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Hat HipHop seine lyrische Klasse verloren?

GZA vom Wu-Tang Clan kritisiert die aktuelle Generation für ihre sinnlosen Texte. Steckt er vielleicht zu sehr in der Vergangenheit fest?
Ryan Bassil
London, GB

Was ist die wichtigste Element des HipHop? Für einige ist es die Finesse des Turn-Ups, andere feiern die Smoothness mit der eine Hook in die Stratosphäre befördert wird. Wieder andere stehen einfach nur auf die Klamotten. Wenn du allerdings GZA von Wu-Tang fragst, dann lautet die Antwort ganz einfach: „Am Ende dreht sich alles um die Lyrics.“

Und GZA hat recht. Schließlich gäbe es ohne Lyrics auch keinen Rap. Die Texte sind eben eine integrale Komponente dieses Genres—um einiges essentieller als nostalgische Samples oder ein Roland 808. GZA ist aber nicht dazu da, um uns Sachen zu sagen, die eh auf der Hand liegen; ihm geht es vor allem um die Beziehung zwischen Rap und dem gesprochenen Wort. In einem Essay, das vor ein paar Wochen unter dem Titel „The Lost Art of Lyricism“ erschienen ist, lässt er kein gutes Haar an den HipHop-Künstlern von heute und kritisiert die aktuelle Generation für ihr fehlendes Gespür für gute Lyrics. „Rakim … der hat nie darüber geredet, in einem Club aufzukreuzen und ein paar Typen wegzupusten“, sagt er und vergleicht damit die Rapper von 2015 mit dem Standard des Golden Age HipHop. In dieser Zeit legten Künstler wie Big Daddy Kane, KRS One und Chuck D den Grundstein für komplexe Wortspiele.

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Man sieht schnell, wo GZA herkommt. In seinem vielgefeierten Verse zu „Follow the Leader“ von 1988 wiederholt Rakim nie die Rhythmusstruktur zweier Bars. Das bedeutet, dass die Kadenz von jedem Paarreim des All-You-Can-Eat-Metapher-Büffets anders ist. Vergleiche das mal mit den erfolgreichsten Rapsongs unseres Jahrtausends—ein Song von Migos, in dem das Wort „Versace“ 18 mal wiederholt wird; Kanye Wests Reime a la „I wanna fuck you hard on the sink; after that get you something to drink“; One-Hit-Wonder, die ihre Vorliebe für „the co-co“ oder „cashing out“ bekunden—und schnell wird klar, dass sich die Zutaten geändert haben, die es braucht, um einen gefeierten HipHop-Track abzuliefern. Es ist kein Wunder, dass GZA enttäuscht ist. Die Rap-Szene, mit der er großgeworden ist, existiert so nicht mehr.

Earl Sweatshirt. Foto: Eli Watson | Flickr | CC BY 2.0

GZA ist Jahrgang 1966. Als er dann mit seinen Cousins Ol’ Dirty Bastard und RZA rumexperimentiert, ein Solo-Album als The Genius und Return to the 36 Chambers mit dem Wu-Tang Clan veröffentlicht hatte, schrieb man das Jahr 1995 und er war 29 Jahre alt. Er hatte die Kinderstube des Rap miterlebt, als der Hauptfokus noch auf komplexen Wortspielereien lag. Heute sieht es anders aus. Wie der HipHop-Kritiker Jeff Weiss letzten Monat getwittert hat, klingen die meist-erwarteten Rap-Alben des Jahres—von Künstlern, die vor allem durch ihr Rap-Talent bekanntgeworden waren—wie Alben von Rappern, die absichtlich versuchen, nicht zu rappen: „Tyler will Regisseur sein. Kendrick will Jazzman sein. Chance will Jamiroquai sein. ASAP will Hansel sein. Niemand will rappen.“ Im Laufe der Entwicklung des Rap scheint sich der Hauptfokus verschoben zu haben. Früher ging es darum, die besten Bars zu spitten. Heute scheint es vielmehr darauf anzukommen, wer die klanglich üppigsten und experimentellsten Projekte an den Start bringen kann. In anderen kreativen Bereichen machen die Bars aber immer noch was aus.

