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Interviews

Deathcore ist tot, es lebe der Pop—Bring Me The Horizon im Interview

In intimer Befragung reagieren die Ex-Deathcorer erstaunlich gefasst, als wir ihnen durch die Blume Begriffe wie Kommerzialisierung an den Kopf werfen.

Wie stark darf eine Metalband mit dem Feindbild Pop liebäugeln? Eine knifflige Fragestellung. Würden trve Deicide-Todestrupps plötzlich elektronische Guetta-Tunes in ihrem heißgeliebten Death Metal finden wollen wie die Fleischfliege in der veganen Karotten-Ingwer-Suppe? Wohl eher nicht. Metalheads lieben es, in einer Ecke der Gesellschaft zu leben. Müssen sie jetzt ihren wohlbehüteten Schatz mit dem Radiohörer aus dem Schrebergarten teilen? Bring Me The Horizon sind mutig genug, dieses Wagnis einzugehen. Damals konnten sie mit Deathcore-Sturmfronten wie „Pray For Plaques“ auf ihrem Debüt Count Your Blessings noch Oma aus dem Ohrensessel katapultieren, jetzt wippt Gisela fröhlich mit, wenn im Radio BMTHs „Happy Song“ läuft. Und auf Facebook wird ihre neuste Single „Throne“ von einigen als „schlechtester Linkin Park-Song ever“ verprellt; andere mahnen dazu, die eigene Einstellung gegenüber Veränderungen zu überdenken.

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Es ist ja auch nicht alles schlecht auf ihrem neuen Album That's The Spirit, nur eben anders. Aber warum überhaupt? Warum grenzen sich Bring Me The Horizon so vehement von ihren Szene-wegweisenden Ursprüngen ab und öffnen sich ganz nonchalant der breiten Masse? In intimer Befragung reagieren die Songschreiber Jordan Fish und Lee Malia erstaunlich gefasst, als ihnen durch die Blume Begriffe wie Kommerzialisierung an den Kopf geworfen werden.

Noisey: Ihr wurdet mit mehr Genres klassifiziert als ihr überhaupt Alben geschrieben habt. Wie fühlt ihr euch damit?
Jordan: Cool! Wir werden als Band noch immer gemocht, obwohl wir uns von Zeit zu Zeit ändern. Das ist sehr ungewöhnlich, nicht viele Bands kriegen das hin und können dabei auf eine treue oder sogar noch größere Fanbase zählen.

Euer Sänger Oli Sykes hört viel Ambient oder Electronica wie AlunaGeorge. Was hört ihr?
Viel Popmusik, Electro. Wir hören nicht so viel Rock, höchstens vielleicht das Oldschool-Zeug, das wir gehört haben, als wir 15 Jahre alt waren—Nu Metal, mit dem wir alle aufgewachsen sind. Auf jedem Festival, wo wir und Limp Bizkit spielen, schauen wir bei ihnen vorbei.

Also stimmt das, was man über euch sagt: Ihr seid keine typischen Metalheads?
Ja, definitiv.
Lee: Ich war früher voll der Metallica-Fan, mochte auch Papa Roach.
Jordan: Wir lieben Papa Roch immer noch. Sie sind tolle Dudes.

Was denkt ihr neuerdings von der Deathcore-Szene?
Lee: Da habe ich keine Meinung drüber.
Jordan: Wer zählt dazu?
Lee: Ich schätze Attila?
Jordan: Nee, oder? Die sind mehr Party-Metalcore.

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Suicide Silence sind die Spitze der Szene, Carnifex…
Jordan: Wer? Ich denke nicht über Deathcore nach, weil wir nicht dazu zählen. Wir hören es ja auch gar nicht.

Stehen heute noch viele Deathcore-Kids in eurem Publikum?
Jordan: Schwer zu sagen, ich glaube nicht mehr so viele. Ich finde auch, das Genre-Ding an sich ist nicht mehr so wichtig. Es gibt nicht mehr DIE typischen Deathcore- oder Hip-Hop-Kids. Menschen haben heute generell einen breiteren Geschmack, weil es das Internet, Spotify und YouTube gibt. Vielleicht liege ich falsch, aber so ist mein Eindruck. Kids können gleichzeitig Twentyone.Pilots hören—was für mich dummes Reggae-Zeug ist—und auch Metalcore-Bands wie uns.

