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Die Castingfalle—Warum sich der ORF gefälligst was schämen sollte

Wenn Pop nicht mehr seine Rebellion verkaufen kann, muss er eben seinen Arsch verkaufen. Über sogenannte Expertenjurys, Publikumsvotings und das Ende einer großen Erzählung schreibt Stefan Sonntagbauer.

Foto: Sander Hestermann/EBU

Gestern sind gleich drei bemerkenswerte Dinge passiert. 1. Es war Feiertag. 2. Das Finale von Germany's Next Topmodel wurde wegen einer Bombendrohung geräumt. 3. Stefan Sonntagbauer hat uns einen Text geschickt, den ihr unten lesen könnt. Weil wir Stefan nicht kennen, müssen wir uns auf seine Selbstbeschreibung verlassen. Die lautet folgendermaßen: „Stefan Sonntagbauer hört gern so laut Musik, dass es schädlich für die Ohren ist, wird auf m Bolzplatz Pferdejunge gerufen, wickelt sich mit Alufolie ein und behauptet, er wäre eine ägyptische Mumie, liegt den ganzen Tag im Bett und raucht Tschick weil ihn niemand jemals wirklich verstehen kann, macht mit Jo Strauss und Krautschädl Musik, schreibt auch Bücher und regt sich permanent über alles auf in Wien, Wels und Berlin.“

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I

Seitdem das Prinzip Casting in Form von Starmania in den 2000er Jahren auch hierzulande die Musikformate erstmals erfasst hat, lässt sich seine sukzessive Expansion in den dezidiert quotenaffinen Gefilden der Branche, genauso wie ein diffuses Unbehagen diesbezüglich feststellen, das sich zwar immer wieder mal quer durch die Gesellschaft bemerkbar macht, bisher jedoch kaum noch treffend konkretisiert worden ist. Neben der meist durchaus berechtigten Beanstandung einzelner Protagonisten ist der Kritik so bisher entgangen, dass die Etablierung der sogenannten Expertenjurys und Publikumsvotings einen Paradigmenwechsel markiert, der eine Umgestaltung der großen Kunst-Erzählung zeitigt, wie wir sie seit der Romantik nicht mehr erlebt haben. Die übliche Nonsense-Debatte—zuletzt im Zuge des völlig berechtigten Shitstorms gegen den SoCo-Vorentscheid—ist in all ihrer Schärfe doch immer mehr heimliches Supplement, als echte Intervention. Wo man Oliver Pocher, Nazar oder davor noch Larissa Maroldt doof findet, wird das Prinzip Casting nur noch einmal auf anderer Ebene variiert. Mittels Quote wird das Publikum gleichsam zur Jury der Jury.
Viel wichtiger wäre also, einen Blick auf die bisher mehr oder weniger unbemerkt stattfindende Umstrukturierung des medialen Raums zu werfen, in dem Populärmusik nicht nur veräußert wird, sondern sich gleichsam erst konstituiert. Die Jurys und Votings wirken ja nicht nur unmittelbar auf den jeweiligen Künstler (keepen wir es oldschool und nennen wir das jetzt trotz aller berechtigter Bedenken einfach mal so), sondern präfigurieren kraft ihrer Omnipräsenz im medialen Raum die ganze kulturelle Produktion. Wir wissen eh Bescheid: So wie sich der Blick auf Kunst verändert, verändert sich zwangsläufig auch die Kunst selbst—umso mehr, wenn dieser Blick öffentlich inszeniert und nach und nach zum Wesentlichen der Sache stilisiert wird. Dementsprechend hat auch die gesellschaftliche Perspektive auf Pop durch das Prinzip Casting eine neue Fokussierung erfahren, die freilich vielmehr medial vermittelt ist, als umgekehrt, wie sich die eigentlich Zuständigen immer wieder aus der Schusslinie nehmen. Wo der ORF, wie neulich bei den SoCo-Vorausscheidungen, dem Schein nach nur den Willen des Volkes exekutiert, negiert er nur wirksam seinen durchaus großen Anteil an der aktuellen Misere.

