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Ich glaube, ich bin zu alt für Rap-Festivals geworden—und es bricht mir das Herz

Ich war am Wochenende auf dem Mile Of Style-Festival und irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, dass HipHop-Festivals früher ganz anders waren.

Rap war nicht meine erste große Liebe, das wäre gelogen. Meine erste große Liebe war ein Junge im Kindergarten, der Alexander hieß. Was wirkliche Liebe ist, habe ich allerdings erst erfahren, als ich das erste Mal mit Langenscheidt-Wörterbuch vor dem CD-Player gekniet und versucht habe, die Texte der Marshall Mathers LP ins Deutsche zu übersetzen. Oder als ich mit meinem Hund am Stadtrand spazieren war und mit Blick auf die dreckigen Hochhäuser dachte, dass es kein unfassbareres Album geben kann, als Azads Leben. Als ich wochenlang nichts anderes hören wollte als „Eimsbush Stylee“ und wie ich auch heute noch eine Gänsehaut kriege, wenn ich das Intro von CCN höre. Hach ja, damals.

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Ich liebe Rap immer noch, wir führen nur seit längerem eine Art Fernbeziehung. Ich war seit Jahren nicht mehr beim splash!, weil meine Professoren und Arbeitgeber nicht auf mich verzichten wollten, nur damit ich betrunken auf einem Zeltplatz liegen kann. Und um mich wirklich intensiv mit neuen Künstlern auseinandersetzen zu können, fehlt mir einfach die Zeit. Wie viel mir trotzdem noch an Rap liegt, wurde mir erst dann wieder so richtig klar, als ich kürzlich bei einer Videospiele-Releaseparty in Hamburg war. Kollegah war zugegen und performte vor den geladenen Journalisten, die sich mit blasierten Mienen und Freigetränk in der Hand der Mini-Bühne zugewandt hatten.

Ganz schrecklich fanden sie das alle, und wie man überhaupt so was Dummes hören kann, haben sie sich gefragt (um anschließend nach einem Selfie zu fragen. Die Instagram-Follower vermehren sich ja nicht von selbst). Da bin ich ziemlich wütend geworden und habe beschlossen, es noch mal ernsthaft zu versuchen. Mit mir und Rap. Als großes Wiedersehen entschied ich mich für das Mile of Style in Bremen. „Indoor-Festival“ klang für mich mit 26 Jahren bequem genug und was wäre an einem Osterwochenende auch die Alternative gewesen? Kaffee und Kuchen bei der Familie? Dann lieber Xatar und Celo & Abdi. Außerdem war ich noch nie in Bremen.

Das Line-Up klang gut, der mysteriöse Secret-Co-Headliner hielt die Hoffnung wach, dass Farid Bang zu irgendeinem Zeitpunkt aus einem überdimensionalen Karottenkuchen springen würde und wir kannten genug Leute vor Ort, um auf Umsonst-Alkohol spekulieren zu können. Viereinhalb Stunden im Fernbus nach Bremen, dann irgendwie zum Hotel, dann Location, dann wieder Hotel, anschließend das Gepäck irgendwo abladen und von Sonntag auf Montag einfach durchmachen. Der Bus zurück nach Berlin käme um 4.10 Uhr und schlafen kann man ja auch, wenn man tot ist. Oder 30.

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Das Problem, wenn man nicht mehr ganz so jung ist: Man hat es gerne organisiert. Wenn ich also auch zwei Stunden nach dem ersten Act der Veranstaltung immer noch keine Running Order habe, dann ärgert mich das. Wenn mir drei Mal meine Tasche durchsucht wird, nur damit mir dann doch gesagt wird, dass die Presse-Liste an einem anderen Eingang ist, dann ärgert mich das auch. Und als wir dann endlich drin und nach einem überaus fehlgeleiteten Versuch, zu enge AAA-Bändchen mit Handcreme von großen Männerhänden zu entfernen, beim Freibier angekommen waren, fielen wir in das große Festival-Loch, das ich schon beinahe vergessen hatte. Diesen Moment unfassbarer Klarheit, in dem einem bewusst wird: Eigentlich tritt in den nächsten Stunden niemand auf, den wir sehen möchten. Es ist zu kalt, um draußen zu sitzen und aus ähnlichen Wettergründen wurden auch sämtliche geplanten Outdoor-Aktivitäten (Graffiti und … ich glaube, nur Graffiti) abgesagt. Warum genau waren wir eigentlich hergekommen? Uns blieb nichts anderes übrig, als uns bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken.

