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Captain Ashi—Unterwegs im räudigen Band-Kosmos

Abenteuer Videodreh: Geschichten aus dem Low Budget-Fegefeuer

Videodrehs gehören teilweise zu den schönsten, teilweise aber auch zu den schlimmsten Erinnerungen des Musikerdaseins. Eine Chronik.

Gerade habe ich mich todesmutig in einen Pool aus Eiswasser gestürzt, um dort mit zittrigen Lippen die Zeilen unserer neuesten Single-Auskopplung nachzusprechen. Während ich mich auf Zehenspitzen über Wasser hielt, in zwei grelle Scheinwerfer starrte und mir ein Kameramann zurief „Das wird so nix. Noch mal untertauchen!“ schwirrte mir eine Frage immer wieder im Kopf rum: „Captain, wie konnte es nur so weit kommen?“

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Ich erzähle euch nichts Neues, wenn ich sage: Musikfernsehen ist tot. Dass Indie- und Major-Acts gleichermaßen trotzdem noch auf den Kurzfilm zur Single bestehen, hat mehrere Gründe: Es geht um das Image und künstlerische Selbstdarstellung, es geht um YouTube-Klicks und darum, dass sich ein kurzes, buntes Filmchen immer noch besser durchs Internet heizen lässt, als ein grauer Soundcloud-Link. Da wir aber nicht mehr in den wilden Neunzigern leben und keiner mehr bereit ist, die Kohle für eine aufwändige, pompöse Videoproduktion mit Hubschrauber und CGI-Explosion für einen Act mit 10.000 Facebook-Likes auf den Tisch zu hauen, stehen kleine bis mittelgroße Bands durchschnittlich zweimal im Jahr vor der Frage: „Wie können wir mit möglichst wenig Kohle ein möglichst geiles Video drehen!?“ Der Mangel an Geld, Zeit und Manpower endet dann eben oft in einem Martyrium, das Band und Filmcrew an ihre Grenzen bringt. Je nachdem, wie ambitioniert das Drehbuch ist. Meine bisherigen Videodrehs gehören teilweise zu den schönsten, teilweise aber auch zu den schlimmsten Erinnerungen meines Musikerdaseins. Eine Chronik von gefrorenen Zehen, leeren Portemonnaies und brennenden Teppichböden.

Das märchenhafte Sci-Fi Epos

Wir hatten gerade unseren knittrigen Plattenvertrag auf dem Rücken des Audiolith Chefs Lars Lewerenz unterschrieben und standen kurz davor, unser erstes, eigenes Video zu drehen. All unsere MTV-Jugendträume vom emotional aufrüttelnden Film zum Song waren kurz davor, wahr zu werden. Wir wollten alles und mehr: Prügelszenen, eine heroische Story, ein dunkles Schattenmonster, glanzvolle CGI-Effekte, postapokalyptische Kostüme und eine Performance-Szene, die uns im allerbesten Licht dastehen lässt. Wenige Wochen und einen Blick auf das 2500€ Budget später fand ich mich schwitzend und flach atmend unter 50 Kilo Mollton auf einem Feld an der Nordsee wieder. Ich spielte das Schattenmonster. Außerdem den Licht-Halter, den Fahrer, den Casting-Director, eine Leiche und natürlich den Sänger. Denn wer sparen will, muss selber mit anpacken. So wurde unser erster Low-Budget-Dreh zu unserem bis heute ambitioniertesten Video-Projekt. Aus Gründen. Nach vier Tagen und Nächten, in denen wir mit unserer siebenköpfigen Crew Kostüme geschnippelt, Räume ausgestattet, Kickboxer geschminkt, Geld in den Wind geschossen, auf Playback gesungen und uns aufs Übelste wegen einer Schere gestritten hatten, beschlossen wir, zukünftig kleinere Video-Brötchen zu backen und die High-End-Version unserer Fantasien anderen zu überlassen. Nach tausend schlaflosen Nächten in einem Uni-Schnittraum in Hamburg war das Biest trotzdem fertig und wir hatten unser Sci-Fi Märchen. Und die Erinnerungen an schrecklich zermürbende Tage mit schrecklich fantastischen Menschen.