II

Wieso Kunst etwas wert ist. Seit jeher ist die Kunst, und da schon immer vor allem die Musik, als ein Jenseits der wie auch immer gearteten gesellschaftlichen Zwänge verstanden worden. Zweite Natur oder zweite Welt. Fluchtraum oder gebrochene Spiegelung. Kunst reagiert immer auf das, was ist, geht dabei aber auch immer zwingend darüber hinaus. Das Größte ist reine Magie, das Kleinste die Freude an der gelungenen Mimesis, wie sie seit Aristoteles erster Würdigung bis heute vor allem Zeltfestgeher und japanische Kulturtouristen zu schätzen wissen. Selbst als bloße Nachahmung jedoch ist Kunst immer auch Transzendenz. Sie setzt, wie man das in Kleinbürgers Denkstübchen formulieren würde, der Profanität des Alltäglichen den Zauber des Fremden entgegen.

Heute heißt das: In der Kunst gibt es einen Sinn, der sich nicht eins zu eins in einen Geldwert übersetzen lässt. Wenn uns Kunst überhaupt noch faszinieren kann, dann, weil sie sich noch immer nicht ganz dem gegenwärtig durchaus dominanten Prinzip der ökonomischen Rationalität unterworfen hat. Sie ist das letzte Ding, dessen Bedeutung sich nicht rein in seinem Warenwert erschöpft. Und seit jeher ist es genau das, was dann später doch in Geld aufgewogen wird - zumindest, wenn alles gut geht. Diesem durchaus produktiven Paradox droht dieser Tage allerdings die Auslöschung.

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III

Die gute alte Kunst-Geschichte. Wie kommt der Künstler nun dazu, seine zweite Welt zu entfalten? Wie kommt das Jenseits der Welt in die Welt? Die altbewährte Antwort lautet folgendermaßen (hier frei nach Freud): Diejenigen Mitglieder der Gesellschaft, die längerfristig daran scheitern, ihre Wünsche in die Realität umzusetzen, wenden sich schließlich von ihr ab, um in eine befriedigendere Phantasiewelt zu flüchten. Auf diesem Weg entstehen beim Künstler im Gegensatz zum Normalsterblichen aber keine neurotische Symptome, sondern—na, eben—Kunst. In seinem Werk macht der Künstler der Gesellschaft also jene zweite Welt zugänglich, die er sich erst erschaffen hat, um vor ihr zu flüchten. Dermaßen glich die Erzählung vom erfolgreichen Künstler bis vor kurzem immer auch ein bisschen der vom verlorenen Sohn. Beide kehren aus der Fremde wieder und bringen mit: eine Prise Sternestaub, der die prosaische Wirklichkeit neu koloriert und vielleicht sogar realiter transformiert (aber nur allerhöchstens vielleicht und bitteschön immer nur der Möglichkeit nach!). Und genau dafür wird der Künstler am Ende auch reich belohnt: Der junge Goethe bringt sich nicht um, sondern lässt lieber Werther sterben und wird gerade so zum Shootingstar der Szene. Bis heute lieben die Geisteswissenschafter diesen Plot mindestens genau so sehr wie die Drehbuchschreiber der Daily Soaps und Pensionistenfilme.

