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Von Rappern und Göttern - Der Einfluss der Five Percent Nation auf den US-HipHop

Unter anderem Jay Z und Kanye West beziehen sich in ihrer Kunst auf die 5 Percent Nation. Woher kommt die Verbindung zwischen HipHop und der afro-emanzipatorischen Gruppe?

These NGHs God-body tryin’ to be golden calves. Five percent on the corner of pure science and math. While the eighty-five divide their time between dead end paths. And the ten percent have spent their rent on wars fiery wrath.
- Saul Williams

Die Five Percent Nation ist bereits als vieles bezeichnet worden: als rassistische Hate-Group, als religiöse Bruderschaft oder als HipHop-Version der Freimaurer. Letztere Beschreibung kommt ihr vielleicht noch am nächsten. Zumindest ist die Nation eng mit Hip-Hop verbunden. Eine Spurensuche.

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Als Eminem vor zwei Jahren in dem Track „Rap God“ neben 2Pac oder N.W.A auch den weit weniger bekannten Lakim Shabazz als wichtigen Einfluss nannte, war das für den einen oder anderen Rap-Nerd eine große Überraschung. Dabei steckte hinter dieser abseitigen Referenz womöglich durchaus Kalkül. Sich als weißer Rapper in den USA als Gott zu bezeichnen, hat schließlich eine gewisse Brisanz. Denn im US-amerikanischen Rap, insbesondere an der Ostküste, nennen sich „Gott“ vor allem die sogenannten Five Percenter. Bei den Five Percentern handelt es sich um die selbsterklärten schwarzen Götter der Five Percent Nation, auch bekannt als Nation of Gods & Earths.

Einer dieser Five Percenter ist Lakim Shabazz. Mit seiner Musik beeinflußte er maßgeblich jene HipHop-Epoche, die rückblickend oft als „goldene“ beziehungsweise „conscious“-Ära bezeichnet wird: die späten 80er und frühen 90er Jahre. Wenn Eminem also die Chuzpe hat, sich als Gott oder zumindest als Rap-Gott zu bezeichnen, dann offensichtlich nicht ohne sicherheitshalber durchblicken zu lassen, sich im Klaren darüber zu sein, wer im Hip-Hop die „wahren“ Götter sind: eben Rapper wie Lakim Shabazz oder die in „Rap God“ ebenfalls genannten Five Percenter Busta Rhymes alias Tahiem Allah und der God MC Rakim Allah. Als habe Eminem bereits von vornherein den Verdacht im Keim ersticken wollen, er – ein weißer Rapper - wolle Lakim Shabazz und den anderen Göttern ihren Platz streitig machen. So viel aus dem Reich der Spekulation. Unbestritten ist dagegen der Einfluss, den die Five Percent Nation auf HipHop bis heute hat.

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Wie sollte es auch anders sein? Die Five Percent Nation entstand Mitte der Sechzigerjahre in Harlem, New York, nur wenige Jahre bevor sich in der benachbarten Bronx HipHop zu entwickeln begann. Hauptzielgruppe der Five Percenter war die schwarze Jugend. Ebenso waren es schwarze und lateinamerikanische Jugendliche, die wenig später anfingen zu rappen, zu breaken und zu sprayen. Der Legende nach machten es die Five Percenter unter den marginalisierten Jugendlichen cool, sich Wissen anzueignen und sich zu bilden, während HipHop der grassierenden Ganggewalt durch Wettkampf auf Rap-, Breakdance- und Graffiti-Ebene Einhalt gebot. Völlig logisch also, dass es zu Überschneidungen zwischen den beiden Subkulturen kam.

So berichtet HipHop-Pionier Kool DJ Herc von Five Percentern, die auf seinen Straßenpartys, mit denen Rap-Musik in den Siebzigern ihren Anfang nahm, dafür Sorge trugen, dass sein Soundsystem nicht gestohlen wurde. Anfang der Achtziger nahmen die Five Percenter Se’Divine the Mastermind and Just Allah the Superstar vom World‘s Famous Supreme Team „The Enlightener”, die Hymne der Five Percent Nation, in ihre Radio-Show mit auf. Ihre Raps spickten sie mit Five-Percenter-Phrasen. „Rockin‘ the house with the greatest of ease / For the Gods, Earths, men, women and babies“, rappten sie 1984 in ihrem Hit “Hey DJ”. „Als die Gangs, mit denen ich noch in den Siebzigern abhing, in den Achtzigern zugunsten der HipHop-Kultur wichen, waren es die Straßensprache, der Style und das Bewusstsein der Five Percent Nation, die dabei als Brücke dienten“, schreibt Hip-Hop-Mogul Russell Simmons in „Life and Def“.

