FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Die Leute sollten aufhören, Drake und Kendrick Lamar einen Beef anzudichten

Eigentlich sollten wir darüber sprechen, was es über HipHop sagt, dass ausgerechnet diese beiden das Genre momentan dominieren.

Hätten wir es längst ahnen müssen? Der internationale Musik-Journalismus ist offensichtlich auch nicht besser als rapupdate.de. Beinahe jedes relevante Medium schrieb in den letzten Tagen über einen angeblichen Beef zwischen den beiden momentan relevantesten Rappern unter 30. Der NME und auch unsere internationalen Kollegen taten sogar so, als wäre die öffentliche Fehde zwischen Drake und Kendrick ein Faktum und nicht nur eine Theorie, basierend auf einer nahe liegenden Textinterpretation.

Anzeige

Was wirklich passiert ist? Kendrick sagt auf Dr. Dres Compton Dinge, die von der Öffentlichkeit als Disses gewertet wurden. Zum einen: „But still I got enemies giving me energy I wanna fight now/ Subliminally sent to me all of this hate/ I thought I was holding the mic down". Zum anderen: „They liable to bury him, they nominated six to carry him/ They worrying him to death, but he's no vegetarian/ The beef is on his breath, inheriting the drama better than/ A great white, nigga, this is life in my aquarium.“ Drakes Name fällt da nirgendwo, dafür lässt sich in beiden Text-Ausschnitten einen Bezug zu Drake-Songs („Energy“ und „Started From The Bottom“) herstellen. So weit, so ungefähr. Als einziger Beweis für die Diss-These wurde das Jahr 2013 herangeführt. Damals zickte Drake Kendrick kurz an, nachdem dessen „Control“-Strophe veröffentlicht worden war. Auch hier folgten darauf nur ein paar Zeilen, auf denen beide scheinbar einander adressierten. Namen wurden nicht genannt.

Was Kendrick und Drake miteinander ausfechten, ist vermutlich eine eher bedeutungslose Rivalität zwischen zwei angehenden HipHop-Legenden. Ihren Weg beschreiten beide Künstler zielstrebig, auf beiden Seiten entsteht aufregende Musik. Beide sagen in ihren Texten Dinge, die etwas über die amerikanische Gesellschaft aussagen. Beide prägen außerdem den Musikgeschmack von Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Ihre Wege und Intentionen allerdings könnten kaum unterschiedlicher sein. Viel spannender als die Frage danach, wie wenig Kendrick und Drake sich nun gerade mögen, ist ohnehin, was es über die HipHop-Kultur aussagt, dass (neben den altbekannten Giganten) 2015 ein eher mittelständischer Ex-Sitcom-Schauspieler aus Toronto und ein Poet aus dem kalifornischen Ghetto den Diskurs über das Genre bestimmen?

Anzeige

Da steht auf der einen Seite Drake, den wir dafür lieben, dass er sich hier und da ziemlich trottelig verhält. Der vor ein paar Jahren verstanden hat, dass es etwas Gutes ist, wenn man Memes am laufenden Band produziert. Der manchmal unsäglich Selbstmitleidiges über sein katastrophales Verhältnis zur Frauenwelt sagt und seine Angreifbarkeit zu seiner größten Stärke gemacht hat. Jener Drake, der untergrundige Regionalphänomene schon mehrfach zu nationalen Stars gemacht hat und darüber hinaus ohne Unterlass kompromisslose und zugleich Pop-Chart-taugliche Musik veröffentlicht, die den hedonistischen Teil des Zeitgeists einfängt wie nichts sonst auf dem Markt.

Auf der anderen Seite steht Kendrick Lamar, der mit materialistischen Oberflächlichkeiten nichts am Hut haben will, kürzlich seine Jugendliebe geheiratet hat und in Interviews freimütig von seiner spirituellen Seite berichtet. Der auf Good Kid M.A.A.D. City explizite Kritik am Drogen-Konsum seiner Generation äußerte und in diesem Jahr den inoffiziellen Soundtrack zu den US-Protesten gegen Polizeigewalt und institutionellen Rassismus geschrieben hat. Der auf einen Mainstream-Rap-Blockbuster ein komplexes Opus folgen ließ, in desen D.N.A. der gesamten afroamerikanischen Musikgeschichte niedergeschrieben steht und sich selbst in der Verantwortung sieht, mit seinen Texten in den Köpfen seiner Hörer etwas zu bewegen, sowie die strukturellen Probleme der amerikanischen Gesellschaft so treffsicher einfängt wie kaum ein zweiter.

