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Der Tag, an dem man Radiohead nicht mehr nicht mögen durfte

Das hier geht raus an alle militanten Radiohead-Nazis: ich habe es satt mir von euch sagen zu lassen, dass Radiohead die beste Band der Welt ist!

Foto: FYTHOMYORKE

Kennt ihr ihn, diesen militanten Radiohead-Nazi? Bestimmt habt ihr auch so einen in eurem Freundeskreis, der bei jeder Diskussion zum Thema Musik wahlweise auf Thom Yorke als besten Sänger oder Jonny Greenwood als besten Gitarristen der Geschichte der Menschheit zu sprechen kommt. Wahrscheinlich bist du selbst sogar einer von diesen oder zumindest ein Mitläufer, der einfach zustimmt, dass Radiohead die größte Band überhaupt ist, weil all deine Freunde das propagieren.

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Ich gehöre nicht zu dieser eingeschworenen Gruppe und ich habe es verdammt nochmal satt mir immer sagen lassen zu müssen, dass Radiohead die beste Band der Welt ist. Jeder leiseste Kritikansatz wird sofort mit Bemutterungen à la: „Ach lass mal, das verstehst du noch nicht, irgendwann steigst du auch noch dahinter“ ruhiggestellt. Allein schon wegen dieser Aussagen habe ich gar keine Lust mir jeden einzelnen Radiohead-Schnipsel auf YouTube anzusehen, nur um gesellschaftsfähig zu bleiben. Diese kollektive Herabstufung der Nichtgläubigen nervt mich tierisch, genauso wie die stillschweigende Übereinkunft im Musikjournalismus, der zufolge bei jedem Album zwangsweise mindestens 10 von 10 Punkten vergeben werden müssen und am besten noch Fleißbienchen oben drauf.

So etwas macht mich misstrauisch und deshalb habe ich mich auf die Suche nach dem Tag gemacht, an dem es kulturell nicht mehr akzeptiert war, Radiohead nicht zu mögen. Denn irgendwann war scheinbar jeder von der Zombieapokalypse infiziert und wurde entweder von den Medien bekehrt oder ebendiesem verführerischen Radiohead-Adolf aus dem Freundeskreis. Doch welcher Tag war es genau?

21. September 1992: „Creep“—Die verhasste Debütsingle

Das erste öffentlich zugängliche Lebenszeichen Radioheads stammt aus dem Herbst 1992. Die Einstiegsdroge „Creep“ machte in England zunächst niemanden süchtig, kam dann jedoch über den Umweg Israel–Skandinavien–USA als ein schimpfwortbeseitigter und marktbeschleunigter Bumerang wieder zurück auf die Insel. Zu dem Zeitpunkt hatte die Band aber schon keinen Bock mehr, den Song überhaupt noch live zu spielen. Also was soll ich eigentlich von einem Song halten, von dem der Leadgitarrist selbst nie überzeugt war und den er versucht hat, willentlich mit hart dissonanten Gitarren-Geschrammel zu zerstören? Ach ja, das Harmoniegrundgerüst ist im Übrigen auch geklaut und zwar vom Song „The Air That I Breathe“ von Albert Hammond.

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25. Februar 1998: Der Grammy für OK Computer

Beim gemeinen Radiohead-Nazi lassen sich mehrere Unterarten unterscheiden. Es gibt diejenigen, die in weit entfernten Jahren, als israelische Radiostationen noch popkulturellen Einfluss besaßen, durch „Creep“ auf Thom Yorke und Co. aufmerksam wurden oder beispielsweise diejenigen, die aufgrund des Grammy-Awards 1998 für OK Computer angestiftet wurden. Das knapp 3 Millionen Mal verkaufte Album zeigte sich erstmals von der experimentellen Seite und distanzierte sich von dem zuvor assoziierten Britpop. Der Musikjournalismus war sich einig, 10 von 10 Punkten, wie auch schon beim Vorgängeralbum. Das waren die Zeiten, als bei Pitchfork noch halbwegs verständliche Reviews geschrieben wurden. Wenn eine Zeitung erst mal berichtete, dass das Album wahnsinnig kompliziert war und damit einzig folgerichtig ein künstlerisches Meisterwerk, dann durfte jede andere Zeitschrift die angedachten 6 von 10 Punkten nicht mehr vergeben. In diesem Moment hätte man nämlich zugegeben, dass man die Platte nicht verstanden hat.

2. Oktober 2000: Kid A und AmnesiacDie (versuchte) Abkehr vom Mainstream

Nach dem ersten Grammy-Erfolg kletterte Kid A in den USA als erstes britisches Album seit 1996, als Spice von den Spice Girls veröffentlicht wurde, auf Platz eins der amerikanischen Albumcharts—und das trotz einer intendierten Abkehr vom Mainstream, die sich unter anderem darin äußerte, dass man keine Interviews gab und weder Singles noch Videos im klassischen Sinne veröffentlichte. Jetzt willst du mir wahrscheinlich erzählen, dass sie sich voll auf ihre Musik konzentrieren wollten, um der perversen Musikindustrie den Rücken zuzukehren und mehr Ruhm/Geld nicht nötig hatten. Aber die haben euch ziemlich an der Nase herumgeführt—zumindest das Management. Aus der Position des kaum mehr zu toppenden Erfolgs heraus, muss man sich überlegen, wie man noch eine Schippe Kohlen ins Feuer legen kann. Von wegen Abkehr vom Mainstream und Kommerz—das war eine bis ins letzte Detail ausgefeilte Marketingstrategie, das gute alte Versteckspiel. Damals als noch nicht alles synchronisiert im Internet zur Verfügung stand, streute die Marketingagentur aufmerksamkeitsgenerierende Video-Schnipsel ins Abendprogramm der großen Fernsehanstalten, die sogenannten Blips. Die Journalisten hatten etwas Ungewöhnliches, über das sie sofort bereit waren zu schreiben und den Fans hast du das Gefühl gegeben, dass sie etwas Besonderes sind, wenn du sie zu exklusiven Listening-Partys eingeladen hast. Das ist Marketing in Perfektion. Da konnte man auch gleich noch die B-Seiten der Kid A-Sessions auf Amnesiac verwursten.

