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„Es gibt Schlimmeres“—Mit Dagobert durch den Aargau spazieren

Wir haben den Nietzsche lesenden Schmalzbarden in seinem Heimatdorf zu Interview und Selbstgebranntem getroffen.
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Dagobert ist das grösste Rätsel der gegenwärtigen deutschen Popmusik. Der Schweizer singt von bürgerlichen Liebesidealen, davon, dass Frauen „zum Heiraten" da seien, lebt aber gleichzeitig wie ein Bohemien.

Als ich kürzlich entdeckte, dass der Schnulzensänger die ersten zwanzig Jahre seines Lebens in meinem Nachbardorf verbracht hat, habe ich beschlossen, ihn eben dort zu treffen—in Waltenschwil, einem Aargauer Dorf in der Schweiz mit etwa 2.700 Einwohnern.

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Dagobert empfängt mich im Haus seiner Eltern, die seine Band gerade mit selbstgebranntem Kirschschnaps verköstigen. Sein Vater schenkt mir auch ein. Der Schnaps brennt mir in der Kehle, als ich ein wenig mit der Band plaudere, bevor ich mit dem modernen Minnesänger durch den Ort seiner Kindheit spaziere: an einem Spielplatz vorbei zum „romantischsten Tierparks des Freiamt". Und dabei mit ihm über angeblich frauenfeindliche Lyrics, Nietzsche und die Vorteile des Aargauer Hinterlands plaudere.

Gerade bist du in Bern und Zürich aufgetreten. Sonst gibst du aber vor allem in Deutschland Konzerte. Gibt es Unterschiede zwischen dem Schweizer und dem deutschen Publikum?
Dagobert: Früher hatte ich den Eindruck, dass die Schweizer mehr abgehen, weil sie glauben, dass ich in Deutschland berühmt bin—was nicht wirklich stimmt. Inzwischen hat sich das aber relativiert.

Welches Publikum ist dir denn lieber?
Ich habe da keinen Favoriten. Aber ich wünsche mir, auch ausserhalb des deutschsprachigen Raums gehört zu werden. Ich finde es nicht unbedingt notwendig, dass die Leute meine Texte verstehen.

Du könntest einfach auf Englisch singen.
Das wäre sinnvoller. Aber mir gefällt die deutsche Sprache sehr. Die schlausten Sachen, die ich kenne, wurden auf Deutsch geschrieben.

Was zum Beispiel?
Nietzsche. Den habe ich mir damals in der Berghütte richtig hart reingezogen. Zehn Mal. Mindestens.

Lebst du denn nach Nietzsche?
Ich habe von ihm eine sehr positive Lebenshaltung übernommen: das Leben voll bejahen. Man muss jeden Moment so leben, dass man ihn immer wieder genauso haben will. Das Dümmste, was du machen kannst, ist, zu glauben: Mein jetziges Leben ist gar nicht wichtig, denn wenn wir tot sind, dann kommen wir in den Himmel. Wenn man das Leben aus dem Leben raus nimmt und in den Tod hineininterpretiert, ist man völlig am Arsch.

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Fühlst du dich eigentlich mehr als Berliner oder Freiämter?
Ich habe mich noch nie als irgendwas gefühlt—ausser als Fremdkörper. Deswegen halte ich es nirgendwo lange aus. Berlin ist wahrscheinlich auch bald vorbei.

Das, wovon du singst, haben in Waltenschwil wohl einige Leute verwirklicht: Ein grosses Haus im Grünen, Kinder, eine Familie. Willst du das überhaupt für dich selbst?
Damals, beim Schreiben, habe ich das alles so gemeint—aber das war vor rund zehn Jahren. Inzwischen habe ich ein paar Beziehungen hart an die Wand gefahren und bin mehr in der Realität zuhause als früher. Und ich will das gar nicht mehr. Das Wichtigste in meinen Leben ist, dass ich Musik machen kann. Heiraten, Familie, Kinder—das würde mich nur von meiner Aufgabe ablenken.

Du hast bis 19 in Waltenschwil gewohnt. Wie sehr prägt das Freiamt deine Musik?
Ich bin ein extremes Landei. Das prägt. Nun wohne ich seit 5 Jahren in Berlin, und fange an, die Sachen zu vermissen, die es hier gibt: (zeigt auf die Landschaft) Leere grüne Flächen, frische Luft. Ich brauche das. Ein Vorteil der Provinz ist es auch, dass hier nichts los ist. Man muss sich mit sich selbst beschäftigen und kommt eher auf eigene Ideen. Der ganze Informationsoverkill in der Stadt belastet mehr, als dass er inspiriert.

Hast du denn Pläne, woanders hinzuziehen oder gar ins Freiamt zurückzukehren?
Leider bin ich da auf das Schicksal angewiesen, weil ich komplett pleite bin. Aber es wird sich schon was ergeben.

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In deiner Freiämter Zeit sei in deinem Leben nicht viel los gewesen, sagst du in einer Doku über dich. Liegt das an dir oder dem Freiamt?
Ich will der Gegend keinen Vorwurf machen. Mein grosses Problem war es immer, dass ich jeden Tag in die Schule musste, um mich mit Sachen zu beschäftigen, die mich absolut nicht interessierten. Ich habe das 13 Jahre lang mitgemacht und bin auch noch aufs Gymnasium, nur um die Erwartungen der Gesellschaft zu erfüllen. Das hat dazu geführt, dass ich mich mehr und mehr gehasst habe.

Ins Militär musstest du dann zum Glück aber nicht, oder?
Bei der Aushebung wurde ich als komplett untauglich befunden. 58 Kilo auf 1,90, das ist schon wenig. Wenn ich tauglich gewesen wäre, hätte ich totalverweigert und wäre ins Gefängnis gegangen, was ich mir nach der Schule sowieso überlegt hatte: eine Straftat zu begehen, um ins Gefängnis zu kommen. Denn ich hatte mir geschworen, dass ich niemals irgendeiner normalen Arbeit nachgehen würde, die mir nicht gefällt, nur um Geld zu verdienen. Im Gefängnis hätte ich zu essen gehabt und eine warme Zelle.

Du hast lange Zeit alleine gelebt. Tut das gut? Würdest du mir das empfehlen?
Die meisten Leute sagen mir, dass sie glauben, dass auch einmal zu brauchen. Aber ganz ehrlich: Das bringt den meisten Leuten nicht so viel. Fürs Alleinsein muss man gemacht sein.

Kaspar Surber von der WOZ hat dich und deine Texte kürzlich „frauenfeindlich" genannt. Was würdest du ihm entgegnen?
Der Artikel hatte einen wunderbaren Titel: „So schmierig wie das Gel in seinen Haaren". Er ist mir aber als relativ belanglos in Erinnerung, weil man mir keine wirklich gehaltvolle Vorwürfe machen kann. Die Zeile, die er zitiert—„Frauen sind zum Heiraten da"—ich verstehe nicht, was daran schlimm sein soll. Zum Heiraten braucht es immer zwei Leute. Sowieso hätte ich keine Lust auf so eine altmodische Ehe, wo meine Partnerin in der Küche herumsteht und für mich kocht. Ist doch scheisse.

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Möchtest du unseren Lesern noch einige Tipps geben, was sie sich ansehen sollten, wenn sie Waltenschwil besuchen?
Ehrlich, wir sind jetzt den kompletten Ort abgelaufen. Es gibt Schlimmeres, aber es gibt hier nichts Spezielles. Herumlaufen kann man überall. Ich kann Waltenschwil leider niemandem empfehlen.

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Florian Oegerli auf Twitter folgen: @AdamCSchwarz

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