[Aha, das Rätselraten hat ein Ende, Jordan verrät selbst die Genre-Klassifizierung für BMTH.]

Jordan: Als wir jünger waren, hat man vielleicht Hip-Hop gut gefunden, dann aber nicht Nu Metal. Da gab es weniger Crossover-Geschmäcker. Heute kannst du am Line-up und den Fans vom Reading Festival sehen, dass die Kids, die uns sehen, auch Kendrick Lamar angucken. Das garantiere ich dir. Es ist eine seltsame, aber gute Zeit für Musik.

Haben euch gewaltige Shows wie die in der Londoner Wembley Arena dazu animiert, massentauglicher zu werden?
Jordan: Nein, die Band ist nur nicht mehr so wütend wie noch vor zehn oder selbst zwei Jahren. Ich glaube Wembley hätte nicht geklappt, wenn es nicht Sempiternal und „Drown“ gegeben hätte. Wembley kam infolge von „Drown“.
Lee: Definitiv. Das war unser sanftester Song bis dato und hat dementsprechend mehr Leute angezogen.
Jordan: Wenn du uns heute sagen würdest, wir würden mit einem Deathcore-Album die größte Band der Welt werden, dann würden wir es nicht machen. Es geht nicht darum, eine größere Band mit mehr Fans zu werden. Wir haben genug Fans.
Lee: Ich meine, wir könnten ein Pop-Album schreiben, wenn wir wollten.
Jordan: Wir wollen aber ein originelles Album schreiben, das uns in Ekstase bringt.

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Verrückt, dass ihr jetzt innerhalb eines Konzerts eine riesige Spannbreite von Deathcore bis zu poppigem Rock spielen könnt.
Jordan: Das ist das Schwierige, wenn wir eine Setlist schreiben. Und es funktioniert noch.
Lee: Bei Wembley hat’s funktioniert, weil das ein Nostalgie-Gig war, unser zehnjähriges Jubiläum.
Jordan: Heute sind die ganz alten Tracks schwierig live umzusetzen. Vor allem für mich, weil ich nichts zu tun hätte. Und ich will das auch nicht, will keine Synths über die alten Songs legen. Das fühlt sich für mich nicht richtig an. In Wembley bin ich dann einfach von der Bühne gegangen.

Wie haltet ihr das dann in Zukunft? Schmeißt ihr die alten Stücke raus?
Lee: Yeah, also mh. Da gibt es keine Regeln. Wenn wir etwas von Count Your Blessings spielen, dann hat das seinen Grund.
Jordan: Im Moment denke ich nicht, dass wir das als Band wollen.
Lee: Wir sind nicht wie Metallica, wo jeder Ride The Lightning hören will oder Kill 'Em All. Es ist nicht so, dass unser bestes Material das erste ist. Ich finde, auf Count Your Blessings ist unser schwächstes Material. Aber als wir jung waren, war es cool. Unser bestes Material ist das neue und die Kids wollen das hören.

Metallica haben ja Shows by Request zusammengestellt, also die Fans nach der Setlist gefragt. Steht euch das auch bevor?
Jordan: In zehn Jahren vielleicht, ja. Dann sind wir abgefuckte, alte Männer, ich bin dann 40.

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Auf eurer Facebook-Seite wird heftig debattiert, warum ihr nicht euren Bandnamen wechselt.
Jordan: Das ist das Internet. YouTube und Facebook geben dir eine verdrehte Sichtweise der Realität. Die Realität ist, dass wir eine größere und erfolgreichere Band als je zuvor sind. Wenn wir den Ratschlägen auf Facebook folgen würden, die uns auffordern, eine neue Count Your Blessings zu schreiben, bin ich mir sicher, unsere Karriere wäre innerhalb von einem Jahr vorbei. Erstens würde keiner mehr die Band mögen und zweitens wären wir nicht glücklich.