Anzeige

An diesem Punkt kommt nun das Ghostwriting ins Spiel. Drakes Beef mit Meek Mill entzündete sich bekanntlich an dem Vorwurf, Aubrey Graham würde seine Texte von Dritten schreiben lassen. Sagen wir es, wie es ist: Wenn heute bewiesen würde, dass der von Meek Mill als Ghostwriter genannte Quentin Miller ganze Texte für If You’re Reading This It’s Too Late geschrieben hat, dann ergäbe das für Drake ein handfestes Fiasko. Hat er wiederum, wie zur Zeit von vielen vermutet, nur einzelne Worter und Zeilen beigesteuert, dann wäre das nicht mal eine Überraschung, sondern ein weiteres Beispiel für eine Praxis, die im Mainstream-HipHop anno 2015 gang und gäbe ist. Für die Rezeption von Dr. Dres Compton spielt das Thema Autorschaft beispielsweise überhaupt keine Rolle, obwohl jeder weiß, dass Dres Musik schon lange zu relevanten Teilen eine Gemeinschaftsproduktion seiner Studio-Helfer ist. Auf seinen Alben fungiert er eher als Regisseur und Erzähler, der den beteiligten Darstellern eine Richtung vorgibt und den Hörer durch das Album leitet. Er ist der rote Faden, der das große Ganze zusammenhält.

Auch im Falle Drake juckte es den Großteil seiner Fanschar nicht sonderlich, als DJ Funkmaster Flex sogenannte Reference Tracks veröffentlichte, um diesen als Produkt seiner Ghostwriter bloßzustellen. Drizzys Strategie, auf die Ghostwriting-Vorwürfe überhaupt nicht zu reagieren und anstatt dessen zwei Diss-Tracks und einen Mini-Hit („Hotline Bling“) zu droppen, ging auf. Der durchschnittliche Drake-Fan möchte sich offensichtlich nicht mit der Frage nach Authenzität auseinandersetzen, sondern auf dem Weg zur Arbeit und beim Feiern seine Musik pumpen. Das ist verständlich, das Endergebnis stimmt bei Drake eben. Für HipHop fungiert diese Haltung als weiterer Beweis dafür, dass die Zeit, in der sich die Rap-Hörer naturgemäß auch für die Subkultur dahinter interessieren, der Vergangenheit angehört. Die modischen Insignien, der Sprachgebrauch und der musikalische Soundtrack des HipHop sind längst von der Mainstreamkultur absorbiert (vor allem in Amerika, in Ansätzen aber auch bereits in Deutschland). Selbst, wenn man diese Entwicklung nicht kulturpessimistisch betrachtet, kommt man nicht daran vorbei festzustellen, dass diese Entwicklung einen Wert in Frage stellt, der im HipHop lange eine große Rolle gespielt hat: die Wahrheit.

Anzeige

Wenn es egal ist, ob Drake, der von immer mehr Menschen als der aktuelle König des HipHop anerkannt wird, Ghostwriter benutzt oder nicht, dann müsste es prinzipell auch irrelevant sein, ob Tupac und Biggie selbiges getan haben. Das wiederum wäre aber keinesfalls egal. Selbstverständlich haben beide nicht alle Räuberpistolen erlebt, von denen sie in ihren Texten erzählen. Wer das persönliche Erleben als Gradmesser für die Wahrhaftigkeit eines Künstlers anlegte, der war schon immer ein kleinkarierter Idiot. Dennoch hängt die Wahrheit eng zusammen mit einer Form von Authentizität. Diese war und ist für HipHop deshalb so bedeutend, weil das Genre sich durch sie explizit von der Popmusik abhebt, in der es schon immer egal war, wer eigentlich die Texte geschrieben hat, solange die Musik gut klingt. In der Rapmusik hingegen war es immer wichtig, dass ein Künstler seine Sicht auf die Welt, seine Version der Realität aufschreibt und damit etwas Wahres über seine Zeit aussagt. Kendrick Lamar tut dies mit fanatischer Präzision und poetischer Qualität. So ist er eine der hörenswertesten Stimmen seiner Zeit geworden (und das weit über die Musik hinaus).

Drakes Wahrheit auf der anderen Seite ist momentan in Frage gestellt und dazu brauchte es nicht einmal Kendricks angebliche Disses. Trotz der Ghostwriting-Vorwürfe gegen ihn schreien Drizzys Fans im Internet lautstark: „Lang lebe der König!“ Der amerikanische Schreiber Kris Ex nutzte in einer ausführlichen Analyse der Meek Mill vs. Drake-Diskussion die Königs-Metapher, um zu erklären, warum wir weiter über die Ghostwriting-Vorwürfe sprechen sollten: „Die Diskussion darüber, ob Drake es wert ist, König genannt zu werden, sollte nicht verstummen, weil Tausende ‘Lang lebe der König’ schreien.“ Trägt „King" Drake vielleicht in Wahrheit keine Kleider und wir tun nur so, als wären sie einfach unsichtbar? Sollte das der Fall sein, ist er es dann überhaupt wert König genannt zu werden? Was erwarten wir überhaupt von unserem Souverän? Wollen wir vielleicht wirklich einen König, der uns wohlmöglich etwas vormacht, aber immerhin dafür sorgt, dass wir zufrieden und gut gelaunt bleiben? Oder ist am Ende der bessere König doch der, der sich für die Krone überhaupt nicht interessiert?

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.