Die letzten beiden großen Galionsfiguren dieser Erzählung im Pop waren sicherlich Michael Jackson und Kurt Cobain. Den einen machte seine Welt-Flucht, den anderen seine Welt-Verachtung zum Weltstar. Was den Erfolg am Markt brachte, war hier jeweils die Erhabenheit über ihn und seine Mechanismen. Jackson und Cobain waren immer mehr als bloße Ware, genau das war ihre wichtigste Message. Als spleeniger Märchenonkel (Nachtseite: Pädophilie) und feinfühliger Außenseiter (Nachtseite: Drogen) boten sie zwar nach allen Richtungen hin stets eine ergiebige Angriffsfläche, doch kamen sie gerade so niemals im Verdacht der bloßen Geschäftemacherei. Dem entsprach natürlich jeweils auch das künstlerische Oeuvre. Zauberhafte Gigantomanie oder brutale Anti-Ästhetik, Eskapismus oder (Auto-)Aggression verursachten uns damals wohlige Schauer, indem sie uns in Welten entführten, die mit unserer langweiligen Bauspar- und Windelwechselrealität rein gar nichts zu tun hatten. Ahnung einer anderen Ordnung, einer anderen Welt: Bis vor kurzem war Popmusik auf die eine oder andere Art immer auch Utopie.

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Diese Logik lässt natürlich den Tod des Künstlers zum zentralen Ereignis seiner Biographie werden. Wo der tote Künstler als solcher künftig auf Körper und Konto gleichermaßen verzichten muss, kann auch der Schmutz der Welt nicht mehr an ihm haften bleiben. Gleich mit ihm steigt auch sein Werk in jenseitige Sphären auf, indem es künftig nicht mehr in Geld, Fame und Bitches umgesetzt werden kann. Was übrig bleibt ist die kulturelle Unsterblichkeit oder zumindest der tragische Märtyrertod. Dank solcher Sublimation zum heiligen Kunstgeist kann nun denn auch der Leichnam von den Hinterbliebenen umso rücksichtsloser zerfleischt werden (R.I.P. Falco, 2Pac, Notorius B.I.G. und wie sie alle heißen).

So weit nun jedenfalls die große Erzählung, die bis vor kurzem noch uneingeschränkte Gültigkeit für sich beanspruchen durfte. Der—im Casting freilich selbst künstlichen—Ökonomisierung der Kunst steht sie nun aber unmittelbar im Weg. Damit auch den Interessen ihrer Protagonisten, den sogenannten Machern. Das heißt: Sie muss weg. Und das geht so: Der Künstler soll nicht mehr flüchten, sondern gleich hierbleiben. Er soll nicht mehr seine Rebellion verkaufen, sondern nur noch seinen Arsch.

IV

Vom Ende der Debatte. Kunst war also in der bürgerlichen Gesellschaft—wenn auch immer mehr oder weniger als Immanenz—jenes spontane Ereignis, das den Diskurs empfindlich aufplatzen ließ. Dem entsprach dann natürlich auch ein spezifischer Modus der Rezeption. Die diskursive Bändigung des Kunst-Ereignisses erforderte die sichere Handhabung der zentralen ästhetischen Kategorien, genauso wie daneben eine gewisse Offenheit dieser Kategorien unabdingbar war. Das Geschmacksurteil wurde als Meta-Kunst dann bald selbst wieder in kulturelles Prestige umgesetzt. Viel wichtiger aber war, dass es den durch das Kunst-Ereignis aufgeplatzten Diskurs—eiternd, blutend, schleimend, jedenfalls höchst infektiös—wieder in seiner geschlossenen Ganzheit restituierte. Kunst-Diskurs war so die ebenso gefährliche wie lustvolle Jagd nach etwas, das immer wieder wild ins Ungewisse vorauseilte. Nun eben nicht mehr mittels Steinwurf, sondern mittels ästhetischer Begrifflichkeiten. Aber selbst noch auf der Ebene reingeistiger Sublimation scheinen uns derzeit die urtümlichen Instinkte zu verlassen. Das überall wuchernde Prinzip Casting initiiert heute am augenscheinlichsten eine Umkehrung der bürgerlichen Ordnung. Aus der diskursiven Bändigung und letzlich der Affirmation des Widerstands gegen den Diskurs—das heißt: der nachträglichen Aneignung von Freiheit und Subjektivität—ist heute die spektakulär inszenierte Unterwerfung des Künstlers unter den Diskurs—das heißt: die unmittelbare Negation von Freiheit und Subjektivität—geworden. Kurz, heute ist es nicht mehr der Diskurs, der dem Künstler hinterherjagt, sondern vielmehr der Künstler, der dem Diskurs hinterherhetzen muss und dabei freilich immer um den entscheidenden Schritt zu spät kommt. Das Ereignis soll längst nicht mehr die Debatte eröffnen, sondern bloß noch möglichst perfekt das manifestieren, was ohnehin längst schon gesagt ist. So darf es auch kaum wundern, dass die einschlägigen Formate nicht mehr dem Künstler, sondern vielmehr seinem Juror Aufmerksamkeit und Mehrwert bringen. Der Fokus verschiebt sich unter den gegebenen Umständen zwingend auf diejenigen, die den Künstler dingfest machen, noch bevor er dazu kommt, seine subversiven Kräfte zu entfalten. Genauso wie bekanntlich auch sonst überall die Kuratoren und Intendanten und derlei Wichtigtuer den künstlerischen Produktivkräften den Rang ablaufen. Die Patriarchen des Diskurses werden größenwahnsinnig, der verlorene Sohn muss sich unterwerfen oder wohl oder übel in der Gosse verrecken. Die Totalisierung einer gewissermaßen schönen, das heißt: spannungslosen Ästhetik lässt uns die Erhabenheit wilder Kunst-Natur vergessen und uns dafür die Gärtner feiern, die sie für uns so zusammenstutzen, dass sie sich möglichst unbemerkt zwischen die Werbeblöcke und Produktplatzierungen des Hauptabends sortieren lässt.

