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‚Amy’ konfrontiert uns mit unserer Faszination am Tod von Amy Winehouse

Kein Feel Good Movie—Die Dokumentation über das Leben und den Tod der Sängerin macht es dem Zuschauer nicht leicht.

Bevor du dich hinsetzt und dir eine zweistündige Dokumentation über das Leben und den Tod von Amy Winehouse anschaust, solltest du besser wissen, was auf dich zukommt. Aus unzähligen Stunden Heimvideo-Material und exklusiven Live-Auftritten zusammengeschnitten, gewährt dir Amy einen verstörenden Einblick in das Leben der talentiertesten Jazz-Sängerin unserer Generation. Regisseur Asif Kapadia sagte erst kürzlich in einem Interview mit der New York Times, dass „ein beschönigender Film niemals funktioniert hätte.“ Stattdessen ist seine unablässige Bombardierung mit objektiven Tatsachen und Aufnahmen verstörend und schonungslos. Das hier ist definitiv nicht einfach eine weitere Folge „Behind the Music“. Wir lernen, dass die aufsässige Popsängerin den Weg der Selbstzerstörung schon eingeschlagen hatte, bevor sie überhaupt berühmt wurde. Es gibt kaum etwas Romantisches oder Glamouröses an dem Bild von Amy Winehouse, das in dieser Dokumentation gezeichnet wird. Sie ist weniger der tragische Star, der am eigenen Ruhm zugrunde geht, als die reale Person, die sich wortwörtlich zu Tode hungert und säuft. Du bist also vorgewarnt. Sollte das nicht die Story sein, die du gerne hören willst, bist du vielleicht besser dran, alte Clips von ihr auf Youtube anzuschauen. Dieser Film ergreift ähnlich von dir Besitz, wie Amys Dämonen sie in ihren Fängen hatten.

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Die 27 Jahre alte Winehouse wurde am 23. Juli 2011 tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Als die Obduktion ergab, dass sie über vier Promille Alkohol im Blut hatte, schrieb sich die Geschichte von ihrem Tod eigentlich wie von selbst. Aber natürlich ist alles nicht ganz so einfach. Niemand möchte Verstorbenen die Schuld am eigenen Tod geben und genau das ist auch der Punkt, in dem die Dokumentation besonders gut ist—ganz im Sinne der Biografin Janet Malcolm, „die Toten dürfen nicht beleidigt oder schlechtgeredet werden. Sie können sich nicht mehr wehren.“ Und so sucht der Film vorsichtig in ihrem Bekanntenkreis nach Antworten.

War es ihr verdorbener Ex-Mann Blake Fielder-Civil im Hotelzimmer mit der Crackpfeife? Er war immerhin derjenige, der sie mit Crack und Heroin bekannt gemacht hatte. Es scheint aber ganz so, als wäre der Film mehr an Fielder-Civil als eine Reflektion von Amys Sehnsucht nach einer zum Scheitern verurteilten Beziehung interessiert, und weniger daran, ihn für ihren Werdegang verantwortlich zu machen. Sobald wir lernen, dass ihr ruhmgeiler Vater ihr wiederholt verboten hatte, in die Reha zu gehen, um seine eigene wahnhafte Musikkarriere anzukurbeln, haben wir den vermeintlichen Bösewicht gefunden. Amys Management-Team kommt in dem Film ebenfalls nicht mit weißer Weste davon. So gibt man dort zu, Amys Bulimie und ihre Depressionen zugunsten von Konzertumsätzen absichtlich übersehen zu haben. Kurz vor ihrem Tod steckte man sie sogar an Bord eines Privatflugzeugs, damit sie eine Show spielt, gegen die sie sich von Anfang an geweigert hatte. Kapadia bleibt aber den Film hindurch objektiv, weil jeder einzelne von ihnen am Ende auf ganz eigene Art schuldig zu sein scheint. Amy gerät jedoch nie aus dem Blick. Ihre Interviews laufen als Audiospur über Bildaufnahmen von der gebeutelten Visionärin, die mit der Zeit immer berühmter und immer kränker wird.

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Amy Winehouses letzter Auftritt vor ihrem Tod im Juli 2011.

Als sie zu einem internationalen Star geworden war, hatte Amys moderne Interpretation des klassisch-amerikanischen Jazz eigenhändig Scat-Rhythmen und das Horn als Instrument wieder im Mainstream-Pop etabliert. Ihre direkten und schwerverdaulichen Texte über schädliche Liebe und Sucht schnitten jedoch tiefe Wunden ins Fleisch. Und das war es auch, was ich so sehr an ihr verehrte. Tatsächlich war ihre grausame Ballade „Back to Black“ der erste Liebessong, der irgendeinen Sinn für mich ergab. Als mich mein schlacksiger Chorlehrer im Sommer 2011 fragte, welchen Song ich in letzter Minute für eine Unileistung vortragen möchte, musste ich nicht zweimal überlegen.

