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Wie es ist, wenn die Lust aufs Ausgehen langsam verschwindet

Irgendwann muss man sich eingestehen, dass man zu alt für den Club ist.

Der erste Rausch bleibt einem ähnlich in Erinnerung wie der erste Kuss. Diese zwei Erfahrungen haben meist auch etwas gemeinsam: Beide gehen in der Regel eher ungünstig aus. Zu viel Zunge, zu viel Bier—Übermut ist ein Schwein, das über die wichtigsten ersten Male trampelt. Auch mein erster Kuss war mehr eine Persiflage als ein ernstzunehmender, liebevoller Akt und mein erster Rausch endete unsanft auf dem Boden einer dunklen Bar, die sich Barfly nannte und in der ich ironischer Weise an dem Abend auch ein Buch von Bukowski verloren hatte.

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Auf diesen Abend folgten nun die ersten Begegnungen mit der Nacht. Man lernte, mit ihr umzugehen (das ist vermutlich eine Lüge) und Übungsschmusen war ja quasi inklusive. Zuerst ging man noch einmal die Woche aus, dann zwei Mal, dann schon mal auch donnerstags und irgendwann ist man groß genug, um zu entscheiden, ob man unbedingt mit Kater im Unterricht sitzen möchte. Man möchte.

Foto von der Autorin

In anfänglicher Euphorie, gepaart mit einer Prise FOMO nimmt man, was man bekommen kann, es gibt kein „zu viel“, kein „zu lange“ und generell kein „zu“ außer dem zu sein. Bis zum Sonnenaufgang durch Clubs und/oder Lokale zu ziehen, war mehr Regel als Ausnahme—sofern es die Infrastruktur zugelassen hat. Man war jung und durfte endlich in diese mysteriöse Welt eintauchen, von der man schon so viel gehört hat. Man lernte neue Menschen, vielleicht sogar Freunde, kennen, vielleicht die erste Liebe, man hat sich den Finger in den Hals gesteckt, um Herr seines unkontrollierten Alkoholkonsums zu werden und um länger aus bleiben zu können. Irgendwann hatte man dann den ersten „Emotionalen“, hat am Boden gehockt und war das traurigste Wesen der Welt. Man wurde das erste Mal rausgeschmissen, das erste Mal nicht in einen Club gelassen und wurde ermahnt, dass der Boden kein Aschenbecher ist.

All das sind Situationen, die wahrscheinlich den meisten von uns passiert sind. Nach all diesen erstmaligen Erfahrungen haben sich gewisse Dinge wiederholt und in das Ausgehen eingespeist oder man wurde klüger. En général braucht es aber einige Male Exzess, um diese Ausgeh-Jungfräulichkeit abzulegen und sich eine gewisse Adoleszenz anzueignen. Irgendwann beherrscht man das Game, betrinkt sich nicht mehr bis zur Ohnmacht und kotzt nicht mehr aus dem Taxi in die Nacht hinein. Man lernt seinen Körper kennen, weiß, wie viel geht und wann es an der Zeit ist, die Segel zu streichen. Nach der Matura packt man seine Koffer und begeht Landflucht. In der Stadt verliert man das harte wie-ich-ausgehen-kann-Training wieder für eine kurze Zeit, weil holy shit, time of my life und so. Nach einer Phase der Zügellosigkeit legt sich auch dieser Eskapismus vor der Anpassung wieder.

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Aufgeben will man diese Begegnungen mit der Nacht und mit dem ewigen Test nach „wie viel geht noch“ dann doch nicht. Wenn das Studium dann abgebrochen wurde, weil Philosophie sowieso für den Arsch ist oder man es sogar trotzdem fertig gemacht hat und der Einzug ins Berufsleben nicht mehr umgangen werden konnte, ändert sich das Ganze nochmal. Irgendwo zwischen Lethargie und dem Gedanken „Oida, es ist Wochenende. Wochenende! Da kann ich jetzt ja nicht zuhause bleiben und den letzten Blüten meiner Jugend beim Verrotten zuschauen.“ kommt man dann freitags in seine Wohnung. Hin- und hergerissen, ob man sich in die eine Leggins mit Loch und den einen schirchen XXL-Pulli stecken soll, Weißwein trinken und der Welt in den Erdkern spucken soll, oder ob man im Club nach einer Erlösung suchen soll.