Die perfide Umkehr der Abhängigkeit zwischen Kunst und Diskurs (nunmehr: Diskurs und Kunst) spiegelt sich daneben auch im schnöden Marketingsprech der Macher wieder, die uns viel lieber von Optimierung, Alleinstellungsmerkmalen und Coachings sprechen, als von der immer noch möglichen Geilheit des Kunst-Ereignisses. Der Thrill der diskursiven Jagd wird heute am augenscheinlichsten, allerdings durchaus nicht exklusiv in den Castingformaten zusehends durch einen als Spektakel inszenierten Zuchtbetrieb abgelöst, der zwar am Fließband neue Artists ausspukt, dabei aber immer weniger Abweichung zulässt. Bis wir irgendwann entdecken, dass man Popmusik sowieso nicht essen kann.

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V

Alternative(n)? Berechtigter Einwand: Was geht das den echten Musikmarkt an? Was geht uns echte Musikfreunde das an? Leider so einiges. Auch der echte Markt, im Gegensatz zu den monströsen Markt-Fiktionen der Castingshows, muss die Tendenzen des Mainstreams integrieren. Und wir sprechen hier nicht über das übliche, selbstmitleidige Geraunze. Seitdem es Pop gibt, ist die Selbstvermarktung ein ebenso wichtiger Faktor für den Erfolg wie die Musik selbst, eh klar!

Dass es also eine Erzählung geben muss, geschenkt. Entscheidend ist aber, was in den letzten Jahren mit ihr passiert ist. Das Lied, in das die verschiedenen Stimmen der Popularmusik bisher stets im Unisono miteinstimmten, war bisher immer das von der großen Freiheit. Beatles, Stones, Zeppelin, Sabbath, Falco, Lindenberg, Pearl Jam, Nirvana, Westbam, Scooter—überall dieselbe Geschichte. Die zermürbende Studioarbeit, die strapaziösen Tourneen und die zähen Verhandlungen mit den Labelbossen und anderen Superbösewichten, mithin alles was auch nur ansatzweise den Verdacht profaner Arbeiten erregen hätte können, wurde hier stets zugunsten der Erzählung von Freiheit, Exzess und Andersheit verschwiegen. Wo der Popstar früher verborgene Ängste und Sehnsüchte spiegelte, um uns damit gleichzeitig vor ihnen zu retten, wird er heute dagegen immer mehr zur banalen Figuren zusammengestaucht. Sogar im unergründlicherweise immer noch sogenannten Independent-Sektor finden sich kaum noch Bands, die im Interview nicht als allererstes darauf hinweisen, dass sie sich das alles hart erarbeitet hätten. Die Stars der Postmoderne erscheinen so gespalten und treten einerseits als Träger und andererseits als ebenso beinharte wie aalglatte Durchsetzer der marktkonformen Zurichtung der eigenen Kreativität auf. Damit können sie kurzfristig zwar die diskursive Hegemonie für sich behaupten, längerfristig aber entziehen sie sich jede Daseinsberechtigung.