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„Peace“ lautet unter HipHoppern eine bis heute weltweit gängige Grußformel, die ihren Ursprung in der Five Percent Nation hat. So auch die „Cipher“, die bei den Göttern für einen buchstäblichen Diskussionskreis steht. Der Ausruf „Word!“ zur Untermauerung einer Aussage leitet sich aus der Lehre der Five Percenter, die aus 120 „Lessons“ beziehungsweise Fragen und Antworten besteht, ab. In denen heißt es: „Word is bond“. Redewendungen wie „dropping science“ oder „dropping bombs“ sind ebenfalls in der Five Percent Nation verwurzelt. Auch der „B-Boy-Stance“ geht auf die Five Percenter zurück; die Götter und Erden nennen es „standing on the square“. Und das vielzitierte „G“, wie etwa in „What’s up, G?“, stand im HipHop lange Zeit nicht für „Gangsta“, sondern für „Gott“. „,G‘ is for God, where did ,gangsta‘ come from?!“, rappte der Five Percenter Wise Intelligent von den Poor Righteous Teachers 1996 in „We Dat Nice“.

In den späten 80ern waren es Rapper wie Rakim und Big Daddy Kane, die die Five Percent Nation auch visuell nach außen transportierten, indem sie etwa Jacken trugen, auf denen die Universal Flag, das Wappen der Nation, abgebildet war. Doch konkrete Informationen über die Five Percenter waren damals dünn gesät. Es gab ein paar wenige Zeitungsartikel und die kryptischen Lyrics der rappenden Five Percenter. „My name is Rakim Allah“, rappte Rakim 1986 in „My Melody” und gab sich Eingeweihten so als Gott der Five Percent Nation zu erkennen. Just-Ice, der bereits mit 12 Jahren erstmals inhaftiert wurde, im Alter von 13 zu den Five Percentern fand und sich später als Rapper besonders im Umfeld von KRS One bewegte, rappte im selben Jahr in „Cold Getting’ Dumb II“: „Presenting my wisdom in a different form / Speakers flip high science, making knowledge born / When I approach my adversary, I'm coming strong / From knowledge to cipher, then releasing my bomb / I'm life, not living, ‘cause living's not life / Manifesting 120, and do it precise”. Das Verständnis dieser Lyrics erfordert die Kenntnis der „Supreme Mathematics“ und des „Supreme Alphabet“. Ein von Allah the Father, dem Gründer der Five Percent Nation, entwickeltes System, in dem jeder Zahl und jedem Buchstaben eine bestimmte Bedeutung zugrundeliegt. So steht etwa die 1 für „Knowledge“, die 2 für „Wisdom“, die 9 für „Born“, die 0 für „Cipher“ et cetera. Mit „120“ sind die 120 Lessons der Five Percent gemeint.

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Für Außenstehende gab es damals nicht mehr Anhaltspunkte als die Raps selbst. Rappende Five Percenter wie Rakim und Just-Ice lehnten es lange ab, sich öffentlich zur Five Percent Nation zu äußern. Ein Umstand, der einen Autor mal dazu verleitete, die Five Percent Nation als „HipHop-Version der Freimaurer“ zu bezeichnen. Diese Zurückhaltung änderte sich erst in den Neunzigern. 1992 besuchte Ex-Five Percenter Fab 5 Freddy mit Brand Nubian die Allah School, das Hauptquartier der Five Percent Nation in Mecca (Harlem), für seine Fernsehshow „Yo! MTV Raps“. Wenige Jahre später war es insbesondere der Wu-Tang Clan, der nicht nur samt und sonders der Five Percent Nation angehört, sondern die Five-Percenter-Lehre auch jenseits der Musik offensiv kommunizierte. Das bald darauf anbrechende Internetzeitalter machte die Öffentlichkeitsscheu der Götter und Erden vollends obsolet. Die Doktrin der Five Percenter, die bis dato nur von Hand zu Hand an ausgewählte Personen weitergereicht worden war, konnte nun von jedermann im Internet abgerufen werden. Inzwischen gibt es zahlreiche Bücher und wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit der Five Percent Nation im Allgemeinen und ihrem Einfluss auf HipHop im Besonderen auseinandersetzen.

