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Eine italienische Reise mit Wanda

Wir sind mit Wanda durch Italien gefahren. Vielleicht auch nicht.

Alle Fotos: Julian Haas

Am Dienstag, den 7. Oktober 2014, stehe ich mit einem Koffer in Wien und warte. Ich werde die Band Wanda treffen und mit ihr auf eine italienische Reise gehen. Während ich mit dem Koffer an der Station Taborstraße aussteige, weiß ich das aber noch nicht. In meinem Koffer befinden sich zu dem Zeitpunkt Informationen, Vorurteile, aber vor allem auch viele Fragen. Über Wanda wurde ja doch einiges geschrieben—dafür, dass die Band gefühlt aus dem Nichts aufgetaucht ist. Viele dieser Fragen werden sich während der Fahrt durch Italien klären, aber auch genauso viele andere auftun.

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Italien-Reisen haben historische Vorbilder. Die berühmtest, die Italienische Reise von Goethe, dauerte 1,5 Jahre. Unsere Italienische Reise wird zwar nur 1,5 Stunden dauern, uns dabei aber relativ planlos durch die verschiedensten Aspekte der Band und des Landes führen. Beziehungsweise eigentlich nicht. Vielleicht verlassen wir die Leopoldstadt und das Café Sperlhof auch gar nicht. Aber das ist letztlich nicht so wichtig. Die Realität und die Geschichte dahinter haben etwas miteinander zu tun, berühren und überlagern sich, sind aber nicht deckungsgleich. Ein Prinzip, das man verstanden haben muss, wenn man sich Wanda annähern will.

Ich sitze mit drei Mitgliedern von Wanda in einem alten Auto. Es könnte ein Fiat sein oder der weiße Mercedes, der das Cover von Wandas ziemlich großartigen Debütalbum Amore ziert, das am Freitag erscheint. Wir sind fast schon in den Alpen, als ich endlich meinen Proviant verstaut habe und mit der lockeren Frage einsteige, wie sich die Band kennengelernt hat. „Wir haben dazu noch nie etwas Ehrliches gesagt. Das ist ein Bandmythologie, die aus Lug und Trug besteht.“ Okay. Eine solche Antwort verspricht normalerweise nichts Gutes für ein Interview. Man will ja immer das Authentische, das Ehrliche. Dinge herausfinden, die keiner der Kollegen aus Musikern herauskitzeln konnte. Die Bandmitglieder sind Wiener und kennen sich seit 2,5 Jahren, das lässt sich so halb verifizieren. Mehr nicht. Ich versuche, den Mut nicht zu verlieren. Würde ja auch nichts bringen: Wir sind auf der Autobahn, und aussteigen kann ich jetzt auch nicht mehr.

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Auf unserem Zwischenstopp in Venedig beginnen wir über Masken, Theater und Performance zu reden. Ich versuche etwas, was man nicht tun sollte, aber als Fragesteller leider oft genug tue. Ich will die Band aufs Glatteis führen, als clownhafte Performer entlarven. Aber es klappt nicht. „Natürlich ist das ein Schauspiel. Wanda ist betonte Performance.“ Meine Kollegen und ich neigen ein bisschen dazu, Wanda mit Vorwürfen zu konfrontieren. Man hat der Band an den Kopf geworfen, Vokabular zu benutzen, das sie nicht versteht, man hat der Band vorgeworfen „nur“ Spaß zu machen und noch einiges mehr. Am Ende der Reise wird die Erkenntnis stehen, dass in all diesen Anwürfen ein Kern von Wahrheit steckt, der aber oft mehr über den aussagt, der ihn äußert. Wanda ist eine vielschichtige, schwer greifbare Band. Und nicht jeder ist bereit, sich auf alle Ebenen einzulassen. Viele Fragen, die ich während unserer Reise stelle, werden mit Zitaten oder Anspielungen auf Weltliteratur beantwortet. Das ist sperrig, erinnert manchmal unnötig nach Gymnasiasten-Verhalten, ergibt aber Sinn, je mehr Zeit man mit der Band verbringt.