Warum singt Sykes neuerdings nur noch?
Jordan: Weil er das will?
Lee: Weil es cool klingt. Wir alle wollen das.

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Bei den Kerrang! Awards 2013 sagte er, nach seiner Drogensucht würde er nur noch singen wollen. Ist das der Grund?
Jordan: Ich weiß nicht, ich schätze schon. Wenn wir schreiben, fühlt er sich meist mehr zum Singen hingezogen. Da gibt es aber keinen vorgefertigten Plan. Solange es zum Song passt…

Wie ist der Oli heute im Vergleich zu dem drogensüchtigen Oli vor eurem letzten Album Sempiternal?
Jordan: Sehr anders, oder? Weil er nicht auf Drogen ist. Seit ich ihn aber kenne, steht er auf der gleichen Seite wie jeder andere von uns.
Lee: Seit wir an Sempiternal gearbeitet haben, ist alles gut, komplett normal. Jeder in seinen Zwanzigern macht einiges durch.
Jordan: Vor allem als Sänger einer berühmten Band.
Lee: Er hatte dieselben Probleme wie jeder andere in diesem Alter. Dann noch das Rampenlicht.

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Was hat Ketamin bei ihm bewirkt?
Lee: Keine Ahnung, darum habe ich mich nie gekümmert.
Jordan: Er war süchtig nach Drogen, also mochte er wohl das Gefühl. Bis er zum Problem wurde.

Hat er der Band auf Shows Probleme bereitet?
Jordan: Live allgemein.
Lee: Wenn du Gigs spielst, deine Freunde auf Drogen sind und damit auch noch ein Problem haben, dann wirkt sich das auf alles andere aus.
Jordan: Jegliche Droge, auch Alkohol oder Zigaretten, wirken sich, wenn du sie oft nimmst, auf dich aus.

Mit euren schrill-bunten Merchandise-Artikeln habt ihr die Szene Stil-technisch zu der gemacht, die sie heute ist.
Jordan: Oli war das, ja. Er hat damit angefangen. Wir haben jetzt unsere eigene Modemarke „Horizon“.
Lee: Unser eigenes Merch. Der Band gehört das, wir machen die Klamotten selber.

Wenn ich euch als Band mit der Klassifikation „Stil über Substanz“ konfrontieren würde, was würdet ihr sagen?
Jordan: Verpiss dich!
Lee: Vice und Noisey machen viele Feature über Trash Talk, und die haben ihre eigenen Klamottenläden in L.A. Vice liebt sie. Also wo ist der Unterschied?
Jordan: Wir haben Substanz, vielleicht nicht unbedingt am Anfang. Aber wenn uns Leute deswegen nicht leiden können, dann ist das eben so.
Lee: Allzumal finde ich uns nicht besonders stylish.
Jordan: Wir machen nur ein paar T-Shirts, das ist alles.
Lee: Macht das nicht jede andere Band auch?
Jordan: Der einzige Unterschied ist: Wir machen sie selbst, statt irgendjemand anderem Geld zu geben, beschissene anzufertigen.

Ihr schreibt die Songs zusammen, habt euer eigenes Merchandise - seid ihr eine demokratische Band ohne Boss?
Jordan: Definitiv. Es gibt keinen Boss, jeder hat aber seine Rolle. Oli übernimmt mehr die kreativen Aufgaben, ist aber nicht wirklich am physischen Songwriting der Musik beteiligt, weil er kein Instrument beherrscht.
Lee: Dafür hat er eine großartige Vorstellungskraft.
Jordan: Er weiß, womit sich Leute identifizieren und verbinden können. Wenn es also so etwas wie einen Chef in der Band geben würde, dann wäre das Oli. Aber das würde er nie heraushängen lassen. Wenn wir mit etwas nicht einverstanden sind, würde er dem nicht widersprechen. Es fühlt sich also sehr demokratisch an.

That's The Spirit erscheint am 11. September. Du kannst es bei Amazon und iTunes vorbestellen.

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