Festivals waren schon immer anstrengend. Vor allem dann, wenn man vor Ort arbeiten und den ganzen Tag auf dem Gelände rumhängen musste. Immerhin gestaltete sich das Ganze früher aber wie eine Art Familientreffen. In Bremen hingegen sehe ich verkleidete HipHop-Menschen, die Gespräche führen, ohne hinzuhören, weil sie mit manischem Blick ihre Umgebung absuchen und hoffen, einen Blick auf irgendjemanden erhaschen zu können, der mal halbberuflich in ein Mikrofon gesprochen hat. Alle scheinen ständig auf irgendetwas zu warten, aber auf was genau? Die Running-Order für Sonntag? Den angekündigten Secret-Act, der Samstag dann irgendwie doch nicht aufgetaucht ist? Es wird viel geraucht, ein Mädchen erzählt auf der Toilette stolz, dass sie wahnsinnig betrunken ist und ich nippe heißen Kaffee aus meinem Plastikbecher und denke an mein Bett. Hatten Deutschrap-Veranstaltungen schon immer diese Aura der passiv-aggressiven Tristesse? Nach eineinhalb Tagen ohne Schlaf, möchte ich nichts anderes als liegen, während meine mitgereiste Bekannte ankündigt, im Backstage nach Teebeuteln suchen zu wollen.

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Irgendwann, nach mehreren Auftritten und einem Tiefpunkt, der sich nur durch mehrere Becher Sekt überwinden ließ, reiße ich mich zusammen. Ja, der Großteil der Leute hier ist höchstwahrscheinlich jünger als ich. Der Türsteher hat uns deshalb bis auf das letzte Geldbeutel-Fach auf Drogen untersucht, weil unsere Augenringe nach exzessiver Feierei altersbedingt eine deutlich besorgniserregendere Farbe aufweisen als die des Teenager-Publikums. Aber kam ich nicht her, um Spaß zu haben? Ich beschließe, mir nach dem sehr selektiven Auftritt-Anseh-Verfahrens am Vortag (Zugezogen Maskulin, Celo & Abdi, Xatar, Kollegah), jetzt so viel anzusehen, wie nur eben möglich.

Sonntagabend. Während ich von Bühne zu Bühne schlendere, keimt irgendwo ganz hinten im Kopf, wie ein bösartiger Tumor, die Erkenntnis: Die Veranstaltung fühlt sich so leer, so unbefriedigend, so anders an als früher, weil bisher kein einziger Auftritt gut war. Was meine ich mit gut? Stimmpräsenz, eine gewisse Aura, das Gespür dafür, was das Publikum gerade braucht. Und vor allem die Fähigkeit, zumindest so zu tun, als hätte man gerade ansatzweise Spaß. Wenn das alles stimmt, sieht man sich auch Künstler an, die man auf Platte nie gut fand.

Das Problem beim Mile of Style: Wenn man vor allem die aktuell erfolgreichen und angesagten Leute bucht, die mehr gute Geschäftsmänner als leidenschaftliche Vollblutmusiker sind—oder eben Musik machen, die aufgrund ihrer Komplexität und/oder inhaltlichen Ausrichtung live einfach nicht so gut funktioniert wie auf Platte—dann generiert man kein Konzerterlebnis, an das sich die Leute Jahre später noch erinnern. Und wenn selbst die Acts, die über jeglichen Live-Zweifel erhaben sind (die Orsons oder Creuzfeld & Jakob, beispielweise) keine gute Show abliefern können, weil die Akustik insbesondere auf der kleinen Bühne so miserabel ist, dass man leider absolut gar nichts versteht: wozu dann überhaupt Geld für Tickets ausgeben? Da investiere ich doch mein Geld lieber in ein bis zwei Flaschen Cremant, ziehe den Bademantel an und gebe mir das Ganze in perfekter Tonqualität über die heimische Anlage. (Gott, ich bin wirklich alt geworden)

