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Ein Versuch, mit Coldplay in Würde zu altern

Ich war auf einem Coldplay-Konzert und musste mir einstehen, dass wir längst nicht mehr cool sind.

Das 50-jährige Paar, das ich letzte Nacht im Beacon Theater in New Yorks Upper West Side getroffen habe und dort den Geburtstag der Frau feierte, hätte die Coldplay Show niemals vergessen. Noah, ein 25-jähriger Kerl aus Pittsburgh, der neben mir saß und darüber lamentierte, dass er seit seinem Umzug in die Stadt kaum mehr Möglichkeiten zu kulturellen Aktivitäten hat, hätte die Show auch nie verpasst. Er hat sogar etwas von dem Konfetti, das Coldplay ins Publikum warf, eingesammelt, um es zuhause neben zu dem Konfetti zu stellen, das er auf der Viva La Vida-Tour gesammelt hat. Thomas, ein 18-jähriger College Freshman, der eine neunstündige Zugfahrt von Pittsburgh (hat aber nix mit Noah zu tun) hinter sich hatte, nur um das Konzert zu sehen, hätte es auch nicht vergessen. Der 60jährige Typ, der in einem Hawaii Hemd auf einem Podest getanzt hat und während den ruhigen Songs jeden mit seinen Finger-Pistolen abgeballtert hat, wird sich vielleicht nicht mehr ganz genau an die Show erinnern können, hätte sie aber wohl nicht vergessen.

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All diese Menschen erinnern sich an Coldplay, und—ihr werdet es bereits erraten haben—ich auch. Coldplay ist eine Band, die dir mehr gibt, wenn du dich mit ihr auseinander setzt. Und in den letzten Wochen habe ich mich sehr viel mit ihnen auseinandergesetzt. Mit maßloser Aufregung und blühendem Enthusiasmus habe ich ihren Promo-Stunt, hangeschriebene Briefe in Bibliotheken auf der ganzen Welt zu verstecken, nachgemacht und mich dabei erwischt, wirklich viel über die Band nachzudenken. Ich habe mir auch ihre Single mit Avicii, „A Sky Full of Stars" wirklich oft angehört. Ich habe über meine eigenen Erfahrungen mit Coldplay reflektiert—die nicht erwiderte Jugendliebe, die mich auf die Band gebracht hat, über die Zeit als ich sie auf der X/Y Tour sah, und sie bei „Yellow" eine Million gelber Ballone losgelassen haben, an die Zeit in der ich mich gerade von Malaria erholte und endlich gesund genug war um auf einem Dach sitzend die Sterne zu beobachten, während ich mit Freunden „The Scientist" anhörte. Und an die Phase in der das Jay Z/Coldplay Mash-Up Mixtape das Beste war—und diese Phase kam sehr oft.

So wie jeder andere bei der Show im Beacon Theater—die erste seit ihrem neuen Album Ghost Stories—hatte ich den besten Abend ever. Coldplay zu mögen kann niemals zu lame oder klischeehaft sein. Obwohl: Eigentlich es sogar besser lame und klischeehaft. Denn wenn man sich zu sehr darauf konzentriert cool zu sein, bekommt man den Coldplay-Genius gar nicht mit. Als ich zum Theater kam, machte ich Photos von der Venue, etwas, was ich normalerweise versuche heimlich zu machen, um nicht wie ein übereifriger Fan zu wirken. Zum Glück gibt es so was bei Coldplay nicht; im Speziellen, wenn du solo unterwegs bist und, so wie ich, dich einfach nur freust hier zu sein. Auch ein älteres Paar machte im vorbeigehen Photos mit ihrem iPad. Sie gingen nicht mal zur Show, aber anscheinend mochten sie das Szenario. Wann immer ich die Chance bekam, ein Photo von etwas mit dem Wort „Coldplay“ drauf zu machen, ergriff ich sie. Ich machte Vines, bis der Akku den Geist aufgab und als ich die Chance hatte, mir den Ghost Stories cocktail zu besorgen, ergriff ich sie.

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Ich war völlig thrilled von den Geschichten, die mir andere Fans erzählten. Alles wirkte so fucking magisch. Ich hatte das Gefühl, als wäre das alles unser gemeinsames Werk. Während „God Put A Smile Upon Your Face", dachte ich mir wörtlich „Coldplay rockt!". Und als sie während „A Sky Full Of Stars" Konfetti in die Menge schossen, hatte ich wirklich das Gefühl, der Himmel sei voller Sterne.

