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Der Bar-DJ ist die traurigste und lästigste Figur im Nachtleben

Der Bar-DJ ist die Fruchtfliege der Clubkultur, ein Blinddarmdurchbruch im gastronomischen Organismus.

Foto: Flickr | George Kelley | CC-BY 2.0

Eine dunkle Ahnung schleicht sich in sein Bewusstsein: Die Besucher seines "Gigs" interessieren sich einen Scheißdreck für das ausgetüftelte Set, sondern möchten sich einfach nur in Ruhe unterhalten. Der Bar-DJ ist die Fruchtfliege der Clubkultur, ein Blinddarmdurchbruch im gastronomischen Organismus. Er stört. Aber wie konnte es zu dieser Fehlentwicklung in einer sonst so ausgewogenen und selbstorganisierten Kulturlandschaft kommen? Wie leben die possierlichen Lärm-Emittenten und welche Folgen hat die DJ-Plage für uns als Betroffene? Linus Volkmann hat Antworten gefunden:

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Schuld an allem sind—natürlich—die Neunziger. VIVA, Loveparade und Mayday brachten die Botschaft in die letzten Winkel der vereinigten Bundesrepublik: Als DJ bist du ein Star! Dass diese Aussage der eigentlichen Intention des Techno-Movements komplett entgegensteht … geschenkt. Im Mainstream angekommen, sieht ohnehin jede noch so geile Subkultur-Idee aus wie 100 Meter durch wässrigen Stuhl getaucht. Ehrensache.

Jedenfalls schwoll zusammen mit elektronischer Musik dereinst auch die Clubkultur an—was vor allem bedeutete: Es herrschte durch mehr Bühnen und noch mehr Events eine gesteigerte Nachfrage für den Selbstbehauptungsberuf DJ. Und so hörten die Verdammten dieser Republik die Signale und zwangen sich durch den sich gerade öffnenden Anus des Zeitgeists an die Technics. Doch auch die erhöhte Nachfrage wurde dem Freizeit-DJ-Boom nicht mehr gerecht. Tausende Trottel machten sich Flyer mit ihren dummen DJ-Namen (DJ Moonshine, DJ Tomorrow, DJ Smooth, DJ Lappen, …) und strömten in Ermangelung des begehrten 2-Uhr-morgens-Slots beim SonneMondSterne in die Bars.

Auch dort wollte man nämlich von Techno und seinen Folgen profitieren—ein halbkaputter Plattenspieler, eine schlechte Anlage,eine Nische vor dem Likörschrank machen es möglich: Spätestens seit den Nullern scheint kein Laden mit irgendeinem Szenebezug mehr ohne die Spezies "Bar-DJ" auszukommen. Der impulsgebende 90s-Technoboom mag Geschichte sein, der Bar-DJ indes lebt weiter—Musikrichtung egal. Nerds werden wohl auf ewig "auch mal auflegen" wollen und lassen sich keinesfalls bremsen von der Überwindung der Musik-Gegenständlichkeit. Also der Entwicklung hin zum Streaming.

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Foto: Flickr | Mahmut | CC-BY 2.0

Tja, und wer hat nicht diesen Monat in der Bar seines Vertrauens mal wieder ein Schmunzeln unterdrücken müssen, als ein geschäftiger Wicht mit Plattentasche in den fast leeren Laden hetzte und verbissen (als ob es was bedeuten würde) die Anlage checkte und seinen Krempel ausbreitete? Naja, das Schmunzeln hielt dabei natürlich nur so lange an, bis er sein Set so laut hochzog, dass man sich wieder anbrüllen musste.

Damit keine Missverständnisse aufkommen, in Clubs auf der Tanzfläche schreie ich gern meine Gegenüber an. ("GEILE MUCKE!", "JETZT MERK ICH AUCH WAS!!", "AUF KLO!!!"). Doch geht man in Bars, möchte man doch wirklich was anderes. Sicherlich mag es eine schöne Sneak-Preview darstellen, schon mal an seinem potenziellen One-Night-Stand zu riechen, während man ihm oder ihr aus kurzer Distanz ins Ohr brüllen muss. Gemeinhin kann man aber doch davon ausgehen, dass man beim Ausgehen und Freunde-in-Bars-treffen vornehmlich eins möchte: sich unterhalten.

Den Wunsch, Gespräche zu führen, versteht DJ Thekengesicht allerdings als Provokation oder gleich als Competition. Er legt lautstärkemäßig einfach noch was drauf. Eine Spirale der akustischen Gewalt—deren Verhältnismäßigkeit sich dabei ungefähr so darstellt, wie mit einem Pferd gegen einen Panzer anzukämpfen. Man sollte ihm sein Gehalt pfänden. Gehalt? Der durchschnittliche Satz für einen Bar-DJ sind 50 Euro—selten mehr, oft allerdings weniger bis gar nichts.

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Klar, DJ Bar nervt wie Fußpilz im Gesicht, aber es ist natürlich nicht so, als müsste er nicht auch viel einstecken… Oder bist du noch nie zum Pult getorkelt und hast versucht, die arme DJ-Wurst zu zwingen, um Mitternacht "Happy Birthday" zu spielen oder am besten gleich dein iPhone anzuschließen? Natürlich nur, weil du ihn mit deiner anderen Anfrage scheinbar überfordert hattest (DJ: "Nein, von Linkin Park habe ich leider heute nichts da"). Aber unpassende Musikwünsche sind nur der Schaum im Schwarzwasser des Auflegeprekariats. In seinen tinitusgeplagten Ohren klingen nachts im Bett häufig auch solche Sätze nach:

"Oops, jetzt ist mir mein Bier in deine Plattenkiste gefallen!",
"Wenn der Typ nicht gewollt hätte, dass ich ihm CDs klaue, hätte er ja einen anderen Beruf ergreifen können!"
"Ich nehm noch mal zwei Bier! Wie, du legst hier nur auf? Mir doch egal, ich krieg jetzt zwei Bier!!!"

Aber keine dieser Aussagen kann rechtfertigen, dass DJ Freedrink arglose Bargäste attackiert. Niemand hat obskuren White Noise oder die französische Version von "I will survive" in Festivallautstärke verdient, niemand. Bis heute hat sich keine gewaltfreie Lösung für dieses Problem gefunden. Rufst du beim Ordnungsamt an, bist du für immer der Snitch, der 31er—ein zu hoher Preis. Auch wütend in DJ-Richtung starren nützt leider überhaupt nichts, deshalb mein Appel:

Niemanden interessieren deine öden #hashtags… pardon, das ist ein anderes Thema, anderer Adressat… Also: Niemand interessiert sich für dein Set, DJ Bar! Du bist auch gar kein DJ, die Leuten lachen über dich—und zwar nicht erst, wenn du ihnen selbstkopierte Flyer für deinen "Gig" in Absturzladen XY aushändigst.

Bitte mach endlich Schluss, oder halt wenigstens leiser.

Dieser Artikel erschien zuerst bei den Kollegen von THUMP.

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