Wählt man den trainspottingesken Weg in den Club, kann es passieren, dass man vor folgender Frage steht: „Was mache ich hier?“ Überall betrunkene Naive (wie man es selbst ja auch mal war), verschwende-deine-Jugend-Mantras, kaputte American Apparel-Mädchen, Selbstzerstörung und Kaleidoskope in den Augen. Is this it? Hat Spaßkultur ein Ablaufdatum? Man steht vor einem Spiegel, dessen Reflektion, anders als noch vor einiger Zeit, eine Fratze zeigt, mit der man sich nicht mehr identifizieren kann. Der Maler in Thomas Bernhards Frost, sagt zum Medizinstudenten, dass sich von der Kindheit und der Jugend zu trennen, das einzige in ihm ist, was ihm schwer fällt. Da ist sehr viel Wahres dran. Ich kann mich zum Beispiel noch erinnern, als ich ur plötzlich spürte, dass meine Kindheit vorbei war. Ich war kein Kind mehr. Over and out. Am nächsten Tag hatte ich eine Schularbeit (haha), aber statt zu schlafen oder zu lernen habe ich die ganze Nacht durchgeheult und über das Leben nachgedacht. Zu achtzig Prozent bin ich wahrscheinlich einfach nur eine Pussy mit Hang zum Dramatischen, aber auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass ich damit alleine bin. Nun, dieser Moment scheint sich bald zu wiederholen. Diesmal mit weniger Tränen, aber mit Wehmut und mit übrig gebliebenen Glitzer im Haar. So ungefähr:

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Der Zeitpunkt, an dem ich keinen Platz mehr in einem aus Drogen gemachten und nach Alkohol riechenden Club haben werde, wird kommen. Zumindest, wenn ich es nicht wie die Raving Grandma machen will, die aber pretty fly ist. Immer öfter gibt es nichts Schöneres, als zuhause eine Flasche Wein aufzumachen, Musik zu hören und ein Buch zu lesen. Ich fühle mich also schon jetzt wie ein alter Mann, zum kompletten Feeling fehlt mir nur noch der nach Herrenparfum riechende Salon und eine Zigarre. Hätte mir das jemand vor zwei Jahren gesagt, dass ich das einem Club vorziehe, ich hätte ihm gesagt, dass ich so niemals werde. Häuslich. Tz. Niemals. Aber es interessiert mich nicht, in der Mitte eines verlorenen Traums zu stehen. Es interessiert mich nicht, den Schweiß von dem Typen, der vor lauter Rausch beim Reden spuckt, auf meinem Arm zu spüren und es interessiert mich nicht, eine Freizeitjugendliche zu sein. Die Party hört eben irgendwann auf. Sie darf auch aufhören.

Natürlich wird diese Zeit fehlen, natürlich werde ich zuerst auf die Realität einprügeln, weil sie mir einen essenziellen Teil meines Lebens gestohlen hat, natürlich werde ich, wenn es soweit ist, zurückblicken wie Rose auf die Titanic. Die Veränderung der Dinge ist manchmal eine schmerzhafte Notwendigkeit. Aber Stillstand ist noch schmerzhafter. Der Party den Rücken zuzukehren heißt ja nicht, dass man raus ist. Denn man entwickelt sich ja nicht alleine, sondern mit seinen Freunden, bei denen auch irgendwann ein anderes Lebensgefühl tonangebend sein wird. Dann macht man halt auf Arthur Schnitzler und geht öfter ins Kino, ins Theater oder betrinkt sich gemeinsam bei irgendjemanden zuhause, bis Uber einen in die Wohnung bringt, in der es mittlerweile regelmäßig aufgeräumt ist.

Isabella altert auf Twitter: @isaykah

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