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Zwei Künstler antworteten auf den Kommentar von Jeff Weiss: Earl Sweatshirt und Mick Jenkins. Auf, „niemand will Rappen“, entgegnete Sweatshirt einfach, „Ich will.“ Mick Jenkins wiederum fragte, „Was zur Hölle sollte ich denn sonst machen?“ Offensichtlich ist er auch etwas darüber enttäuscht, dass die vielseitige textliche Symbolik seines Mixtapes The Water(s) nicht so gut angekommen ist, wie er es wohl gerne gehabt hätte. Beide Künstler veröffentlichten Rap-Alben, die wohl wie kaum andere in der jüngeren Vergangenheit den Titel „Gesamtkunstwerk“ verdient haben. Was Earl Sweatshirt angeht, ist Weiss der gleichen Meinung und listet seine Veröffentlichung wenig später als eins der „Drei besten Rap-Alben dieses Jahres“. Es gibt eben trotz allen eine Reihe Künstler da draußen, die der „Lost Art of Lyricism“ neues Leben einhauchen.

Kendrick Lamar. Foto: Merlijn Hoek | Wikimedia Commons | CC BY 3.0

Nimm zum Beispiel Kendrick Lamar. Als er im März To Pimp a Butterfly veröffentlichte, waren sich alle einig: Man wird eine ganze Weile brauchen, um das Album wirklich zu verstehen. Vom Sound her klingt die Platte auch nicht nach einem typischen Rap-Album. Die wahre Stärke liegt aber in seinen Texten und Reimen, von denen die Meisten auf Rap Genius immer noch heiß diskutiert werden. In „The Blacker The Berry“ prescht Kendrick voller Dringlichkeit voran und seine Kadenz puscht aggressiv Lines wie „I’m African American, I’m African / I’m black as the heart of a fuckin’ Aryan“ nach vorne. Über den Track hinweg wird er, was seinen Stolz angeht, „as blunt as it gets“, nur endet das ganze dann in einem Twist: „Why did I weep when Trayvon Martin was in the street, when gang banging make me kill a nigga blacker than me? Hypocrite!” Egal wie deine Meinung zu Kendricks Standpunkt zu Trayvon Martin aussieht—und davon gibt es viele—ist die Zeile einfach schockierend. Wie der angesehene Autor Michael Chabon jedoch bei Rap Genius anmerkte, lässt dieser Bruch am Ende des Tracks den Hörer „die Möglichkeit bedenken, dass Scheinheiligkeit in bestimmten Situationen eine wesentlich komplexere moralische Position ist, als allgemein erlaubt—und vielleicht sogar eine begrüßenswerte.“ Es sind ohne Zweifel die Lyrics, die „The Blacker the Berry“ zu einem der stärksten Tracks in Kendrick Lamars kompletten Backkatalog machen.

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Tracks wie „How Much a Dollar Cost“, in dem es um eine zufällige Begegnung zwischen Kendrick und Gott geht, und Lines wie „Democrips and Rebloodlicans / Red State versus a Blue State / Which one you governin’?“ von „Hood Politics“ (übrigens eine Idee, die er wahrscheinlich von dem 2009er Pat Justice Track „Democrips and Rebloodlicans“ hat, aber nichtsdestotrotz eine großartige Line) fußen auf kraftvollen Wortspielereien, mit deren Hilfe er umfassende und vielschichtige Geschichten erzählt. Es ist der Ansatz, auf dem auch Kendricks ganzer Erfolg fußt—siehe das intertextuell unglaublich verschachtelte good kid, m.A.A.d city. Klar, die Art wie Kendrick und andere Künstler, von Lupe Fiasco bis hin zu Pusha T, ihre Lyrics einsetzen, unterscheidet sich maßgeblich von GZAs Golden Age. Zuerst einmal sind die Beats und der Flow kaum zu vergleichen. Es gibt auch keinen rappigen Rap. Nichtsdestotrotz verwenden sie in ihren Lyrics und ihrem Arsenal an Techniken, von Metaphern bis hin zu Multis, noch immer Wörter, um die Aufmerksamkeit auf Themen—politisch, reflektierend oder persönlich—zu lenken, und das aus dem gleichen Motiv, das Rap schon immer verfolgt hat: dem Hörer eine Message zu überbringen.

Damals, während des Golden Age, waren es fast nur die OG HipHop-Nerds, die sich intensiv mit der Entschlüsselung von Texten auseinandersetzten. Heutzutage, angesichts solcher Seiten wie Rap Genius und großen Künstlern, die textlich anspruchsvolle Projekte veröffentlichen, scheinen selbst die durchschnittlichsten aller HipHop-Fans Wortgewandtheit sehr zu schätzen. Sie diskutieren darüber in Foren, twittern Lines und analysieren in manchen Fällen sogar ganze Alben im Namen der Wissenschaft. In seinem Essay erkennt GZA das durchaus an und schreibt, „Ich bin mir sicher, dass es auch heute einige großartige Texter da draußen gibt“, nur um dann wenig später wieder einzuwenden, „Im Mainstream HipHop ist das Lyrische verschwunden. Es gibt ein paar Künstler da draußen, die denken, dass sie gute Storyteller seien, aber das sind sie nicht. Ich habe das Wort ‚MC’ so lange schon nicht mehr gehört; ich habe das Wort ‚lyrical’ schon lange nicht mehr gehört.“

