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Ich war Hüttenchefin bei einem Wiener Christkindlmarkt und es war die Hölle

Punsch, Hot Dogs, Koks und Arschlöcher – Weihnachtsmarkt-Jobs in a nutshell.

Vor einigen Jahren zu genau dieser Zeit habe ich den beschissensten Job meines Lebens angetreten. Er war nicht nur beschissen, sondern die Jobversion von Der Exorzist mit einer leichten Brise Psycho und dem persistenten Nachgeschmack von The Game. Ich habe auf einem der größten Weihnachtsmärkte Wiens gearbeitet. Oder wie der traditionelle Österreicher es in seiner Kuscheltier-Version von Sprache gern nennt: auf einem Christkindlmarkt.

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Dieses Disneyland der Bauern (ihr wisst, dass ich damit nicht den äußerst respektablen Beruf des Landwirts meine, sondern den liebevollen Kosenamen für Menschen mit Dialekt-Hintergrund und Tendenz zu "bodenständiger Küche") verstehe ich selbst nach den ein anderthalb Monaten nicht, die ich dort verbracht habe – um genau zu sein verstehe ich sie jetzt sogar noch weniger. Wie man sich eine halbe Stunde anstellen kann, nur um einen nicht mit Liebe zubereiteten Hot Dog zu bekommen, ist mir ein Rätsel. Wer stellt sich für eine Wurst an, die so unter Stress in Brot gestopft wurde, dass sie beinah wieder zum Leben erwacht?

Foto via Flickr | Wolfgang | CC BY-ND 2.0

Aber versuchen wir mal ein bisschen Struktur in mein "Alpenteuer" zu bekommen. Ja, das Alpenteuer ist die österreichische Version eines Albtraums, der viele unbekannte und furchtbare Komponenten beinhaltet. Wie ich zu dem Wahnsinn kam, ist recht einfach. Eine Freundin hat mich mit den Worten "Magst mal durch die Hölle gehen? Der Teufel sucht noch Leute" zu einer Firma gebracht, auf die ich nicht näher eingehen werde. Damit ihr euch ein Bild machen könnt, kann ich aber so viel erzählen: Die Chefs sahen ihre Mitarbeiter nicht als Menschen, sondern als Geldquelle und auf Fragen reagierten sie generell nur süffisant und abweisend. Nach zwei Wochen, die wir schon auf dem Weihnachtsmarkt gearbeitet hatten, fehlte einmal Geld. Entweder hatte einer von 14 Menschen Geld gestohlen, wir hatten Geld verloren (was im Stress passieren kann) oder in der Abrechnung war ein Fehler. Von all den Optionen konnte es deren Ansicht nach nur eine sein. Das einzige Mädchen mit migrantischem Hintergrund hatte ihrer Meinung nach die paar Euro gestohlen. Sie haben sie rausgeschmissen, ohne einen Beweis auf ihren Verdacht zu haben. Aber die "Ausländerin" hat ihnen sowieso von Anfang an nicht gepasst, wie einer von ihnen meinte. Ja, so waren die drauf.

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Der Stundenlohn war von Anfang an schlecht,, aber man konnte recht viel Geld in recht kurzer Zeit verdienen. Generell war es mehr eine Ausbeutung von Arbeitskräften, die sich als lukratives "anderthalb Monate durchziehen und danach bist du reicher als sonst" verkaufte. Aber seien wir mal ehrlich: Es gibt Phasen im Leben eines Studenten, in denen man vor lauter Geldnot nicht klar denken kann.

Foto via Flickr | weisserstier | CC BY 2.0

Ich habe nicht nur am Weihnachtmarkt gearbeitet, sondern war sogar "Hüttenchefin" – lacht nur, ich habe auch so lange darüber gelacht, bis es mir verging. Genauer bedeutete "Hüttenchefin", dass ich gemeinsam mit einem anderen Mädchen für den gesamten Laden verantwortlich war. Dafür, zwölf Mitarbeiter gezielt einzuteilen; zu kalkulieren, wie viel Punsch, Bier und Softdrinks für den Tag und für die nächsten Tage gebraucht werden; und am wichtigsten: für Unmengen an Geld und die Auszahlung der Mitarbeiter. Bei unserer Hütte bekam man auch Hot Dogs zu Essen. "Hot Dogs" ist übrigens ein Wort, das für mich auf der Liste "Unwort meines Lebens" steht.

Sechs Tage mussten wir durcharbeiten, dann hatten wir meist montags frei oder konnten später rein. An diesen rund 56 Tagen hat mein Alltag so ausgesehen: Vom letzten Arbeitstag noch endlos erschöpft, schnallte ich mich in meine Michelin-Männchen-Lookalike-Winterkluft (danke Mama für den 10er Pack Thermoleggins), weinte eine Straßenbahnfahrt lang und machte mich nach der Ankunft im Höllendorf als erstes daran, die Öfen aufheizen und ungefähr zehn Säcke Hot Dog-Brot vom Eiscontainer zu holen. Draußen hatte es Minusgrade und da drinnen noch mehr Minusgrade. Mit den Säcken voller Brot-Prügel hat man sich dann zurück zur Hütte geschliffen, während einem die Hände froren und man sich den Tod gewünscht hat, wo dann schon die Wurstlieferung wartete, die überprüft werden musste. Die hatte man irgendwie in der viel zu kleinen Hütte so unterbringen müssen, dass man nicht auf Wurst-Packungen stehend Punsch ausschenkt. Ich wünschte, damals hätte man schon in den Medien lesen können, das Wurst krebserregend ist.