Bevor wir uns wieder auf den Weg machen, reden wir über Komödien, Schauspiel und Authentizität. „Das Schauspiel, die Performance kann ja nur funktionieren, wenn man auf der anderen Seite eine Lust auf Ehrlichkeit hat.“ Die Musik sei schon Wanda und die Mitglieder. Aber eben nicht ungefiltert. Es sei wie bei Hemingway, der auch nicht der Fischer aus Der alte Mann und das Meer war. „Hemingway hat vermutlich einen großen Fisch gefangen und überkonstruiert. Und dann daraus eine fantastische Novelle gemacht, die natürlich eine Lüge ist. Was bleibt, ist die menschliche Empfindung: Ich habe einen Fisch gefangen und bin stolz darauf.“

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Wir sind in Bologna. Über die Stadt hat Wanda einen Song geschrieben. Beziehungsweise—haben sie das überhaupt? Vermutlich waren sie wirklich mal in Bologna, aber das ist wohl nicht so wichtig. Es geht Wanda um die Verdichtung des Lebens. „Die Antwort auf die Frage, was die Texte aussagen, liegt eher in den Leuten selbst, mehr im Leben der Zuhörer, als in der Frage, was die Texter damit gemeint haben. Wir versuchen, uns den Menschen zum großen Teil zu ersparen. Völlig zu recht. Wir bin langweilig, das Menschsein ist spannend.“

Ganz so leicht will ich dich Band aus der Frage aber nicht entlassen. Ich bohre nach. Was will Wanda? „Wenn wir wie irgendetwas sein wollen, dann wahrscheinlich ein Buch, das selbst lebendig ist. Wir wollen ein Werk schaffen, das selbst lebt, in dem sich der Rezipient wiederfinden darf. Wenn man ein Lied schreibt und ein guter Typ ist—und das sind wir alle—dann liefert man eine Projektionsfläche.“ Darüber hinaus sind sich die Bandmitglieder einig, dass sie vor allem Freude machen wollen.

Als wir Richtung Westen fahren und Parma passieren, fällt mir zum Glück endlich die Frage ein, woher die Italien-Anleihen kommen. Ist Italien ein konkrete Erinnerung, ein Fluchpunkt? „Es ist kein Sehnsuchtsland. Wir halten Städte innerhalb der literarischen Mythologie für vollkommen austauschbar. Das ist alles wurscht in Wahrheit. Musikalisch sind das aber natürlich Versatzstücke, an denen wir uns bedienen. Wir alle hören sehr gerne italienische Popmusik aus den 50er, 60er und 70er Jahren.“

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Es stellt sich heraus, dass auch der Band selbst nicht ganz klar ist, warum sich alle so auf die Italien-Anleihen stürzen. Ihre Musik sei ja eigentlich international. Es fänden sich Versatzstücke aus Schlager, Volksmusik, Austropop und Musik der ganzen Welt. Und eben auch Motive, die universell sind: Der Mord, die Liebe, die Sehnsucht. Ja, das stimmt. Aber trotzdem hat der Erfolg von Wanda sicher auch damit zu tun, dass es fünf charmante, recht attraktive Burschen sind, die Wien als nördlichste Stadt der Welt verkaufen. Nicht umsonst kommt das Wort Strizzi in so ziemlich jedem Text über Wanda vor—jetzt auch in diesem. Wenn man das Album hört, wirken die Wandas wie Männer der Sorte Urlaubsliebe oder wie dieser eine Typ, von dem einem alle Freundinnen sagen, dass man ihn nicht verändern kann, man es aber dann doch versucht.

Wir passieren Mailand, öffnen das zweite Bier und reden über Sex. Wanda sagen, dass sie im Privaten eher die Männer für's Leben sein wollen, und ich glaube ihnen. Der Macho-Vorwurf, der ihnen gemacht wird, ist wohl einer der wenigen, der die Band wirklich halbwegs trifft. Aber Pop ist nun mal ein Balzritual, ohne Sexualität geht es nicht. Oder geht es vielleicht doch wieder um Sehnsucht? „Im Pop geht es eigentlich immer um die Sehnsucht, um unerfüllte Sexualität. Der Ich-Erzähler eines Pop-Songs hat nicht den Menschen gepudert, den er über alles liebt. Das macht es auch so kräftig. Es ist eine unerfüllte Liebe, die nicht nur bei Kirkegaard die stärkste Liebe überhaupt ist.“

