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Dank der gelangweilten Gästelisten-Menschen habt ihr mehr Spaß auf Konzerten

Zündet eine Kerze auf eurem Fan-Schrein für uns dekadente Penner an, wir haben es uns verdammt nochmal verdient.

Ein Freund von mir, seineszeichens Grafiker, designte eine Zeitlang die Cover für eine mittelmässige Porno-Produktionsfirma. Akte Wixxx, Der Sexorzist oder Gay's Anatomy – ihr wisst schon. Nach einem halben Jahr musste er kündigen, weil er es nicht mehr aushielt, sich acht Stunden täglich über squirtende Vaginas und mit Sperma zugekleisterte Gesichter zu beugen. Das mag dem ein oder anderen BRAZZERS-Premiumabonnenten irrsinnig erscheinen, aber irgendwann ist es eben genug. Ab einem gewissen Punkt schaltet man einfach ab, egal wie amüsant es einmal war. Mich hat es nicht ganz so schlimm getroffen, ich darf beruflich und privat Konzerte besuchen. Im letzten Jahr haben sich auf diese Weise circa 80 Konzerte und locker 25 Festivals angesammelt. Bezahlt habe ich dafür selbstverstädlich nicht und das ist auch gut so, weil wer würde sonst gelangweilt im hinteren Bereich des Saals stehen und Bier trinken? Dort ist nämlich der Platz für die Journalisten und Gästelisten-Menschen – der Katzentisch quasi oder die Hundeecke.

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Natürlich gibt es Bands, bei denen Hopfen und Malz, beziehungsweise Tontechniker und Motivation sowieso verloren ist, da kann man auch mal als Normalsterblicher die Mundwinkel nach unten ziehen. Wer das zweifelhafte Vergnügen hatte, im letzten Jahr den Wu-Tang-Clan live zu erleben oder mitansehen musste, wie The Offspring ihre Wampen auf die Bühne wuchteten, um ein Pottpouri ihrer Greatest Hits hinzuknödeln, das jedem von Achim Mentzel (Gott hab ihn selig!) besuchten Autohaus das Fundament unter den Sockeln wegziehen würde, der weiß um solche Peinlichkeiten. Vielleicht hat der ein oder andere auch das Vergnügen gehabt, ein halbes Konzert von Nicki Minaj ohne Playback zu erleben. Reden wir nicht drumherum, bie solchen Auftritten denkt doch jeder: Runter von der Bühne und Geld zurück!

Foto: Imago

Nicht nur in Wien hört man immer öfter den Satz: "Wenn ich hierfür bezahlt hätte, würde ich mich aber voll aufregen." Dekadente Wichser, diese Gästelisten-Menschen, so höre ich euch jetzt meckern. Denen sollte man wirklich mal das Handwerk legen – also den anderen, nicht mir. Man erntet ja vollkommen zurecht abfällige Blicke, wenn man sich an der Schlange vorbei drängelt oder dank eines andersfarbigen Bändchens ausnahmsweise mal während des Konzerts im Graben steht und seine Emails checkt. Fliegende Bierbecher und Spuckattacken sind da noch das Geringste. Aber ihr, die ihr da im Mob tobt, habt eine Sache vergessen: Wie wollt ihr euch als Hardcore-Fans und Erste-Reihe-Steher, als Moshpit-Durchdreher und Schwitzhemden-Supporter profilieren, wenn es nicht diese verstoßene Gruppe an Menschen gibt, die desinteressiert in der Gegend rumstehen? Diese Gruppe von Leuten, die sich an die Wand neben dem Eingang lehnen, trotz eures romantischen Lieblingslieds laut reden und versuchen, die Tresenkraft anzubaggern, während ihr hin und weg seid, dass Pete Doherty tatsächlich August Diehl auf die Bühne holt. Es ist wirklich nicht leicht, immer und überall die Lippen ganz doll zusammenzukneifen und kalten Kippenqualm durch die Nüstern zu blasen, während man sich überlegt, wie man heute die Band verreißen kann. Immerhin sind böse Texte bekanntermaßen einfacher zu schreiben als eine positive Kritik.

Ihr glücklichen Ticketkäufer, habt ihr mal daran gedacht, wie wir uns fühlen, wenn ihr nach dem Gig klitschnass bis auf den Schlüpfer an uns vorbei rauscht, ein seliges Lächeln auf den Lippen, die Augen strahlend, dank des soeben erlebten? Während uns nur die Suche nach dem ultimativen Gig bleibt, der alles zuvor Gesehene in den Schatten stellt. Ist jemand von euch schon mal in den Sinn gekommen dass das Ying- und Yang-Zeichen nicht nur ein bescheuerter Heckscheibenaufkleber für Müslifresser ist, sondern tatsächlich eine tiefere Bedeutung hat? Bevor ihr also demnächst wieder in irgendwelchen nerdigen Online-Foren über das "bessergestellte Pack" und die elitäre Berliner Listen-Mentalität schimpft, denkt immer an uns, wie wir mit leerem Herzen verbittert in der Ecke stehen und uns wünschen, auch nur eine Sekunde den Spaß zu haben, den ihr da vorne, ans Geländer gepresst und mit Körpersäften überschüttet, gerade habt oder haben werdet. Denkt an uns, wenn ihre eure blauen Flecken mit Johhaniskraut-Öl einreibt und auf der Facebook-Veranstaltung des Konzerts fragt, ob jemand euer Handy gefunden hat. Und vor allem: Zündet eine Kerze auf eurem Fan-Schrein für uns an, wir haben es uns verdammt nochmal verdient.

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