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Mit der Promo zu ,Syro’ überspannt Aphex Twin den Bogen

Die Kampagne von Warp Records zeigt, welch schmaler Grat virales Marketing ist.

Foto: Warp Records

Seitdem Reddit (ihr wisst eh, die Website, auf der Links eingereicht und von mittlerweile Millionen Usern bewertet werden) wirklich groß geworden ist, und sich Werber immer bessere Ideen aus ihren feinen und/oder zugekoksten Nasen ziehen, wird ein Thema dort immer wieder intensiv diskutiert: Ist es legitim, gute, spannende oder lustige Werbung auf die Plattform zu stellen?

Das Problem dabei: Gerade virale Werbung zielt natürlich genau auf diese Viralität, also die Verbreitung durch den User ab. Man soll letztlich unbezahlt einen Job machen, für den normalerweise ein Medium und eine Medienagentur Geld bekommen. Virales Marketing ist zugleich eine Not wie eine Tugend. Es ist immer weniger Geld für klassische Werbung da. Und durch die sozialen Medien mittlerweile genug Seeding-Kanäle, um solche Dinge direkt oder indirekt zu verbreiten. Man braucht die Medien nicht mehr—oder glaubt das zumindest.

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Keine Angst: Ich halte hier keine Marketing-Seminar. Ich erzähle diesen ganzen Scheiß nur, um den Bogen zum Musikmarketing und besonders zu Aphex Twin zu schlagen. Eines vorneweg: Auch wenn ich keine Aphex Twin-Hardcore-Fan bin, begeistert mich Richard David James natürlich. Seine Soundentwürfe, sein visueller Mut, sein allumfassender Wahnsinn. Bei „xtal" bekomme ich noch heute eine Gänsehaut, so schön ist der Song. Und ich weiß auch noch sehr genau, wie ich mich mit 12 Jahren vor dem „Come To Daddy"-Video gefürchtet habe. Und dass er jetzt das erste Album seit 13 Jahren herausbringt, ist eine Nachricht. Eine verdammt große sogar.

Klassisches Musikmarketing ist zwar nicht tot, aber im gleichen Maß geschrumpft wie die Musikindustrie. Die Zeiten, wo Musikjournalisten auf Kosten von Labels in die Karibik flogen, um dort David Bowie zu interviewen, sind vorbei. Und es gibt auch nicht mehr viele Alben pro Jahr, in die Universal Deutschland eine halbe Millionen Euro stecken kann—wie übrigens für Camouflage von Nazar. Auch deshalb wird eine passende virale Kampagne immer wichtiger. Sie sorgt für genug Aufmerksamkeit, auch weil die Musikmedien von selbst darüber berichten.

Die ausgefuchsteste Kampagne lieferte 2013 wohl Boards Of Canada, deren fantastischer Scheibe Tommorow's Harvest eine Kombination aus kryptischen 12'', die zufällig in Plattenläden auftauchten, Nummerncodes und Ankündigungen auf der BBC vorausging. Auch Daft Punk ließen vor Random Access Memories eine Reihe von Snippets raus. Aber ja, das ist eh alles bekannt und kann nachgelesen werden.

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Aphex Twin blimp at Oval Space?! pic.twitter.com/AfShgjgBIQ

— Jonathan Lind (@JidLind) 16. August 2014

Ich muss zugeben, dass mich die Kampagne zu Syro, dem heiß ersehnten Aphex Twin-Album, das am 20.9. erscheint, am Anfang ziemlich gefesselt hat. Der unangekündigte Blimp über London, die Stencils in New York, der aus dem Nichts getwitterte Link zur Tracklist—das war alles irgendwie cool und stimmig. Er kündigte das Album „in the most Aphex Twin way possible" an, wie das unsere amerikanischen Kollegen genannt haben. Dem Link, der nur über den anonymen Browser Tor richtig zu öffnen war, hing auch der Hauch vom etwas Subversivem an. Wenn Wikileaks eine PR-Agentur wäre, würde es wahrscheinlich zu solchen Dingen raten.

Am Sonntag hat Aphex Twin—bzw Warp Records, eigentlich seit langem das Label meiner feuchten Träume—Listening Sessions für Fans in Nordamerika und Europa angekündigt. Tickets dafür gibt es nur zu gewinnen, und man muss sich für die Lotterie auf der Homepage von Warp eintragen. Und da war es dann irgendwie vorbei für mich. Übrigens nicht nur für mich, wie die Diskussion unter dem Posting zeigt.

Ich hab nicht grundsätzlich etwas gegen das namentliche Eintragen, wir haben das ja z.B. bei unserer Launch-Party genauso gemacht. Es ist einfach ein bisschen too much, und es überspannt die Kampagne. So ein virales Theater darum zu machen, damit eine Handvoll Fans das Album 10-14 Tage vor anderen Fans hören können, ist vieles, aber nicht mehr sympathisch. Es ist teuer, es ist eine Eventisierung, es spielt mit der Exklusivität. Kurzum: Es ist eine Aktion, die mehr zu einer Automarke passen würde. Und das ist genau das Problem. Virales Marketing ist nur solange cool, wie es das Gefühl verströmt, dem System Werbung ein Schnippchen zu schlagen. Etwas zu tun, das große, langweilige Firmen nicht können.

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Warp Records hat damit den Bogen überspannt. Ich freu mich natürlich trotzdem auf Syro. Aber der Fall zeigt, was für einen verdammt schmaler Grat man beschreitet, wenn man versucht das Netz seine Arbeit machen zu lassen. Und zwar nicht nur, wenn den Artist eh jeder hasst. Sondern auch, wenn ihn jeder liebt.

Aphex Twin-Hardcore-Fans, ihr könnt Jonas auf Twitter eins reinwürgen: @L4ndvogt

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