Was ich hier gerade sehr elegant umschiffe: Das Publikum war ganz schön alt. Ich würde sagen, das Durchschnittsalter lag so zwischen 35 und 40. Ich hatte den Eindruck, dass die einzigen, die von diesem Alter abwichen Eltern mit ihren Kindern waren. Ich sage ja nicht, dass es gar keine 16 bis 34-jährigen gab, aber es gab einfach auffallend mehr glatzköpfige Typen in Anzugjacken als auf jeder Show bei der ich in letzter Zeit war—oder jemals war. Andrew erklärte mir dann, dass es unter Leuten in seinem Alter „fast cool ist sie nicht zu mögen". Und genau das ist der Punkt.

Ich kann mich noch genau an das Gefühl erinnern, mit Coldplay erwachsen zu werden. Coldplay anno 2014 noch zu mögen hat mit Älterwerden zu tun und sich das einzugestehen. Zu akzeptieren, dass man wohl nicht für immer cool sein wird—sollte man es jemals gewesen sein. Um Coldplay zu lieben, muss man entweder ehrlich oder aber auch ein wenig ahnungslos sein. Das ist aber ok so! Coldplays Zelt ist ein großes Zelt, und all die Deppen, die unnahbaren 40-jährigen, die reichen Typen auf deren iPhones und all die Marketing-Fuzzen, die nur Dampf ablassen wollen, sind darin willkommen. Eigentlich steckt in jedem ein kleiner Coldplay-Fan. Sie sind einfach eine Band, die du entweder liebst oder dir scheiß egal ist. Coldplay wird von niemanden wirklich gehasst, weil es nichts genug auffälliges gibt, um sie zu hassen, vorrausgesetzt du hast es nicht auf ihre Unauffälligkeit abgesehen. Aber es gibt wirklich viel, dass man an Coldplay lieben kann, weil sie alles beschreiben, was wahr und gut ist, und das tun sie auf eine total selbstverständliche Art.

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Die Songs von Coldplay haben eine eigene Art von Langlebigkeit. Die Gitarrenriffs werden wahrscheinlich nicht in Geschichtsbüchern über die Musik der 2000er stehen, aber die Hits aus ihrem Repertoire fühlen sich an, als seien sie mit der Zeit gereift. Als die Band „Fix You“ spielte, sang ich mit, als ob Chris Martin und ich die einzigen zwei Personen auf der Welt wären. Aus irgendwelchen Gründen hat Martin den Song Mick Jagger gewidmet. Und fuck, ich konnte Mick Jagger spüren. Ich konnte jeden in dem Raum spüren. Ich spürte jeden, der nicht im Raum war. Der Song ist der Prügelknabe, wenn es in Diskussionen um Coldplay und Kitsch geht, aber live ist er einfach der Burner. Eine ähnliche Reaktion hatte ich bei „Till Kingdom Come“, ein Johnny Cash Tribute vom X/Y-Album, das ich mir währen der Schulzeit vor dem Einschlafen anhörte, weil ich ein kompletter Trottel war. Ich hatte jahrelang nicht an den Song gedacht, bis ich ihn wieder hörte und in das Gefühl zurückversetzt war, nicht dazuzugehören, rasende Hormone und unerwiderte Emotionen zu durchleben. Macht Coldplay weniger Sinn, wenn man älter wird und mehr bedacht darauf ist cool zu sein? Macht es mehr Sinn, wenn man noch älter wird und weniger darauf bedacht ist cool zu sein? Über Coldplay bin ich auf viel andere Musik und Emotionen gestoßen, und, wer weiß, vielleicht ist Coldplay auch mein Ausstiegspunkt. Lights will guide you home, indeed.

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Mein Kumpel Andrew war drei Jahre alt, als sein Lieblings Coldplay Album Parachutes raus kam und seine Eltern ihm davon erzählten. Coldplay spielt wortwörtlich schon sein ganzes Leben eine Rolle. Mein neuer Kumpel Noah war, wie ich 15, als er auf Coldplay gestoßen ist und sie seine Lieblingsband wurden. Manche von den 40-jährigen im Publikum waren mit Sicherheit mal hippe 25 Jahre alt und haben sich diese coole britische Band angehört, die neben Radiohead der heißeste Scheiß war. Und jetzt, 2014 wird Coldplay älter, so wie wir auch. Coldplay glänzten letzte Nacht ohne dabei theatralisch zu sein. Chris Martin hat sogar ein paar Scherze wie „if only we had the courage to dress in something other than black we might be as successful as One Direcktion" gemacht. Ich bin neugierig wie sich das neue Material, was live nicht überzeugend, aber dennoch faszinierend war, auf dem Album machen wird. Ist das Zeug überhaupt gut? Wird es gut werden? Werden die Leute es lieben? Werden sie es akzeptieren? Ist es lächerlich, sich darüber den Kopf zu zerbrechen? Wir wollen Musik haben, also kann es genau so gut Coldplays Musik sein.

Kyle Kramer's Lieblings Coldplay Song ist „Amsterdam". Er ist auf Twitter - @KyleKramer

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