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Zwei Herdplatten wurden mit Unmengen an Öl geflutet, die gefüllten Schweinedärme wurden draufgeschmissen, dass es nur so spritzte und bevor wir an einer Rauchvergiftung starben, haben wir die Hütte respektive Räucherkammer geöffnet. Und dann ging der Wahnsinn los. Da wir einen ziemlich guten Platz hatten, waren wir der erste Anlaufpunkt für Menschen mit zu viel Leben und Touristen, die busweise und in Scharen und gierig wie ein steifer Penis auf eine feuchte Mumu auf uns zu liefen. Es waren fast post-apokalyptische Szenarien: Als ob du der letzte Ort bist, an dem die Menschen etwas zu Essen bekommen. Ernsthaft: Was ist los mit euch? Habt ihr damals zu wenig Muttermilch gezapft, dass ihr heute nach gebratenem, verrußten Fett giert?

Nun in erster Linie mussten wir darauf achten, dass niemand von unseren Mitarbeitern Geld einsteckt, das ihm nicht gehört, sich also selbst ein bisschen (Be-)Trinkgeld oder in diesem speziellen Fall Entschädigung oder Schmerzensgeld verschafft, dass jeder seinen Job unter diesen widrigen Umständen ordentlich macht und schauen, dass wir nicht verbrennen und auch selbst Punsch ausschenken oder die Würstchen davor zu retten, Briketts zu werden.

Nun habe ich einleitend ja schon von den Chefs mit der fehlenden Empathie erzählt. So etwas wie deren Geldgier habe ich vor diesem Weihnachtsmarkt und danach nicht erlebt. Der eine von denen saß den ganzen Tag in seinem geheizten Container-Büro und hatte eine Geldzählmaschine auf dem Tisch stehen. Wenn du mit dem Geld des Tages reingekommen bist, haben seine Augen derart zu leuchten begonnen, als wärst du das Neugeborene, an das niemand mehr geglaubt hat. Wegen solchen Menschen gibt es in Comics die Dollarzeichen in den Augen.

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Neben Geld zählen haben die Herren auch Kontrollspaziergänge gemacht, ob man eh nicht zu viel Punsch ausschenkt und eh niemand Pause macht. Wenn du sechs Tage die Woche von 08:30 Uhr bis Mitternacht arbeitest, schaust du irgendwann nicht mehr allzu frisch aus. Eines Tages kam einer der Chefs zu mir – es muss über einen Monat nach Beginn des Marktes gewesen sein – und meinte, dass ich nicht so fit und erschreckend blass aussehe, und mir deshalb ein bisschen Rouge auftragen sollte. Dass ich kurz vor dem Zusammenbruch war, hat ihn nicht interessiert, aber dass die Kunden mir ansehen, dass es mir nicht gut geht, sehr wohl. Wie nennt man diese Sorte Mensch nochmal?

Jedenfalls: An diesem Tag ist mir auch mein neues iPhone ins Klo gefallen. Neben dem Chef, der Kälte und und den Touristen war außerdem der Gestank kaum auszuhalten. Das Fett hat sich in jede Faser meiner Fünf-Schichten-Kleidung gefressen. Man roch mich im wahrsten Sinne des Wortes aus hundert Metern Entfernung. Die Waschmaschine und die Febreeze-Maßnahmen haben nichts geholfen. Nach dieser Zeit habe ich mein Gewand wegschmeißen und wieder lernen müssen, ohne entschuldigenden Blick in der Bim zu sitzen.

Wenn du dabei erwischst wurdest, zu viel Punsch auszuschenken, musstest du mit einer Belehrung rechnen, die viel mit "Verlust", "von deinem Verdienst zahlen" und "gebt halt mehr Beeren rein" zu tun hatten. Und auf der anderen Seite der Theke hast zu Menschen, die dich auf Russisch beschimpfen, auf den Boden spucken und von Betrug reden, obwohl kein Milimeter zu wenig drinnen war. Ach, Kapitalismus.

Besucher eines Weihnachtsmarktes sind auch sonst nicht einfach: "Ich hätte aber lieber ein grünes Häferl als ein lilanes." "Grüne haben wir leider im Moment nicht, tut mir leid." "Der da drüben vor dem Maronistand hat aber ein GRÜNES HÄFERL!" "Welche Geschäfte Sie aufgrund eines Häflerls mit anderen Weihnachtsmarkt-Besuchern machen, ist mir egal." "Sie Trampel."

Dass es keinen Punsch mehr gibt, weil der Stand eigentlich schon seit zehn Minuten zu hatte, war für viele auch unbegreiflich. Oder, dass sie ihr Häferl nicht zurückgeben konnten, wenn wir schon mit der Abrechnung fertig waren, die Hütte seit einer Stunde verriegelt war und wir aus dem Loch in die Nacht krochen. Das einzig positive bei diesem Weihnachtsmarkt waren drei Mitarbeiter, der Typ, der immer Koks mitbrachte und der Typ, der uns manchmal kalte Potato Wedges brachte, weil die niemand mehr wollte.

Ich bin mir sicher, dass es da draußen kleine, liebevoll geführte Weihnachtsmärkte gibt. Aber der, auf dem ich gearbeitet habe, war ein Werk geldgeiler Wichser. Natürlich hatten wir uns Spaß, weil wir uns den machten, aber wenn ich etwas in meinem Leben missen möchte, dann diese eineinhalb Monate verschwendeter Lebenszeit. Es hat nicht mal besondere Freude gemacht, das verdiente Geld auszugeben – das sagt vermutlich einiges über die Beschissenheit dieses Jobs aus.

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