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Die Top 100 DJs-Liste vom DJ Mag ist da—und leider Bullshit

Der Einfluss der DJ Mag Top 100 ist noch immer hoch—obwohl längst bekannt ist, wie leicht DJs, Manager und Fans das Voting manipulieren können.

Jedes System hat seine Machstrukturen, und ob es uns gefällt oder nicht: In fast zwei Jahrzehnten hat sich DJ Mags TOP-100-Ranking zum Maßstab für die DJ-Welt entwickelt. Wenn die Liste alljährlich im Herbst veröffentlicht wird, ziehen Agenturen die Gagenforderungen ihrer frisch gewählten Top-DJs noch einmal ordentlich an und die Ranking-Statistiken liefern das Futter für sämtliche Pressemitteilungen des kommenden Jahres. Diejenigen, die in der Welt der elektronischen Musik nicht gerade zum Kreis der Eingeweihten gehören, bekommen den Eindruck vermittelt, dass hier die Stimme aller Fans tanzbarer Musik abgebildet wird, und es stimmt schon: Die oberen Plätze nehmen Acts ein, die momentan wirklich groß sind—Armin van Buuren, Tiësto und David Guetta sind tragende Säulen der elektronischen Musik und wenn man einen Blick auf Tourdaten und Plattenverkäufe wirft, gehören auch Nicky Romero und Steve Aoki zu den Neuankömmlingen im hohen DJ-Adel. Es wundert also nicht, dass sie im Ranking weit oben landen.

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Der Überraschungssieger hieß 2013 Hardwell. Nach einer Reihe erfolgreicher Singles und ausgedehnter Tourneen war es durchaus nachvollziehbar, dass er es unterstützt durch eine aggressive Social-Media-Kampagne geschafft hatte, Armin van Buuren vom Thron zu stoßen.

Anscheinend noch erfolgreicher war hingegen die Social-Media-Strategie von Dimitri Vegas & Like Mike, die es im letzten Jahr unter die ersten zehn Plätze schafften, nachdem sich das Duo 2012 gerade eben so in den Top 40 befand. Sie überholten damit Skrillex, Deadmau5, Nervo und Calvin Harris—das war dann doch ein bisschen verdächtig.

Geht man noch etwas weiter die Liste runter, zeigen sich die Fehler im System immer deutlicher. Popel-DJs ranken besser als altgediente Veteranen und mittelschwere Künstler mit überdimensionierter Facebook-Fanbase überholen renommierte Ikonen. Dementsprechend werden die Ergebnisse alljährlich von ohrenbetäubenden Buh-Rufen begleitet. Fans und Musikindustrie werfen dem DJ Mag fehlende Fairness und Wahlmanipulation vor. Trotzdem erscheint das Voting jedes Jahr wieder—wie ein sturer Phoenix.

Wie kommt's? Es ist ein Pay-To-Play-System.

Es ist eindeutig: Der Top-100-Poll ist der gut geölte Motor des DJ Mag. Weil der Poll auf einem öffentlichen Voting basiert, schießen die DJs enorme Geldbeträge in Marketing-Kampagnen, um gute Platzierungen zu erreichen—und ein guter Teil davon wandert direkt zum DJ Mag selbst.

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In Emails, die THUMP vorliegen (und auch bei Reddit nachzulesen sind), bieten Sales-Mitarbeiter des DJ Mag aktiv Werbebanner an, die den DJs Wettbewerbsvorteile bei der Stimmenabgabe verschaffen sollen, indem sie geschickt auf der Votingseite platziert werden. „Während die User ihre Kreuzchen setzen, wird ihre Werbung vor deren Augen erscheinen. Wenn das nicht hilft, hilft auch nichts anderes“, verspricht das DJ Mag. Die Werbung kann man allerdings nur schalten, wenn man gleichzeitig auch eine ganze Anzeigenseite in der Printausgabe kauft. Das heißt, das Spielfeld (Magazin und Website) bleibt denjenigen Künstlern vorbehalten, deren Werbebudget Ausgaben zwischen 15.000 und 35.000 Euro verkraften kann.

Auch wenn jede Zeitung und jedes Magazin mit Anzeigen Geld verdient—ein derartiges Vorgehen wäre bei keinem anderen Poll möglich. In der Politik nennt sich das „Unzulässige Wahlbeeinflussung“ und ist in jeder Demokratie verboten.