Kurz vor dem Auftritt in einem Kursraum voller Theaterstudenten überredete mich eine Freundin, auf dem Klo einige Shots Jim Beam runterzustürzen, weil, „das auch Amy gemacht hätte.“ Und so tat ich es meinem Vorbild gleich. Ich frisierte mein Haar zum traurigsten und schiefsten Bienenstock, den man je gesehen hatte, und malte mir kleine geschwungene Striche an meine blutunterlaufenen Augen. Ungefähr zur Hälfte des Songs vergaß ich den Text und erstarrte vor dem versammelten Kurs, während meine Begleitung die traurigen Akkorde immer und immer wieder auf dem Klavier wiederholte. Betrunken, gedemütigt und vor einer Gruppe entsetzter Studenten stehend, wollte ich mich wenigstens mit einem Knicks verabschieden, um einen noch irgendwie würdevollen Abgang zu finden. Stattdessen stolperte ich über meine eigenen Füße und legte mich auf die Nase. Die ganze Geschichte war ein unglaubliches Desaster.

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Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich diese Erfahrung komplett verdrängt hatte, aber als ich dort innerlich zusammenzuckend im Kinosaal saß und zuschauen musste, wie genau das Gleiche eben der Person passierte, die ich damals sein wollte, konnte ich mich an alle Einzelheiten erinnern. Die Ironie darin ist eine extrem düstere. In der Dokumentation singt die torkelnde, alles andere als nüchterne und den Tränen nahe Winehouse kaum eine Note, bevor sie das serbische Publikum bei einem Open-Air Festival von der Bühne buht. Amy Winehouse hat nur zwei Alben aufgenommen, angefangen mit Frank und endend mit Back to Black, aber die Obsession der Klatschpresse mit ihrem persönlichen Leben entfaltete sich vor unseren Augen wie ein geschmackloser und trauriger Film, dessen Ende wir schon kannten. Ihr Management-Team, wie auch ihr opportunistischer und manipulativer Vater zwangen die hilflos kranke Sängerin durch die letzten paar Jahre ihres Lebens und versuchten dabei, auch noch den letzten Cent aus Back to Black zu quetschen.

Dieser Film möchte dir aber auch zeigen, dass Amy von Anfang an wusste, wie ihre Chancen stehen. Sie sagte doch sofort, dass sie nichts als Probleme bedeutet, erinnerst du dich? Die wirkliche Tragödie in dem Film ist aber, mitanzusehen wie viele Hinweise sie hinterlassen hatte. Selbst ihr Manager Raye Cospert erinnert sich daran, wie Amy einmal im Aufnahmestudio die Toilettenkabine eingedeckt in ihrem Erbrochenen hinterlassen hatte—als wollte sie sagen, „helft mir“, ohne es jemals aussprechen zu müssen. Das ist einer der Aspekte, warum Amy so schwer anzusehen ist. Der andere Bösewicht in dieser Geschichte ist die Faszination der Öffentlichkeit an ihrem Untergangsspektakel—die gleichen Menschen, die sich wahrscheinlich Kinokarten kaufen werden. Wie kann es eigentlich sein, dass es niemanden in ihrem Leben gab, der sie retten konnte, als sie immer und immer wieder von tausenden Menschen, Talkshows und Zeitungsartikeln ausgelacht wurde?

Jede Person bei der Vorabvorführung war darauf aus, die Amy Winehouse-Story auf eine möglichst einzigartige und spannende Art zu erzählen. Durch den Film wird ihr persönliches Leben so etwas wie geistiges Eigentum. Ein verstörender Gedanke wollte aber nicht aus meinem Kopf verschwinden: Schauen wir uns das alles an, weil uns Amy Winehouse, die talentierte Sängerin und Songwriterin, am Herzen liegt, oder schauen wir uns das an, weil wir so besessen von der klassischen Narrative des fehlgeleiteten Ruhms sind? Es ist eine furchtbare Geschichte mit einem furchtbaren Ende, das vielen von uns in diesem Raum erschreckend bekannt ist—mir inklusive. Die Faszination unserer Kultur mit selbstzerstörerischen Rockstars ist am Ende einfach nur das: selbstzerstörerisch. Meine Entscheidung, mich vor meiner Performance von „Back to Black“ vor meinem Kurs volllaufen zu lassen, weil mir jemand gesagt hatte, dass Amy es auch so gemacht hätte, ist das perfekte Beispiel dafür. Am Ende hatte ich damit die Leistung nicht bestanden und ein unerschütterliches Gefühl der Scham gewonnen—am Ende des Films fühlte ich mich komischerweise genau so.

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