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Ein Loblied auf die Konkurrenz: Warum ich froh bin, dass es FM4 gibt

Zum 20er machen wir uns an eine kritische Würdigung des Jugendsenders.

Den folgenden Text schreibe ich gleich aus drei Perspektiven, die ihn jeweils unterschiedlich beeinflussen: Als knapp 30-jähriger Szene-Affe, als Migrant aus dem großen, ähnlichsprachigen Nachbarland, der mittlerweile auch schon acht Jahre hier ist, und und nicht zuletzt als Chefredakteur von Noisey. Es wird um einen Jugendsender gehen, über den man ständig Gutes, Schlechtes, Richtiges und Falsches hört, der aber irgendwie keinem in meinem Umfeld richtig egal ist—was ein gutes Zeichen ist. Ihr habt es erraten: Es geht um FM4, den Sender, der heute seinen 20er feiert.

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Anders als viele meiner Kollegen und Freunde habe ich die Zeit, in der FM4 die einzig ernstzunehmende Quelle für Jugend- und Gegenkultur in Österreich, nicht mehr persönlich mitbekommen. Das hat den Nachteil, dass ich nicht wie mein ehemaliger Mitbewohner mit glänzenden Augen davon erzählen kann, wie Heinz über FM4 in Feldkirchen ankam und alles veränderte, zumindest in ihm. Es hat aber auch den Vorteil, dass ich den Sender aufgrund dieser Erfahrungen nicht mit Samthandschuhen anfassen muss, weil ich sonst auch einen Teil von mir selbst angreifen würde.

Ich bin mittlerweile seit 4 Jahren hauptberuflich als Musikjournalist tätig, seit einem Jahr jetzt auch verantwortlich für ein Medium, das in Konkurrenz zu FM4 steht. Das ist nicht immer einfach, aber dazu später. Acht Jahre FM4 mitbekommen zu haben heißt eben auch, dass ich die wirklich goldenen Jahre wahrscheinlich verpasst habe. Als ich nach Wien kam, war die Stellung vieler zum Sender schon ambivalent: Den Protagonisten wurd wie gehabt Arroganz vorgeworfen, aber das war eigentlich gar nicht mal das Schlimme. Viel schwerwiegender war der Vorwurf der Irrelevanz. Wenn man relevant ist, kann man sich Arroganz relativ problemlos leisten.

Gerade weil in diesem Text hier einiges an Kritischem zur Sprache kommen wird, will ich vorab eines klarstellen: Ich mag FM4, und ich bin sehr froh, dass es den Sender gibt. Meine professionelle Sicht der Dinge: FM4 leistet wichtige Arbeit für die österreichische Musikszene. Meine persönliche Sicht der Dinge: FM4 bringt immer wieder fantastische Dinge, für die woanders wohl kein Platz wäre. Es arbeiten wunderbare Menschen in dem Sender. FM4 ist ein Beweis dafür, wie gut und wichtig es ist, dass es öffentlich-rechtliche Medien gibt, die per Gebühren finanziert werden. (Update: Hier stand eigentlich vorher das Wort Zwangsgebühren, aber mir wurde gerade sinnvoll erklärt warum man das Wort nicht benutzen sollte). Ich glaube zwar, dass es vielen seiner Mitarbeiter völlig am Verständnis dafür fehlt, was es heißt, bei einem Medium zu arbeiten, das nicht per solchen Gebühren finanziert wird—aber das ist eine ganz andere Geschichte.

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fm4.at ist eine Katastrophe—nicht inhaltlich gemeint. Das darf man sagen, weil das bei FM4 jeder weiß.

Ich glaube, dass FM4—im Guten wie im Schlechten—ein bisschen ungerechter behandelt wird als die Konkurrenz. Den einen gilt FM4 als der alternde, relativ übermächtige Sender, gegen den man sich profilierend abgrenzen muss. Man hört auch von FM4-Mitarbeitern öfter, dass sie ihre Profession im Club öfter gar nicht mehr preisgeben, weil sie keine Lust auf Diskussionen haben. Das ist natürlich völlig falsch und ungerecht. Ja, FM4 hat sich eine—verglichen am eigentlich relativ geringen Marktanteil—fantastische Stellung in seiner Blase erarbeitet. Ganz einfach, weil es dort sehr viele gute Leute gibt, die sehr gute Arbeit machen. Aber einzelne Sender, Medien etc. können im Zeitalter des Internets und der sozialen Medien nicht mehr die Vormachtsstellung haben, die sie früher hatten. Das gilt natürlich nicht nur, aber eben auch für FM4. Der Sender ist ein möglicher, ziemlich attraktiver Begleiter auf dem Weg. Aber es ist nicht mehr der einzige Weg, und taugt deshalb auch nur sehr bedingt als Reibebaum.

