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Ich habe eine Woche lang nur Müslüm gehört

Obwohl ich mir Müslüm niemals mehr freiwillig reinziehen werde, bringe ich es einfach nicht übers Herz, diesen Typ zu hassen.

Bild von Sputniktilt | Wikipedia | CC BY-SA 3.0

Eine Woche lang Müslüm zu hören ist anstrengend. Vor allem, wenn man nichts lieber tut, als Kopfhörer zu montieren und zu guter Musik träumend durch die Stadt zu wandern. Während der ganzen Woche hatte ich also immer Müslüms Bass-Stimme und das Party-Gedudel im Ohr. Nichts da mit meinen „Retro Summer“- oder „Old School Hip Hop“-Playlists.

Abends schrieb ich dann in mein Notizbuch, wie ich den Tag überstanden hatte—es fühlte sich an wie ein Diätplan. War es ja irgendwie auch. So wie ein Diätwahnsinniger nach einer Woche wahrscheinlich keinen Salat mehr sehen kann, ging mir Müslüm nach ein paar Tagen bereits ziemlich auf die Nerven. Aber: Ich hab’s überlebt.

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Montag

Anstatt mich mit einem Kaffee und „Beach House“ auf den Balkon zu setzen, durchstöberte ich Müslüms Homepage, um mich über sein Musikrepertoire schlau zu machen. Ich entscheide mich als erstes für seinen neuesten Hit „Bambele“, der in Kombination mit dem Steinzeit-Video eigentlich ganz erträglich, wenn nicht gar lustig, ist. Ich hatte Müslüm nicht als Rappenden, von Topmodels umringten Clown in Erinnerung, er muss so was wie einen Image-Wandel vollzogen haben. Auf dem Weg zur Arbeit setze ich wie gewöhnlich die Kopfhörer auf und schalte zum ersten Mal die neu erstellte Müslüm-Liste ein. Die Lautstärke schalte ich runter. Das tue ich immer, wenn ich in der Öffentlichkeit Musik höre, für die ich mich insgeheim schäme. „Erich, warum bisch ned ehrlich“ dröhnt mir in die Gehörgänge. Das Szenario um mich hat den Charakter einer Komödie angenommen, ich bin ungewohnt beschwingt, jedenfalls für einen Montag.

Dienstag

Obwohl es ziemlich trist ist ganz ohne Musik, überkommt mich trotzdem nicht das Verlangen, mir einen anderen Hit Müslüms reinzuziehen. Also lese ich einfach Zeitung, schaue aus dem Fenster oder beschäftige mich in irgendeiner Weise mit meinem Handy. Sie sind ungewöhnlich, all diese Geräusche. Ich nehme sie viel bewusster wahr. Auch die Schulklasse im Bus und den zappelnden kleinen Jungen neben mir. Ich werde zunehmend gereizter. Es ist, als wäre ich auf Nikotinentzug, hätte nicht gedacht, dass auch Musik einen derartigen Einfluss auf mein Aggressionspotenzial hat. Die Arbeit überstehe ich dann nicht ohne Sound, also heisst es wieder „… keine Kokain, keine Amphetamin …“ sondern Müslüm. Abends bin ich in einer Bar und habe gleichzeitig Schuldgefühle und Freude, dass kein Müslüm läuft. Aber der blöde Chart-Sound ist auch nicht viel besser. Zuhause angekommen schalte ich anstelle des gewohnten Hörspiels Müslüms „Süpervitamin“ ein. Nach ein paar Takten bin ich eingeschlafen.

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Mittwoch

Ein weiterer Tag „Süpervitamin“ beginnt. Vielleicht kann ich mich ja von Müslüms Lebensfreude zu früher Stunde anstecken lassen. Mir fällt auf, das Müslüm ein Idealist ist, man könnte fast sagen ein Revoluzzer, der seine Botschaft mit Komik und Musik verbreitet. „Keine Kokain, keine Nikotin, keine Amphetamin. Meine Musik ist deine Medizin!“ Im Bus zur Arbeit schalte ich zufällige Titel ein und „Erich, warum bisch du nid ehrlich“ kommt.

Obwohl es noch Lieder gäbe, die ich noch nicht gehört habe, mag ich nicht umschalten. Dass das Lied ausserdem so viele instrumentale Passagen hat, kommt mir ganz recht. „Hasch du keine Herzeli, hasch du keine Liebe becho; du bisch immer depressiv, immer sind die andere Schuld.“ Wenn ich mir Erich Hess’ Gesicht dazu vorstelle, muss ich lachen. Und trotzdem überkommt mich die Lust, ein wenig durch meine Mediathek zu scrollen, ich muss ja nichts einschalten, nur ein bisschen schauen. Ich hätte jetzt Lust auf ein bisschen Kendrick Lamar oder wenigstens Santigold und es überkommt mich langsam so etwas Ähnliches wie Anschiss. Müslüms Musik ist heute definitiv keine Medizin für mich und wenn sie ein Medikament wäre, dann wohl Ritalin. Es macht sich nämlich dieses nervöse Kribbeln in meinem Innern bemerkbar, das man nach einem Lernmarathon hat.

Donnerstag

Um meinen obligatorischen Einstieg in den Müslüm-Sound so schnell wie möglich hinter mich zu bringen, gibt’s schon zum Frühstück „Samichlaus“. Meine Mitbewohner müssen sich das heute auch über sich ergehen lassen. Im Gegensatz zu mir finden sie es aber recht witzig. „Grüezi, grüezi miteinander ich bin der Samichlaus, ich schaffe … Alle schwarzen Schöfli aus …“ Ich aber habe definitiv genug von Müslüm. Mein Experiment zeigt ähnliche Symptome wie Werbung, die zu einer bestimmten Uhrzeit in der Dauerschlaufe kommt. Sie nervt irgendwann dermassen, dass man das jeweilige Produkt niemals kaufen wird. Ich fand Müslüm früher eigentlich selber witzig, jetzt habe ich inzwischen aber eine Art Phobie entwickelt. Sorry Müslüm.

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Freitag

Der letzte Tag, das Ende naht. Ich gebe mir heute die volle Ladung: Ich ziehe mir alles rein, das ich bereits gehört habe, wage mich aber auch an Neues. Müslüm ist ursprünglich nämlich durch Telefonscherze bekannt geworden und hat erst später entschieden, seinen Humor in musikalischem Format zu verbreiten. Die Telefonscherze stellen eine willkommene Abwechslung dar und ich bereue es, sie mir erst jetzt anzuhören. Ich verbringe Stunden damit, Müslüm zuzuhören, wie er unter anderem die Stadtpolizei Bern, eine Krankenversicherung und ein Bordell verarscht. Er hat es geschafft, mein Herz zurückzuerobern. Ich ertappe mich bei regelmässigem Schmunzeln, auch bei der Arbeit. Die letzte Ladung gibt’s Mal wieder zum Einschlafen: „Chum lass la bambeleeee.“

Fazit

Müslüm, ich mag dich gerne. Obwohl du mir im Verlauf dieser Woche so richtig auf den Sack gegangen bist, kann ich dich einfach nicht hassen. Du wirst mich in Zukunft immer noch zum Lachen bringen, aber ich werde niemals wieder freiwillig eines deiner Lieder einschalten. Über die Telefonscherze können wir noch diskutieren …

Nora auf Twitter: @nora_nova_