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Die Geschichte vom wilden Einzelgänger, der nur in und für seine zweite Welt lebt, hat hier jedenfalls längst ausgedient. Wieder aufgetaucht ist sie, wenn auch in pervertierter Form, in Gestalt des Konzernchefs. Denken wir nur an Steve Jobs, der kultisch verehrt wurde, weil er selbst noch nach seiner Krebsdiagnose nicht damit aufgehört hatte, mit seinem Apple-Konzern die Welt zu vermüllen und damit ungeheuerliche Umsätze einzufahren. Das Jenseits der Kunst als zweite Natur kapituliert heute vor dem abstrakten Jenseits der mortifizierenden Zahlen als Anti-Natur. Die CEOs und Konzernbosse machen sich so nicht nur ihr kreatives Potential gefügig, sondern kolonisieren auch zunehmend das ehemalige Narrativ der Kunst. Damit kommt es heute nicht nur zu einer Verknappung des Kapitals, sondern viel schlimmer noch zu einer Verknappung der Erzählungen, die dieses wieder für die Kunst selbst gewinnen könnten. Das alles hat jedenfalls zur Folge, dass die Popstars der Postmoderne ziemlich oft genauso stinklangweilig sind wie der herkömmliche Alltags-Hanswurst, während die neuen Eliten zumindest dem Schein nach durchaus rocken. Ein bisschen Kulturpessimismus ist also durchaus angebracht, Resignation aber noch lange nicht. Dass es nämlich immer noch anders geht, genauso wie, dass anders immer noch geht, beweisen uns derzeit eindrücklich Bilderbuch und Wanda.

VI

Ein Vorschlag zur Güte. Am Zug sind also keineswegs die Künstler, wie uns die wirklich Verantwortlichen oft glauben machen wollen. Vielmehr müssten Ö3 und ORF endlich wieder ihrer Verpflichtung als Öffentlich-Rechtliche nachkommen und Räume schaffen, in denen sich Popmusik als Andersheit entfalten kann. Nicht die krankhafte Borniertheit des quotenfixierten Businessman, sondern die Neugier des passionierten Musik-Fans, der in der Redaktion sein Hobby zum Beruf machen darf, sollte hier bei allem Respekt vor dem Format den Entscheidungen zugrunde liegen (Big Up an den tapferen Eberhardt Forcher an dieser Stelle). Ansonsten perfektioniert sich der Salat. Mit der flächendeckenden Anwendung des Prinzips Casting werden derzeit hierzulande gerade jene Acts aus dem Mainstream eliminiert, die tatsächlich etwas dort zu suchen hätten. Die großartigen Bilderbuch und die nicht minder großartigen Wanda zum Beispiel haben es weder nötig, noch können sie es sich leisten, sich öffentlich von vermeintlichen Experten wie Anna F. oder Nazar beraten zu lassen oder sich an Ö3 anzubiedern—die viel zu späte Aufnahme beider Acts in die Playlist unterstreicht übrigens vielmehr dessen unbedingte Ablehnung jeder Andersheit gegenüber, als dass sie tatsächlich ein Umdenken markiert. Gerade mit Kapitulation vor dem herrschsüchtigen Diskurs der Öffentlich-Rechtlichen würden sich diese Bands nicht nur künstlerisch, sondern auch kommerziell selbst zerstören. Dass die staatlichen Medien tatsächlich kein Format anbieten können, indem sie angemessen zelebriert werden könnten, ist gelinde gesagt eine Schande. Der verlorene Sohn verweigert den Dienst und baut sich lieber sein eigens Reich. Den Posten als Papis Liebling übernimmt künftig sein uncooler Bruder mit den vielen Pickeln im Gesicht.

