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Was bedeutet der Brexit für unsere Musikwelt?

Jeder von uns zahlt beim Brexit drauf.

Screenshot via Youtube

Da haben wir also den Salat. Großbritannien und EU, das ewig streitende Ehepaar, ist nicht mehr. Aus, vorbei. Abgesehen von den politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen, die schon schwerwiegend genug sind, könnte es uns ja egal sein. Wenn wir nur nicht so viel Musik aus dem Vereinigten Königreich konsumieren würden. Ohne Radiohead hätten wir uns nicht in unseren jugendlichen Schlaf geweint und ohne ein fulminantes Iron Maiden-Konzert könnten wir uns nicht für unsere Metal-Vergangenheit schämen.

Gut, der Brexit hindert uns nicht daran, weiterhin britische Musik, in welcher Form auch immer, zu hören. Im Worst Case könnten uns Musikliebhabern neue Steuern, eingeschränkte Reisefreiheit und unnötige Bürokratie doch empfindlicher treffen, als wir und auch die Briten selbst das eingeschätzt haben.

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Stell dir vor, du willst nach London und es herrscht Visumpflicht

The next James Bond will just be him spending 2 hours in passport control at De Gaulle

— Bobby Big Wheel (@BobbyBigWheel) 23. Juni 2016

Ich bin selbst Promoter für Clubveranstaltungen in Wien und habe in den letzten zwei Jahren fast ausschließlich Techno- und Bass-Acts aus dem UK gebucht. Die Kosten waren schon zu EU-Zeiten überdurchschnittlich hoch. Britischen Booking-Agenturen ist oft nicht ganz bewusst, dass sie nicht die selben hohen Gagen am Festland verlangen können, wie in der Heimat—vor allem nicht in Österreich. Die hohen Flugkosten—vor allem aus Schottland—haben dann ihr Übriges für die Gesamtkosten getan.

Ein langer Atem beim Verhandeln war hier gefragt. Es ist hin und wieder auch vorgekommen, dass mir britische Agenten dabei den virtuellen Vogel gezeigt haben, weil sie meine Break-Evens überhaupt nicht nachvollziehen konnten. Im schlechtesten Fall musste ich die Verhandlungen zähneknirschend abbrechen. Das Ganze könnte jetzt noch schlimmer werden.

Wenn Großbritannien die EU verlässt, könnte es eine komplizierte Visumpflicht für uns als Musik-Touristen, aber auch für Musiker und DJs aus beiden Seiten geben. Was bedeutet das für uns Konzert- und Clubgeher? Visa zu besorgen, kann mühselig sein. Sowohl finanziell, als auch zeittechnisch. Für Promotoren ist das ein zusätzlicher Mehraufwand.

Ein Schengenvisum setzt voraus, ausreichende Finanzen darzulegen, beziehungsweise einen Bürgen zu organisieren. Für große Acts sicherlich kein Problem, jedoch sieht das bei Nachwuchskünstlern wieder anders aus. Einen relativ unbekannten britischen DJ in einen österreichischen Club reinzustellen, wird dadurch wesentlich schwieriger. Um die Vielfalt in unseren Clubs und Konzerthallen würde es im schlechtesten Falle nicht gut stehen.

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Du musst zahlen, ob du willst oder nicht

Über die EU-Grenze zu schreiten, bedeutet: Du musst zahlen. Und zwar wenn du zollpflichtige Güter mitnimmst. Das könnte im Falle von Brexit selbst für deine gekauften Platten gelten. Für Musiker könnte das bedeuten, dass sie ihre mitgebrachten Instrumente oder Platten verzollen müssen, was sich wiederum auf die Kosten und somit auf deine Konzertkarte oder deinen Club-Eintritt schlägt.

Vinylliebhaber, die gerne Platten in Shops innerhalb des Festlandes kaufen, könnten aber sogar weitgehend verschont bleiben. Die meisten Presswerke befinden sich am Festland und selbst britische Labels lassen dort ihre Platten pressen. In dem Fall würde es wohl eher die britischen Musikhörer und Stores treffen, als uns.