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Es scheint also so, dass GZA eher unzufrieden mit der allgemeinen Veränderung ist. Er gibt zu, dass Mainstream HipHop-Künstler seiner Zeit—Kurtis Blow war der erste Rapper, der einen Vertrag bei einem Majorlabel unterschrieb—ziemlich klischeehaft und abgedroschen waren, aber immerhin hatten sie „eine Message“. Es wäre ziemlich sinnlos, bei den Mainstream Songs von heute, Tracks wie „No Flex Zone“ oder den meisten DJ Mustard Produktionen, nach einer Message zu suchen, die tiefer geht, als in einem Club abzugehen. Das sollte aber nichts ausmachen, denn es handelt sich dabei im Endeffekt um zwei verschiedene Genres. Es hat nicht mehr viel mit dem HipHop zu tun, von dem GZA redet. Wir haben es hier mit zwei verschiedenen Formen des Mainstream-HipHops zu tun. Die erste kommt von Künstlern wie Kendrick, die unglaublich erfolgreiche Alben veröffentlichen. Die zweite ist die Art von HipHop, die du tagsüber in jedem Mainstream-Radio hören kannst. Wenn GZA vom Mainstream spricht, dann meint er eindeutig die letztere Art—den Sound der Turn-Up Hymnen. Und er hat recht damit, dass Textfertigkeit in diesem Bereich nicht mehr viel zählt und dort weitgehend verschwunden ist. Diese Tracks lassen sich kaum mehr als HipHop bezeichnen. Die Grundformel des Genres ist zwar die gleiche—es gibt einen Beat, Rap-Lyrics und oft eine Hook—aber es ist ein komplett anderer Sound, dem oftmals jeglicher Inhalt fehlt.

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Der Urheber des Amen-Breaks bekommt endlich sein Geld.

Es sind jetzt fast 40 Jahre vergangen, seitdem der erste Rapper bei einem Majorlabel unterschrieben hat, HipHop hat sich seitdem in kleine Splitterzellen aufgespalten. Einige Künstler, vor allem diejenigen, die im Radio gespielt werden, „geben keinen Fick“ auf irgendeine Message. Andererseits gibt es aber genau so viele, die sich sehr viele Gedanken, um ihre Texte machen. Für GZA ändert das jedoch wenig. Er ist enttäuscht darüber, dass die zentralen Werte verschwunden sind—dass Leute nicht mehr davon reden, ein „MC“ oder „lyrical“ zu sein. Zu GZAs Zeit hieß „lyrical“ zu sein, dass du über deinen Skill gerapt hast und dir die intellektuell anspruchsvollsten Reime ausdachtest.

Heute ist alles anderes. Es gibt zwar immer noch mal diesen einen Track, wie Lamars „Control“, bei dem ein Rapper aus der Reihe tanzt und mit seinen Skills angibt. Gute Lyrics drehen sich aber eben nicht mehr zwangsläufig darum, ein MC zu sein. GZA trauert um die „Lost Art of Lyricism“ im heutigen Rap, weil sich die Welt geändert hat. Das ursprüngliche Rückgrat der Szene, das von Golden Age Künstlern wie Rakim noch hochgehalten wurde—ein MC zu sein und die fünf Elemente dieser Kultur zu repräsentieren: Graffiti, MCing, DJing, Breakdancing und Knowledge—ist verschwunden. Die Philosophie hinter HipHop ist jetzt eine andere. Und natürlich gefällt GZA das nicht. Die kulturelle Landschaft, in der er aufgewachsen war und die Ideale, die er sich auf die Fahne geschrieben hatte, sind an den Rand gedrängt worden, aber genau das ist eben auch der Lauf der Dinge. Mit dem ganzen Wissen, das GZA hat, sollte er sich eigentlich darüber im Klaren sein, dass es nie mehr so sein wird, wie damals im Golden Age. Er sollte wissen, dass Kultur nie stillsteht. Heute ist er nur noch der alte Mann, der die spielenden Kinder von seinem Rasen verscheucht. Es würde sich aber definitiv für ihn lohnen, mal die Augen aufzumachen und die ganzen neuen Talente, Masters und Poeten zu sehen, die gerade die Bühne erklimmen. Die Kunst des Textens ist nämlich nicht tot. Wie sagte GZA noch gleich in „Liquid Swords“? „Enter the chamber and it’s a whole new sound.“

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