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10. Oktober 2007: In RainbowsDer Mittelfinger für die Musikindustrie

Gleiches Spiel fast exakt sieben Jahre später. In den Zeiten als die Musikindustrie am Boden lag und um den Gnadenschuss winselte, weil kein Mensch mehr Alben physisch im Laden erwarb, schickten sich Radiohead an, die weinerliche Industrie zu revolutionieren. Aber eben nur scheinbar, denn da die Band und Yorke von Filesharern bei den Vorgängeralben schon ins Bein geschossen wurde, überlegte man sich, wie man aus dem MP3-Geschäft noch irgendwie Profit schlagen kann und bot den Fans und noch zu bekehrenden Prä-Fans an, den Preis einfach selbst zu bestimmen. Gut, dass der sechs-albige EMI-Vertrag mit Hail To The Thief auch ausgelaufen war, so dass man das Album vom privilegierten Industrie-Thron aus ohne Label veröffentlichen konnte und somit gleich den geldfressenden Umweg der Distribution, Produktion und Promotion vorerst vermeiden konnte. Netter Zug, wenn man bedenkt, dass man faktisch nichts bezahlen musste. Aber auf diesem Level geht es nicht mehr nur um Geld, sondern auch darum, wie man seinen Standpunkt möglichst noch lange halten kann und sich nicht selbst blamiert. Mit solch pseudo-antikapitalistischen Aktionen konnte man die musikinteressierte Weltbevölkerung mit einem Album grundversorgen, das von der Presse allein schon aufgrund des Marketingspielchens als avantgardistisches Opus gefeiert wurde.

2. Oktober 2009: Experimente außerhalb RadioheadsAtoms For Peace

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Was macht man, wenn man mit seiner Band schon alles erreicht hat? Man gründet einfach noch mehr Bands, um sie auf den gleichen Status zu heben. So geschehen exakt neun Jahre nach der Veröffentlichung von Kid A, als Thom Yorke zum ersten Mal mit Flea und Nigel Godrich auf einer Bühne stand, um das Supergroup-Projekt Atoms For Peace ins Leben zu rufen. Aber da gibt es eine Sache, die mir am Konzept der Supergroups zutiefst widerspricht. Schon vor ihren ersten eigentlichen Leistungen sind sie bereits so berühmt, dass sie sofort als Headliner für das Glastonbury, Primavera oder Rock am Ring gebucht und verkauft werden. Jede beschissene Supergroup nimmt einer anderen tausend Mal ambitionierteren Band den Platz auf der Hauptbühne weg und dabei ist der neue Stoff meist nicht mal annähernd so gut, wie das, wofür man die Musiker lieben gelernt hat. Atoms For Peace sind da natürlich die Ausnahme. Wenn ich den Kommentaren zum ersten Auftritt dann lese: „Thom Yorke is actually my life“, dann erkenne ich darin genau diesen ignoranten Radiohead-Nazi, den ich auf jeder Party antreffe.

16. Februar 2011: „Lotus Flower“#thomdance

Netter Versuch, Radiohead—mit dem Video zu „Lotus Flower“ hättet ihr mich damals beinahe rumgekriegt. Es ist schon sehr sympathisch, wie Thom Yorke da wie ein Karpfen zappelt. Aber wenn ich mir die damals Trending Topic bei Twitter #thomdance ansehe, bekomme ich schon wieder Angst vor dieser egalitären Sekte, die zu diesem Zeitpunkt auch die letzten ungläubigen Mitläufer in den Bann gezogen hat. NAZIS!

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Und nun? Klar, ihr könnt jetzt denken ich bin ein ignorantes Arschloch, das sich nicht belehren lassen will, und damit hättet ihr vielleicht sogar recht, aber wenigstens erzähle ich nicht unreflektiert jedem, dass Radiohead meine absolute Lieblingsband ist, weil sie ja so verschrobene, intelligente Musik machen, die mich zutiefst berührt, nur weil alle meine Freunde das auch sagen. Versteht mich bitte nicht falsch, ich habe nichts gegen Radiohead—die Musik ist gut, da bin ich einverstanden. Auch die Marketingaktionen sind klug und haben ihre Daseinsberechtigung. Mich nerven nur dein Militarismus, das kollektive Einverständnis und die unreflektiert autoritäre Ehrfurcht.

Und nur noch eine Sache, wenn du es bis hier geschafft hast zu lesen, dann fang nicht wieder an Noisey zu verteufeln, und die komplette VICE gleich mit, weil da nur arrogante Meinungsmacher sitzen, die sich inhaltlich ja sowieso unter dem Bild-Niveau befinden—nein, die Radiohead-Vregötzung hat selbst Teile dieser Redaktion fest im Griff.

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