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Je länger ich darüber nachdenke, umso weniger möchte ich wieder jung sein. Da stehen die Leute in ihren Prinz Pi … orno-T-Shirts, mit „Brudi“-Caps auf dem Kopf und Maeckes-Zitaten auf den Unterarmen und freuen sich über den Kollegah-Auftritt, weil der „besser als sonst“ war. Oder keuchen sich auf dem Weg zur Toilette begeistert gegenseitig ins Ohr, wie „bombe“ Haftbefehl performt hat. Haftbefehl, der überaus gute und atmosphärisch dichte Songs machen kann, live aber nichts anderes tut, als unmotiviert sein Greatest Hits-Programm (wobei die Supergreatest Hits mindestens zweimal gespielt werden) ins Mikro zu brüllen. Ich wünschte, ich hätte einen Selfie-Stick gehabt, um damit so lange auf den performenden Rapper einzuprügeln, bis er zumindest so tut, als ginge es ihm gerade nicht einfach nur darum, möglichst unangestrengt Geld zu verdienen.

Kein Wunder, dass die Leute apathisch Handyfotos machen oder in dieser komplett fragwürdigen Heil-Hitler-meets-Winken-Geste mit den Armen wedeln. Vielleicht sieht man im Nachhinein alles ein bisschen anders, und damals war nicht alles besser, und ich bin gerade nichts anderes als eine nörgelnde alte Kuh, die aktuell zwar auf dem Weg zur Arbeit Asphalt Massaka 3 pumpt, ansonsten aber irgendwie auf dem 2000er Rapfilm hängengeblieben ist. Trotzdem, liebe junge Raphörer-Generation, tut ihr mir Leid. Mit all euren Label-Kleinkriegen und Rap-Update-Kommentarspalten und der stetigen Illusion, nur einen arschkriecherischen Fan-Tweet vom direkten Kontakt mit eurem Lieblingsrapper entfernt zu sein. Ihr tut mir Leid, weil Technik und Ästhetik so wichtig geworden ist, dass niemand sich mehr eine Blöße geben will oder kann. Da steht man lieber in der Mitte der Bühne und zieht sein Programm durch. Macht es den johlenden Fans auch leichter, gute Fotos für ihre Social-Media-Feeds zu machen.

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Ich liebe dich immer noch, Rap, wirklich. Aber ich habe das Gefühl, dass wir uns langsam auseinanderleben. Es liegt nicht an dir, denn du warst schon immer irgendwie ambivalent, unberechenbar, mal das Schönste der Welt und dann wieder so hässlich, dass ich mich beschämt abwenden wollte. Es liegt an mir. Ich habe keine Zeit mehr für Oberflächlichkeiten und Gefühlsamputiertheit irgendwo zwischen Soziopathie und Grenz-Autismus. Ich habe keine Zeit für Nachwuchs-Rapper, die alle so gleich und austauschbar und zielgruppentechnisch optimiert sind, dass ich mich über jeden Xatar freue, der auf der Bühne seine Gefängnisstories erzählt. Ich möchte echte Emotion und Liebe zur Musik und Spaß, und nicht fassungslos einem alten Jugendidol dabei zusehen müssen, wie er eine halbe Stunde lang „B-O-Z-Z“ ins Mikro röhrt, als hätte er nicht noch vor ein paar Jahren zum sprachlich Bildhaftesten gehört, was Deutschrap je hervorgebracht hat.

Außerdem kann ich auch einfach nicht mehr tagelang wach bleiben, mich ausschließlich von Bier und Jägermeister ernähren und am nächsten Tag voll leistungsfähig im Büro auftauchen. Vielleicht ist auch das das Problem.

Lisa twittert jetzt wieder voll leistungsfähig—@Antialleslisa

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