The @DJmag poll is full of Lance Armstrongs. Who really gives a fuck?

— Sasha (@sashaofficial) 19. Oktober 2012

Seitdem das Ranking Mitte der 90er eingeführt worden ist, hat man es mit Betrügern zu tun. Am Anfang war es noch eine nette Idee des Magazins, die (damals recht kleine) DJ-Szene für seine wachsende Leserschaft zu sortieren. Die 800 Stimmen, die im ersten Voting abgegeben wurden, trafen noch auf Postkarten ein und wurden dann von den Mitarbeitern des Magazins ausgezählt. Der Poll war zwar noch kein besonders guter Indikator für die Musikindustrie, aber Cheater konnten auch damals schon mehrere Stimmen abgeben—indem sie einfach ein paar Postkarten mehr verschickten.

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Auch als der Poll dann zu einem Online-Voting wurde, hatte das Magazin mit Betrügern zu kämpfen. Terry Church, momentaner Chef von Ibiza Uncut und DJ Mag-Redakteur zwischen 2003 und 2007, sagt, es habe anfangs keine Sicherheitseinschränkungen gegeben. Jeder konnte mehrere Stimmen abgeben, indem er einfach im Browser auf „Zurück“ ging und noch einmal wählte. Um das zu verhindern, führte das Magazin dann Cookies ein, die dann aber von besonders gerissenen Wählern vor der nächsten Stimmabgabe einfach wieder gelöscht wurden. Schließlich musste man sich per E-Mail registrieren. Diese Schranke überwanden die Trickser indem sie Hacker anstellten, um unzählige Email-Adressen zu erstellen. 2011 musste das Magazin das Zeitfenster für die Stimmabgabe erweitern, weil kurz vor Schluss jemand versucht hatte, die Seite zu hacken.

Der Poll ist darüber hinaus eine Brutstätte für zwielichtige Geschäftspraktiken.

Eine Auktion bei eBay Italien zum Erwerb von 100 Stimmen. Das DJ Mag stellte die Glaubwürdigkeit dieses Angebots in Frage.

Mit der Zeit ist ein eigener kleiner Wirtschaftszweig mit Unternehmen entstanden, die DJs zu höheren Platzierungen verhelfen wollen. 2013 bekam Gareth Emery einen Anruf von so einem Unternehmen, das ihn warnte, dass es ohne einen Griff in den Geldbeutel „schwierig werden wird, mitzuhalten“. „Mir wäre fast die Kotze hochgekommen“, schrieb Emery bei Facebook. Er investierte sein Geld stattdessen in eine Wohltätigkeitskampagne. Nichtsdestotrotz landete er 2013 noch auf Platz 51.

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Andere zeigen weniger Edelmut. Ein Typ, der sich DJ Style nennt, veröffentlichte dieses Foto:

Inwiefern Blackfacing dabei helfen soll, Menschen dazu zu bringen, für dich zu stimmen, entzieht sich jeglicher Logik (genau wie die Formulierung „a music’s slave“), aber immerhin sorgte der unverhohlene Rassismus für einen riesigen Aufschrei in der Blogosphäre.

So … erinnerst du dich noch an den rasanten Aufstieg von Dimitri Vegas & Like Mike um geschlagene 32 Plätze auf Position sechs im letzten Jahr? Mit dem festen Vorhaben, bloß nichts dem Zufall zu überlassen, engagierten sie sogenannte Repräsentanten (ausschließlich Frauen), die dieses Jahr mit iPads bewaffnet über das Tomorrowland tigerten. Die Damen fragten Festivalbesucher, ob sie Interesse daran hätten, ihre Stimme im Poll abzugeben, und tabten und wischten dann auf eine Seite, wo der Interessent dann für Dimitri Vegas & Like Mike voten musste—die, ganz nebenbei, vom Tomorrowland-Veranstalter ID&T vertreten werden.

Ein Raver, ein 24-jähriger Texaner, berichtete uns davon, wie der diese bizarre Methode erlebte. „Zuerst hielt ich das für einen Witz und lachte“, sagte er uns. „Sie antwortete darauf, ‚entweder [du stimmst für die], oder gar nicht.’ Ich sagte dann, ‚Das ist doch verrückt. Die sind noch nicht mal in meinen Top-Ten und bestimmt nicht meine Nummer eins.’ Sie nahm mir daraufhin das iPad aus der Hand und ging weg.“

Und dann gibt es da noch diese Geschichte mit Ricky Stone, einem DJ und Producer aus Hong Kong, der mit lokalen Internetcafés einen Deal ausgehandelt hatte. Zu Beginn jeder Session tauchte dann die Internetseite für das Voting auf, „Ricky Stone“ natürlich schon angekreuzt. Stone sicherte sich 2005 Platz 48.

