Welt ohne Internet. Wem hätte ein Teenager aus Mistelbach seine drängenden Fragen zur Popmusik stellen sollen?

Die beste Geschichte der 80er? Vielleicht diese hier. Ja, so hat man sich die Schule im Jahr 2000 vorgestellt. Man würde dem R-E allerdings nicht gerecht, wenn man nicht erwähnen würde, dass sie auch ausführlich über den Aufstieg der österreichischen Neonazi-Szene berichtet haben.

Die 90er

Wir springen in ein Jahrzehnt, bei dem dann auch viele etwas Jüngere mitreden können. Der Druck wurde matter, die Farben wurden nicht weniger knallig, wanderten aber wieder aus dem Neon-Bereich heraus. Alles war „flippig“, self-empowerment war angesagt, und Menschen haben sich tatsächlich freiwillig so für ihr eigenes Magazin ablichten lassen.

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Die Grenzen zwischen dem Rennbahn-Express und der Bravo verschwammen zusehens. Die globalen Stars nahmen immer mehr Raum ein, und die waren eben weltweit dieselben: Take That, Backstreet Boys, Spice Girls, Guns'n'Roses, Echt, mit Abstrichen dann eben eben auch immer wieder kurzzeitig Acts wie Right Said Fred oder Nirvana. Und natürlich der Boom des 90er-Chart-Technos („E-Rotic holen sich Fred Feuerstein ins Bett“). Es gab Sex-Tipps von Salt'n'Peppa („Männer wollen alle nur in deine Hose, nicht in dein Hirn“), Gespräche mit East 17 über essentielle Themen und Home Storys mit George Michael. Und natürlich die stets wichtige und bis heute unbeantwortete Frage, wer wirklich der King of Pop ist.

Der Rennbahn-Express berichtete viel über internationale Phänomene wie Techno, Deutscher HipHop oder Jungle und versuchte sie thematisch oft nach Österreich zu holen. Aber man merkt eben schon, wie unwiederbringlich die Welt bereits in den 90ern zusammenrückte. Auch die Geschichten über österreichische Musik nahmen ab, sie sind allerdings heute wirklich, wirklich lustig zu lesen („Alkbottle: Ihre Pläne für 1995“).

Das Magazin gab die Politik nicht ganz auf, streifte sie aber nur noch an, wenn es große Themen waren, welche Lebenswelt ihrer Tamagotchi-spielenden Leserschaft berührte. Beim Thema AIDS erwarb man sich große Meriten, auch mit teilweise sehr lustigen Gonzo-Methoden. So klopfte ein AIDS-Kranker für den R-E bei den Parlamentsclubs an und schaute einfach mal, was passierte („FPÖ: Völlig ratlos“). Man muss der Redaktion hoch anrechnen, dass sie zwischen Geschichten wie „Holt Beverly Hills ins TV!“ immer wieder klar Stellung bezog, sei es für mehr Therapieplätze für drogenkranke Jugendliche oder eine lebenslange Gefängnisstrafe für Küssel.

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Ansonsten findet sich natürlich viel von dem wieder, was die 90er ausgemacht hat. Schminktipps. Sehr, sehr viele Psychotests von „Wie schnell kippst du in eine Liebe hinein?“ bis zu „Bist du eine Führernatur?“. Und natürlich die obligaten Foto-Lovestorys.

Außerdem sehr, sehr viel Sex. Immer mit einer gewissen aufklärerischen Note, aber trotzdem wurde der Rennbahn-Express dramatisch sexualisiert, vor allem im Vergleich mit den 80ern. Es gab zahlreiche Leserbriefe in der Rubrik „Sag es offen“, wo wichtige Fragen zur Sexualiät beantwortet wurden („Beim Oralverkehr kommt eine weiße Flüssigkeit aus dem Penis meines Freundes. Ist das normal?“), es gab Artikel mit Anleitungen zur Selbstbefriedigung und einige euphorische Stücke über das Kondom für Frauen, dessen Erfolgsaussichten im Nachinein dann wohl doch ein bisschen überschätzt wurde. Das war alles gut und schön, aber irgendwie dann auch verdammt austauschbar, auch wenn dabei Storys wie „Klarer Sieg für Ivica—Der schönste Kicker der Welt!“ oder „Erstmals zu sehen: die fesche Freundin von Nirvana-Sämger Kurt Cobain“ herausschauten. Der Rennbahn-Express verlor dementsprechend in den 90ern immer mehr an Beliebheit und Relevanz und wurde 2000 verkauft. 2003 fand ein Relaunch unter dem dem Namen Xpress statt, 2013 wurde die Printausgabe dann endgültig eingestellt. Mit dem Bedeutungsverlust kam er seiner deutschen Schwester Bravo übrigens ein paar Jahre zuvor, deren Auflagenverfall Anfang der Nullerjahre richtig einsetzte.

Was bleibt von dem Ganzen? Ein genuin österreichisches Projekt, das eine Zeitlang eben deshalb die Konkurrenz—auch aus dem großen Nachbarland—auf die Plätze verweisen konnte. Das mindestens 2,5 Generationen an Österreichern geprägt hat. Das den Grundstein für das Fellnersche Medienimperium legte. Das ist eigentlich gar nicht so wenig für ein österreichisches Schülermagazin.

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