Als Musiktourist musst du auf Großbritannien vielleicht verzichten

Neben den Einreiseschwierigkeiten könnte dein Festivalerlebnis geschmälert werden, wenn du so großartige britische Festivals wie das Born & Bred oder das Wildlife besuchen willst. Die höheren Kosten für Acts vom Festland könnten sich auf die ohnehin schon relativ teuren britischen Ticketpreise schlagen. Oder einfach nur das LineUp wesentlich uninteressanter machen, indem die Veranstalter auf Acts vom Festland eher verzichten. Andererseits nehmen dann vielleicht die betrunkenen Briten auf den heimischen Festivals ab? Das wäre eigentlich das einzig Positive an der Sache.

Deiner Lieblingsband nachzureisen, könnte ebenfalls bald außer Frage stehen. Veranstaltungsorte wie das Village Underground in London sind von EU-Förderungen abhängig und können sich nur so Bookings von unbekannten Acts, wie beispielsweise die österreichische Band Eugene The Cat, im Mai dieses Jahres leisten.

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Der britische Markt ist sowieso schon kein einfaches Pflaster gewesen. Hannes Tschürtz von Ink Music hat da schon seine eigenen Erfahrungen gemacht: "Der dortige Markt ist extrem schwierig, unfassbar kompetitiv, sehr undankbar und in Wahrheit noch nie 'europäisch' gewesen, wenn es um Hospitality, Gagen, Versicherungen und dergleichen geht." Mit dem Austritt aus der EU würden Bookings von heimischen Nachwuchsacts nach Großbritannien noch unrealistischer werden.

EU referendum by age group — 75% of voters aged 24 and under voted against Brexit https://t.co/eQci0vNffx pic.twitter.com/UADq1NaL8v

— POLITICO Europe (@POLITICOEurope) 24. Juni 2016

So weit, so schlecht. Das Ganze ist natürlich nur ein Worst-Case-Szenario. Was genau der Brexit für uns Musikkonsumenten bedeutet, das ist weiterhin noch sehr unklar.

Robert Rotifer von FM4, der in London lebt, bezeichnet die Stimmung britischer Musiker von panisch, verzweifelt bis schockerstarrt: "In den Achtzigern war Großbritanniens Pop-Szene die Geisel einer relativen Mehrheit, die dreimal hintereinander Margaret Thatcher wählte. Das war furchtbar für das soziale Klima im Land. Aber dieser scharfe Wind brachte als Gegenreaktion auch ziemlich guten politischen Pop hervor. Kann gut sein, dass das wiederkommt, wir haben ja bereits Anzeichen dafür wie zum Beispiel die Popularität der Fat White Family."

Die Rechnung wurde also definitiv ohne der Musikwirtschaft und den jungen Briten, die mehrheitlich gegen einen Brexit waren, gemacht. Dass über 40er, die von ihren alten Elton John und Bon Jovi-Platten leben, über die Entwicklung von zeitgenössischer Kunst und Kultur entscheiden, ist einfach bitter.

Hannes Tschürtz sieht die Lage trotz großer Enttäuschung etwas gelassener: "Ich gehe davon aus, dass es viele bilaterale Abkommen geben wird, aber bis diese in Kraft sind und verstanden und angewandt werden, kann noch sehr viel Zeit vergehen. In der Zwischenzeit wird’s zunächst einmal teurer werden, diesen Mehraufwand zu bezahlen."

Wenn du in Zukunft also möglicherweise mehr für dein Konzert-Ticket von deiner britischen Lieblingsband zahlen musst oder dich über den ganzen Visashit bei deinem Londonbesuch ärgern musst, denke daran, bei einem möglichen Referendum hierzulande für den Verbleib in der EU zu stimmen. Sie ist nicht so schlecht, wie manche Mitmenschen behaupten.

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