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Diese Songs wollen wir nie wieder auf Beerdigungen hören

Der erste Track der selbstgebrannten Trauer-CD ist „Tears In Heaven“ und der Teil der Trauergemeinde, der sein Leben noch im Griff hat, ist irgendwie peinlich berührt.

Screenshot via Youtube

Ihr kennt das—ihr seid auf der Beerdigung eurer toten Oma und die einzige Aufgabe eures seltsamen Single-Onkels war es, für die Musik zu sorgen. Statt eines in die Jahre gekommenen Männerchors, so wie Großmutter es wahrscheinlich gewollt hätte, oder einfach gänzlich auf Musik zu verzichten, hat er mit Hilfe eines Youtube-Rippers eine CD namens „Die schönsten Trauerlieder“ gebrannt und spielt sie jetzt auf seinem alten Radio in der Kirche ab. Der erste Track ist „Tears In Heaven“ und der Teil der Trauergemeinde, der sein Leben noch im Griff hat, ist irgendwie peinlich berührt.

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Diese Typen gibt es wirklich. Ich schwöre. Beerdigungen sind für die meisten von uns kein besonders ausgelassener Anlass, die richtige musikalische Untermalung zu finden—falls es sowas überhaupt gibt—ist daher ein ziemlicher Drahtseilakt. Mittlerweile gibt es käuflich zu erwerbende Sampler-CDs, sogar auf Spotify existieren eigens kuratierte Playlists für Beerdigungen—alle mit sehr fragwürdige Inhalten. Der kälteste Schauer läuft einem jedoch über den Rücken, wenn man sich die Hitliste der meistgespielten Beerdigungs-Songs der vergangenen Jahre ansieht. Und ja, die wird jährlich von einem Bestattungsunternehmen ermittelt.

Wir wissen eh, eigentlich ist das so falsch und überhaupt nicht lustig. Der Tod ist kein spaßiges Thema. Trotzdem—oder genau deshalb—treibt uns die Liste der beliebtesten Pfiati-Sager eine derart ungewollte Fremdscham ins Gesicht, dass wir uns fast schon wieder selbst dafür schämen. Oder könnt ihr euch vorstellen, wie diese unfassbar dramatischen letzten Refrains von „My Heart Will Go On“ oder „I Will Always Love You“ (AND I) ertönen, während der Sarg eurer toten Oma in ihr Grab gesenkt wird? Ganz große Gefühle. Wäre die Beerdigung deiner Oma ein RTL-Format, würde das höchstwahrscheinlich genau so passieren. Vielleicht sollte das wirklich ein RTL-Format sein.

Diese beiden Songs werden laut den Recherchen von bestattungen.de wirklich auf Beerdigungen gespielt. Wir sind keineswegs herz- oder geschmacklos—vielleicht ein bisschen, aber das sind tatsächlich zwei der beliebtesten Songs der letzten Jahre für Beerdigungen im deutschsprachigen Raum. Echt jetzt. Dass „My Way“ von Frank Sinatra im letzten Jahr den Titel holte, kann man ja noch irgendwie verkraften. Aber „Time To Say Goodbye“? Schon klar, es geht um Abschied und alles—aber dieser Song wurde schon so oft in jeder noch so billigen Tschüss-Filmszene verwurschtelt, dass es weh tut. Abgesehen davon hat jeder diesen einen Freund, der beim Verabschieden anfängt, die Melodie zu summen, weil er denkt, es wäre angebracht. Ist es nicht. Trotzdem—noch immer besser als Enya.

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Wenn es tatsächlich eine Art von Musik gibt, die mich wirklich richtig aggressiv macht, dann ist es Enya. Alleine dieser Name macht mich grantig. Enya. Es gibt diese South Park-Folge, in der Stans Großvater ihn in einen dunklen Raum einsperrt und ihn dazu zwingt, Enya zu hören, um ihm damit zu zeigen, wie es sich anfühlt, alt zu sein. Das beschreibt meine Gefühle für Enya ziemlich gut. Ich weiß nicht, ob sich jemand daran erinnert, aber „Only Time“ wurde 2001 auf nicht besonders geschmackvolle Art und Weise zum inoffiziellen 9/11-Soundtrack deklariert und damit kurzzeitig zum Welthit. Wahrscheinlich ist der Song seit damals in den Köpfen der Menschen als geeignete Hintergrundmusik für etwas Schreckliches hängengeblieben, demnach wird er heute auch gerne auf Begräbnissen gespielt. „Ich möchte zum Titelsong von 9/11 begraben werden. Gott segne Amerika.“