Der Rap von Five Percentern steht in der Regel für conscious Lyrics, Rechtschaffenheit im Sinne der Five Percent Nation und komplexe Wortspiele, die nur der Hörer versteht, der mit der Terminologie und Numerologie der Götternation vertraut ist. Das übergeordnete Ziel dieser Rapper ist die Selbstermächtigung der Schwarzen gegenüber der Vorherrschaft des „weißen Teufels“. Die Five Percent Nation ist eine Reaktion auf diese Vorherrschaft. Sie entstand in der Zeit der Bürgerrechtsbewegung gegen die Diskriminierung und für die Gleichberechtigung der Schwarzen. Doch 50 Jahre später sind Afroamerikaner immer noch teils mörderischer Polizeigewalt ausgesetzt oder werden Opfer von weißen rassistischen Attentätern wie Dylann Roof. Solange sich Weiße gegenüber Schwarzen wie „Teufel“ verhalten, wird der Schwarz-Weiß-Antagonismus der Five Percent Nation auf gewisse Weise bestätigt. Tatsächlich spielt dieser Gegensatz für die Five Percenter selbst eine weit geringere Rolle als gemeinhin angenommen. Die Frage, ob jemand „Gott“ oder „Teufel“ ist, wird häufig eher am Verhalten eines Menschen gemessen als an seiner Hautfarbe. Den Five Percentern geht es vor allem um Empowerment. Dazu kommen die attraktiven Denkmodelle der Supreme Mathematics und Alphabets, mit denen die redegewandten Götter auf der Straße die Jugend in ihren Bann zogen. Die eloquente Ausdrucksweise von Gründervater Allah ist als „smooth rap“ überliefert. Kein Wunder also, dass im US-amerikanischen Rap keine andere schwarznationalistische Bewegung so präsent war und ist wie die der Five Percent Nation. Manche betrachten die Five-Percenter-Lehre sogar als HipHops Religion oder Philosophie. Allein die Nation of Islam, aus der heraus die Five Percent Nation einst hervorging, hatte einen vergleichbaren Einfluss auf HipHop. Davon zeugen nicht zuletzt die zahllosen positiven Bezugnahmen vieler Rapper auf Louis Farrakhan, das Oberhaupt der Nation of Islam: von Public Enemy über The Notorious B.I.G bis zu Kanye West.

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Kool DJ Herc zu Besuch in der Allah Scool mit Leiter Allah B.

Besonders deutlich wird der Einfluss der Five Percent Nation bei Rappern aus dem Großraum New York, wo die Präsenz der Götter und Erden seit jeher am größten war: von KRS One, LL Cool J und Queen Latifah über Nas, Mobb Deep und Gang Starr bis zu Capone & Noreaga, Jay Z oder Saul Williams. Bei allen lassen sich Spuren der Five Percent Nation finden. „I drop knowledge like a Five Percenter“, rappt sogar Jungspund Joey Bada$$ in “95 Til Infinity”. Aber auch Künstler aus anderen Regionen wie Common, The Roots, André 3000 oder Jay Electronica sind von den Five Percentern beeinflusst worden. Ganz zu schweigen von erklärten Five Percentern wie den Poor Righteous Teachers, Brand Nubian, King Sun, J-Live, DJ Kay Slay von Radiosender Hot 97 oder Papoose. Auch in den Redaktionen der Hip-Hop-Medien finden sich Five Percenter: Sha Be Allah von „The Source“, Sunez Allah von PremiereHipHop.com, und mit Dasun Allah hatte „The Source“ sogar mal ein Five Percenter als Chefredaketur. Der im HipHop sichtbarste Fürsprecher der Five Percent ist inzwischen Brand Nubians Lord Jamar, der 2006 ein reines Five-Percenter-Album veröffentlichte. Darüber hinaus mimte er in der HBO-Fernsehserie „Oz – Hölle hinter Gittern“ den Five Percenter Supreme Allah. In die Kritik geriet Lord Jamar Anfang 2013 für einen homophoben Diss-Track in Richtung von Kanye West, nachdem dieser einen Rock getragen hatte. Im Zuge der anschließend kontrovers geführten Debatte erklärte ein Repräsentant der Five Percent Nation, dass in ihren Reihen Homosexualität nicht geduldet werde.

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Erst Anfang letzten Jahres löste Jay Z einen Shitstorm aus, als er sich in der Öffentlichkeit mit einer opulenten Kette mit dem Wappen der Five Percent Nation zeigte. „Jay Z: Mitglied der Five Percent Nation?“, fragte man sich sogar bei der deutschen „Gala“. Aber auch innerhalb der Five Percent Nation wurde darüber diskutiert, wie Jay Zs öffentliches Zurschaustellen der Universal Flag zu deuten sei. Zwar spielt Jay Z wie viele andere Rapper auch in seinen Lyrics immer mal wieder auf die Five Percent Nation an. Immerhin hat er laut Popa Wu alias Freedum Allah, der grauen Eminenz des Wu-Tang Clans, in den Marcy Projects in Brooklyn unter dem Einfluss eines Five Percenters namens Barkallah gestanden. Aber er gilt keineswegs als Five Percenter.

Im Oktober letzten Jahres feierte die Five Percent Nation ihr 50-jähriges Bestehen unter anderem mit einem großen Konzert im legendären Apollo Theater in Harlem. Allerhand namhafte Rap-Größen gaben sich mit kleinen Showeinlagen die Klinke in die Hand: Busta Rhymes, Brand Nubian, Big Daddy Kane, Roxanne Shante, die Force MDs, Smif-n-Wessun, Frukwan von Stetsasonic beziehungsweise den Gravediggaz, Popa Wu, Papoose und Sängerin Erykah Badu. Im Vorfeld des Konzerts wurde vor dem Hintergrund der Universal-Flag-Kontroverse noch darüber spekuliert, ob sogar Jay Z sich blicken lassen würde. Doch Hova blieb der Veranstaltung fern.

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