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Wir sind in Turin. Überall liegt die Grandezza vergangener Zeiten herum, man kann ihr nicht entkommen. Die Industriegebäude sind mittlerweile Industrieruinen, und Menschen, die nicht mehr mitbekommen haben, wie es damals wirklich war, versuchen, diese entstandenen Lücken mit Leben zu füllen.
Wir reden über Austropop. Wie man damit umgeht, auf einem großen Erbe zu sitzen, dem man nicht ausweichen kann, mit dem man aber auch nicht mehr wirklich etwas anfangen kann. „Für die Austropopper der 60er, 70er und 80er Jahre war das bestimmt ein Segen, die Musik unseres kleinen Landes so zusammenzufassen. Jetzt müsste ein anderer Begriff her.“ Dazu ist aber keine Zeit. Die Welt rückt zusammen und dreht sich schneller. Überall gibt es gleichzeitig mehr Strömungen, selbst in einem Land wie Österreich. „Eigentlich haben Ja Panik, Der Nino aus Wien, Bilderbuch und wir gar nicht so viel gemeinsam. Das einzige, was uns vereint, ist, dass wir auf Deutsch singen.“ Wanda haben den Austropop studiert. Nicht als elementaren, zentralen Punkt ihres Schaffens, aber als ein Versatzstück. Überhaupt sind ihnen Nationalismen eher Fremd. Sie sind halt eine Wiener Band, die auf Deutsch singt.

Gefühlte 700 Zigaretten sind mittlerweile geraucht worden. Als wir uns gerade wieder auf den Rückweg machen wollen, schaffe ich es doch noch, die Band mit einer Frage ein bisschen dem Konzept zu bringen. Was bedeutet Schönheit für Wanda? Will die Band schöne Musik machen? Unruhe kommt auf. Bist du deppat, schwere Frage, warum stellst du sie? Man fängt sich kurz wieder. „Wenn mich jemand fragt, ob ich nach Schönheit strebe, kann ich nur Ja sagen. Aber wir laufen ihr nicht nach.“ Kurzes Schweigen, eine weitere Zigarette und Ausfahrt später kommen wir noch einmal auf das Thema zurück.

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„Ich glaube, dass das viel über das aussagt, was wir tun. Unser Werk schreit geradezu danach, dass wir uns mit großen Begriffen messen. Wie jede Generation prüfen wir die großen Begriffe nochmal ab. Aber unsere Generation lehnt diese Begriffe auch völlig zu recht ab. Wir wollen den Inhalt als immanent betrachten. Das ist eine große Sehnsucht.“ Da ist sie wieder, die Sehnsucht.

Kurz vor Wien halten wir noch einmal an einer Tankstelle und blicken auf das zurück, was wir gerade gemacht haben. Wir reden über Reflektion und ich gestehe, dass ich mir immer noch nicht 100 Prozent sicher bin, ob ich die Band verstanden habe. Man beruhigt mich. Das sei okay. „Wir selbst sind ja auch auf der Suche nach einer Formulierung. Es gibt kein ausgefeiltes Marketingkonzept, kein Briefing, das wir abrufen. Wir werden ja auch aktuell eher von außen zur Reflektion angeregt.“ Als ich frage, warum Wanda dann fast euphorisch aufgenommen wird, sagt Sänger Marco—hier an dieser Stelle gebe ich mein Vorhaben, die Band als Ganzes zu behandeln, auf—einen Satz, von dem ich bis heute nicht weiß, ob er klug ist. Aber er klingt ziemlich gut.

„Ich hab das Gefühl, wir drücken etwas aus, das ausgedrückt werden muss. Unabhängig davon, dass es von uns ausgedrückt wird. Irgendein Wind weht hier, der sich durchaus verallgemeinern lässt. Es tut mir leid, dass ich es nur sehr vage abstecken kann.“ Das sind Worte und Gefühle, die normalerweise Noel Gallagher geschrieben hätte. Und genauso wie bei den Gallaghers darf man auch bei Wanda nicht vergessen, dass theoretischer Hintergrund nur ein Aspekt ist. Die Band will Spaß, Lust und Freude machen. Das ist eigentlich ein ziemlich guter Charakterzug.

Ich stehe wieder mit meinem Koffer am Augarten. Die Vorurteile habe ich sukzessive in Venedig, Bologna und Turin gelassen. Viele Fragen sind beantwortet, eine große bleibt: War ich gerade Teil eines Schelmenstücks? Wie ehrlich waren die Wandas zu mir? Was kann ich mit den Antworten anfangen? Und würde das überhaupt einen Unterschied machen? Als ich zur U-Bahn gehe, erinner ich mich daran, was die Band als letztes zu mir gesagt hat. Dass sie sich eigentlich gerade selbst noch auf Selbstfindungsreise befindet und so ein Interview in einem Jahr sicher nicht mehr geben wird.

Disktutiert Wanda und Italien mit Jonas auf Twitter: @L4ndvogt

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