Nicht nur bei Hochzeiten, Taufen und so ziemlich jedem anderem Fest, das im Kirchenjahr ansatzweise existiert, möchten die Menschen „The Rose“ von Bette Midler hören. Beim besten Willen—ich weiß einfach nicht, was es mit diesem Song auf sich hat, aber überall, in ausnahmslos jedem kirchlichen Fest, taucht dieser Song irgendwann auf. Das ist so fix wie das Amen im Gebet. Es ist, als wäre es der ewige Lieblingssong von Jesus, an dem er sich einfach nie satthören kann. Und ich spreche aus Erfahrung—Jesus bezahlt mich gelegentlich für Musik, und ich kann mich tatsächlich an keine Trauung oder Taufe ohne „The Rose“ erinnern. Some say love, oida.

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Schubert wirkt in dieser Liste fast schon undergroundig. „Ave Maria“ ist ein Hoffnungsschimmer am geschmacklichen Horizont aller Trauergesellschaften. Aus irgendeinem Grund erscheint uns Klassik auf Beerdigungen irgendwie angebrachter. Aber eigentlich auch Peter Alexander. Peter Alexander ist so was wie österreichisches Nationalheiligtum—wenig verwunderlich also, dass „Sag beim Abschied leise Servus“ zu den beliebtesten Abschiedsliedern in Österreich zählt. Aber mal ehrlich—dieser Schallplatten-Charme und die Altherren-Stimme haben so was wunderbar Nostalgisches, fast schon Großväterliches, dass man es eigentlich nur lieben kann. Ungefähr so, wie in der letzten Folge von Desperate Housewives, als die alte Nachbarin stirbt und ihr letzter Wunsch eine Vinyl von ihrem Lieblingssong ist und dann die ganze Szene diesen traurigen Retro-Chic hat. Zu Peter Alexander möchte man doch gerne ins Licht gehen.

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Die meisten jüngeren Menschen können damit eher wenig anfangen—was wohl auch der Grund dafür ist, dass die beliebtesten Interpreten für Beerdigungen von jungen Menschen Adele und Lana Del Rey sind. Das ist so ziemlich die tragischste Situation, die man sich vorstellen kann—aber stellt auch mal vor, es spielt „Born To Die“. Das ist alles so falsch. 2012 war ein dunkles Jahr, auch für Bestatter. Damals war „An Tagen wie diesen“ von den Toten Hosen tatsächlich auf Platz 10 der meistgespielten Begräbnissongs—wirklich. Was sind das für Menschen, die ihre Verstorbenen zu den Toten Hosen verabschieden? Zu diesem Fußball-Gröhler? Was waren das für Menschen, die sich das vielleicht auch noch gewünscht haben? Und was kommt als nächstes? „Ein Hoch auf uns“? Wir können und wollen das einfach nicht verstehen.

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Und dann gibt es da Leute, die „Geboren um zu leben“ von Unheilig abspielen und das passend finden. Jedem das Seine—aber COME ON. Vielleicht sollten wir uns einfach an den Briten ein Vorbild nehmen—die sind nämlich am liebsten klassisch britisch unangebracht und erweisen ihren Verstorbenen die letzte Ehre indem sie allen Ernstes „Always Look On The Bright Side Of Life” von Monty Python spielen. Geht auch.

Es gibt eben verschiedene Traditionen, um seine Angehörigen zu verabschieden. In Wien kann man sich mittlerweile einen Abdruck vom toten Gesicht seiner Oma machen lassen und den dann aufhängen. Ist das nicht eine liebe Idee? So kann deine tote Oma dich immer beobachten. Bei allem, was du machst. Für immer. Wir wissen nicht so genau, ob es so was wie das richtige Lied für ein Begräbnis gibt—obwohl Peter Alexander ziemlich nah dran ist—, wenn es allerdings nicht der ausdrückliche Wunsch der Verstorbenen war, einen Song von Unheilig auf seiner letzten Ruhestätte zu spielen, dann sollte man das wahrscheinlich lassen.

Franz auf Twitter: @FranzLicht

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