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So zweifelhaft diese Methoden auch wirken, sie befinden sich noch im Rahmen dessen, was das Magazin erlaubt.

Das DJ Mag disqualifiziert durchaus DJs, wenn bekannt wird, dass sie unerlaubte Methoden anwenden. Die wenigen, die es nicht schaffen, ihre Spuren zu verwischen, werden so zum Sündenbock für ein in sich fehlerhaftes System. 2007 feuerten Christopher Lawrence und DJ Dan ihren Manager, der dabei erwischt worden war, unerlaubt Stimmen zu generieren. Das Magazin sprach die beiden DJs zwar von jeder Schuld frei, trotzdem hinterließ der Vorfall eine hässliche Spur in ihren Karrieren.

Die DJ-Community selber hingegen zeigt sich zunehmend desinteressiert. „Für viele DJs spielt es eine immer kleinere Rolle“, so Paul Oakenfold. „Leider hat sich gezeigt, dass man den Poll recht einfach manipulieren kann … es gibt sogar DJs, die einem zeigen, wie man das macht.“

Dieses Jahr kündigte Diplo bereits in seinem „Ask Me Anything“-Reddit an, dass er mithilfe eines noch unbekannten „speziellen Disqualifikationstricks“ dem Poll entkommen wird. Dada Life wiederum riefen die Webseite bottom100djs.com ins Leben, auf der User darum gebeten wurden, für die schlechtesten DJs zu stimmen.

Obwohl sie es letztes Jahr auf Platz 35 und dieses Jahr immerhin auf Platz 52 der DJ Mag-Top 100 schafften, haben Olle Cornéer und Stefan Engblom gemischte Gefühle gegenüber dem Poll. „Für eine bestimmte Art von DJ ist dieses Ranking wahrscheinlich wichtig, aber für uns eigentlich nicht“, sagten sie gegenüber THUMP. „Wir nehmen es nicht wirklich ernst. Oder anders formuliert, wir nehmen es ernst genug, um unseren eigenen Award zu starten!“

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Für diejenigen unter uns, die den Poll als „irrelevant“ abschreiben, ist es wichtig anzuerkennen, dass seine Popularität und sein Einfluss nicht überschätzt werden kann. Allein bei Facebook gab es um die 23.000 Kommentare, in denen über den diesjährigen Poll diskutiert wurde. Bookern und Promotern in Asien und Südamerika, den aufstrebenden Märkten für elektronische Musik, stehen weniger Vergleichsmöglichkeiten zur Verfügung, um den Bekanntheitsgrad eines Künstlers vernünftig einzuschätzen und dementsprechend ziehen sie auch die zweifelhaften Ergebnisse des Polls zu Rate, um Gagen festzulegen—dementsprechend geben DJs auch tausende Dollar für Publicity-Kampagnen aus. Genau wie andere Künstler sich in in ihren Biographien gerne mit „Grammy-Gewinner“ oder „Nominiert für den Mercury Prize“ schmücken, so spielen auch Poll-Platzierungen weiterhin eine wichtige Rolle. („No. 1 DJ in the World“ klingt doch ganz gut, oder nicht?)

Leider hat sich der Poll von einem harmlosen Spaß zu einer Goldgrube für PR-Unternehmen und das Magazin selber entwickelt. Unzählige desillusionierte Fans füllen Foren mit Threads, in denen sie sich über die Platzierungen aufregen, und trotzdem sehen DJs, Manager und Label die Top 100 als nötiges Investment, um auch alle relevanten finanziellen und karrierefördernden Vorteile abzugreifen.

Das DJ Mag ist mit seinen umfangreichen Ausgaben in verschiedenen Ländern dieser Erde durchaus eine gute Sache und hat in den letzten 20 Jahren eine wichtige Rolle in der Entwicklung elektronischer Tanzmusik gespielt. Als Gebieter über DJ-Gehälter ist sein alljährlicher Poll dann aber doch ein Erbe, das man besser ignoriert.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Thump.

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