Dass die Öffentlich-Rechtlichen auch auf kleineren Märkten die Trends wesentlich mitbestimmen, ist daneben aber nicht von der Hand zu weisen. Also ja kein Bla von wegen es gibt ja eh noch eine Subkultur, die als solche auch auf ihre eigenen medialen Kanäle zurückgreifen kann. Die Subkultur ist bestenfalls ein Zerrspiegel des Mainstreams, auf keinen Fall aber kann sie ihm ganz entgehen. Genauso idiotisch wie hier die Unabhängigkeit der einzelnen Segmente zu behaupten, wäre die Feststellung, dass die Expansion von McDonalds ohne Konsequenzen für den regulären Würstelbrater von Nebenan bleiben würde. Wo die Öffentlich-Rechtlichen so bei jeder sich bietenden Gelegenheit stolz ihren despotischen Ungeist dokumentieren, muss also auch eine Kritik in die vollen gehen: Wir wollen neue Formate, Programme und Konzepte, die endlich wieder den Musiker und seine Musik in den Mittelpunkt stellen. Und dafür braucht es Entscheidungsträger, die in allem was sie tun, immer die Freiheit der Kunst akzeptieren, schützen und fördern, anstatt sich an ihrer Vernichtung zu begeilen. Damit würde sich übrigens auch jede Debatte um Mehrwert oder Quotenregelungen erübrigen.

VII

Aus aktuellem Anlass: Songcontest als Chance. Die nächste große Musikshow, für die der ORF verantwortlich zeichnen wird, ist bekanntlich der Songcontest, der irgendwann mal im Mai in Wien ausgetragen wird. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre, diese Veranstaltung diesmal endlich als das zu nehmen, was sie wirklich ist: eine für das Gastgeberland sauteure, völlig überdrehte und latent homoerotische Riesengaudi. Also eigentlich eh eine gute Sache. Gerade die offensiv zur Schau gestellte Fiktivität dieses Marktes würde ihn ja zur idealen Plattform für jede Form von Andersheit prädestinieren (und noch einmal entschieden nein, ein Transgenderartist, der irgendwelche James-Bond-Sountrack-Ripoffs zum Besten gibt, ist in diesem Rahmen durchaus nicht mutig und noch viel weniger ein echtes Statement). Auch, wenn die Entscheidungsshows völlig und sämtlich ein einwandfreies Debakel waren, könnte man zumindest in der Berichterstattung zum Mainevent endlich wieder eine gewisse Öffnung des Formats betreiben, indem man nicht so tut, als ginge es darum, den „Kulturstandort Österreich“ im internationalen Feld zu positionieren und nicht bloß um banal-klassisches Entertainment. Ein bisschen mehr Ironie wäre durchaus angebracht - wir sind hier schließlich nicht beim Skifahren! Die skandinavischen Länder und zum Teil auch unsere deutschen Nachbarn sind da durchaus einen Schritt voraus. Indem sie den Songcontest nicht allzu ernst nehmen, haben sie ihn gleichzeitig für ernstzunehmende Acts zugänglich gemacht. Wenn es gelingt, den sportlichen Ehrgeiz durch einen lustvolleren Zugang zu ersetzen, kann der Songcontest durchaus eine brauchbare Plattform für relevante Musik werden. Klingt komisch, ist aber so—und mit ganz viel Glück dürfen wir dann nächstes Jahr auch endlich wieder jemanden dort sehen, der da auch hingehört und sonst ist es auch wurscht. Auch jetzt schon: 12 Punkte aus meim’ höchstpersönlichen Kabuff in Ottakring gehen hiermit an Bilderbuch und Wanda aus dem wunderbaren Kulturland Österreich.