Auf der anderen Seite wird FM4 aber auch im Positiven ungerecht behandelt: Während man uns jeden Abschlepp-Artikel ewig vorhält und den Kollegen von The Gap Buzzfeed-Mentalität vorwirft, sieht man bei FM4 aus irgendwelchen Gründen primär immer nur „Im Sumpf“ oder den „Soundpark“. Dass diese Sendungen gerne spätabends „versendet“ werden und auch FM4 viel Stupides macht (Festivalberichterstattung, bei der sie mit Jugendlichen irgendwas bauen zum Beispiel), vergisst man dabei gnädig. Eine gewisse Grundsympathie scheint dazu zu führen, dass viele nur die Highlights sehen, die Mühen der Ebene aber großmütig ignorieren. Das ist natürlich aus meiner Sicht total ärgerlich, aber auch irgendwie OK—diese Stellung kommt ja nicht aus dem Nichts, sondern wurde sich—finanziell unerstützt, wohlgemerkt—selber erarbeitet.

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FM4 hat diese wichtige Stellung verinnerlicht, und lässt das andere Menschen auch spüren. Wenn man mit dem Sender Pressekooperationen aushandelt, gibt einem FM4 immer das Gefühl, dass man es mehr bräuchte als umgekehrt. Aber eine solche Stellung birgt aber auch eine gewisse Gefahr. Größe und Marktbeherrschung machen gelegentlich träge. FM4 war in vielen Dingen weit vorne—hier sei beispielhaft die Kommentarfunktion erwähnt. Einiges hat man daraufhin verpasst, auf anderes musste man erst gestoßen werden: Videopremieren, Pre-Streaming etc. finden bei FM4 erst statt, seitdem die Konkurrenz es macht. Und ja, es stimmt, dass FM4 zum Glück immer wieder Neues ausprobiert. Aber trotzdem ist die Überalterung nicht aus der Luft gegriffen. Welches etwas jüngere Sendergesicht fällt einem denn ein? Mir ganz spontan nur Christian Pausch. Wahrscheinlich gibt es eh ein paar mehr, aber die Generation Mitte 20 ist letztlich kaum vertreten. Das halte ich nicht nur für falsch, sondern auch für gefährlich. Dass Wrabetz jetzt zum wiederholten Mal mit dem Gedanken an einen neuen Jugendsender spielt, ist kein Zufall.

Auf der FM4-Facebook-Page findet man ein Menge Bullshit. Aber immerhin lustigen Bullshit.

Trotz all den kritischen Worten und der Herablassung, die einem vor allem von der Riege der älteren Herren dort entgegen schlägt, bin ich sehr froh, dass es FM4 gibt. Sie können Dinge tun, die wir aufgrund vor allem monetärer Zwänge aktuell nicht tun können: Junge, heimische Artist in der Rotation so oft featuren, bis sie eine gewisse Schwelle erreichen; popkulturelle Aufbauarbeit bis in den letzten Winkel Österreichs leisten, während wir anderen uns vor allem auf Wien beschränken (müssen); sich einfach mal wochenlang in das Thema Kobane verbeißen, weil wir es interessant ist. Auch, wenn ich mir sicher bin, dass wir heute manche Dinge frischer, mit jüngerem Personal und vielleicht auch einfach besser machen: Wir alle profitieren nicht nur von der Arbeit, die bei FM4 geleistet wurde, sondern auch von der Arbeit, die dort täglich geleistet wird.

An dieser Stelle gilt es deshalb einfach mal Danke zu sagen. Natürlich mag man sich mal mehr, mal weniger, ärgert sich auch gelegentlich gegenseitig. Aber Österreich wäre ohne FM4 deutlich ärmer. Also: Danke, liebe Konkurrenz. Auf dass wir uns auch noch in 20 Jahren gegenseitig ärgern.

Jonas hasst manche Menschen bei FM4, trinkt mit anderen aber sehr gerne ein Bier. Er ist auf Twitter: @L4ndvogt

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