Alle Fotos: Captain Capa

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Der geschenkte Gaul

So ganz wollten wir den Traum vom Actionfilm zum eigenen Album noch nicht an den Nagel hängen. Im Rahmen eines Newcomer-Programms im Bayrischen Rundfunk schenkte man uns nämlich kurze Zeit später den Supergau: fetter Videodreh mit fettem Budget. Die erste Idee der Produzentenriege konnten wir erfolgreich bombardieren. Sonst wüsstet ihr jetzt, wie ich aussehe, wenn ich mich in Pelz gekleidet zwischen Babykatzen und halbnackten Models in einem Käfig räkele. „Macht mal lieber was mit Zeitreisen und Action und so postapokalyptisch und so!“ haben wir in aufbrausende Mailverläufe getippt. Danach lief alles ab, wie man es aus dem Making Of der ganz Großen kennt: Die Band rückt für drei Stunden am Set an, wird gepudert und dreht ihre Performance-Szenen ab. Drumherum hundert Angestellte die schminken, Stunts üben, ein ausgebranntes Auto auf den Kopf wuchten, Nebelmaschinen und Sprengstoffzündungen bedienen. „Geil“, können wir grad noch sagen, bevor wir uns wieder vom Acker machen. Wochen später liegt das fertige Überraschungsei dann auf dem Tisch—mit Zeitmaschine, Actionszene und Dystopia-Chic. Und dem Logo des Sponsors, auffällig unauffällig ins Set geschummelt. Hartes Brot: Einmal den Luxus einer 10.000€ Videoprojektion miterleben um danach knallhart nur noch Clips am Budget-Hungertuch zu drehen…

Das Kammerspiel. Oder: Scheiße, der Greenscreen brennt!

… Wie zum Beispiel bei diesem Filmchen, das uns tatsächlich fast nichts gekostet hat. Anders ging es auch nicht, denn wir standen kurz vor einer ausgedehnten Tour. Das heißt, wir waren pleite UND in Zeitnot. Hier greift dann die Strategie „Kammerspiel.“ Das Rezept ist ganz einfach:
1. Man nehme ein ausdrucksstarkes Gesicht, ein 20m² Wohnzimmer und einen großen, schwarzen Molltonvorhang.
2. Halten sie außerdem Ventilator, Seifenblasen, Glitzerkonfetti, Nebelspray und Wunderkerzen bereit.
3. Stellen sie den Zeitlupenregler ihrer Spiegelreflexkamera auf „ÜBELST“
4. Dicken sie den Teig mit Live-Mitschnitten der Band an
Tipp: Bringen sie Nebelspray und Wunderkerzen NIE in Verbindung. Für den Tipp war es in unserem Fall leider schon zu spät. Wir konnten vor dem beachtlichen Feuerball gerade so flüchten, der Greenscreen leider nicht. So wurden die Brandlöcher in einem großen, giftgrünen Stück Stoff zum bestbezahlten Star des Videos. Dicht gefolgt vom Glitzerkonfetti.

Das Hinter-den-Kulissen Reisevideo

Wenn ihr dachtet, der Gipfel der kläglichen Sparsamkeit wäre mit dem Inbrandsetzen einer Hamburger Zweiraumwohnung und den Haaren eines vielversprechenden Nachwuchsmodels erledigt, sage ich euch—ihr irrt. Während wir uns den Sommer 2012 auf der Vans Warped Tour in Amerika um die Ohren schlugen, wartete Zuhause ein neues Album auf uns, das geschrieben und aufgenommen werden wollte. Inklusive Vorab-Video. Da wir all unsere Ersparnisse aber für schlechtes Dosenbier, Benzin und Bestechungsgelder in den USA verprasst hatten, standen wir schon wieder vor einer vermeintlich unlösbaren Aufgabe. Wir verwendeten also das Einzige, was uns von der staubigen Reise durch die Staaten blieb: einen riesigen Berg von wackligen Videoschnipseln auf unseren Handys. Die Festplatten schleuderten wir wütend durch die Fensterscheiben des Labelbüros. Es war die Aufgabe unseres Managers, die 427 Clips nach brauchbarem Material zu durchstöbern. Man munkelt, er kämpfe heute noch mit der Bindehautentzündung, die er bei der Durchsicht von 40 Stunden Tourschweinereien in gebrochenem Englisch davongetragen hat. Seine Arbeit hat er trotzdem gut gemacht. Noch heute schaue ich mir „As Far As It Goes“ hin und wieder an und weine mit salzigem Tränchen im Gesicht dem Sommer 2012 und Hendrik Menzls Bindehaut hinterher.

Der Dorf-Thriller

Da uns als Kleinstadt-Hoschies seit jeher die wichtigen Kontakte zu Schauspielern, Filmproduzenten, Kleinkünstlern und Kunststudenten fehlten, brachte mich ein grimmiger Russe namens Schock auf eine hervorragende Idee: „Drrreht doch einfach ein Video bei euch in der Hood ey. Mit so Autoprrrolls und Crrrystal Meth und so!“ In meinem Kopf spielten sich sofort fantastische Szenen ab: Tiefergelegte Tuning-Karren, ein rauchender Schönling auf der Dorfkirmes, eine Brechstange und ein Benzintank im Plattenbau. Das sollte es werden, unser „Magnum Opus of Musikvideos“. Ich setzte alle Hebel in Bewegung und wagte mich in Gefilde, um die ich sonst einen großen Bogen gehe: Autowerkstätten, das Frankenhäuser Fliederfest, das Rathaus. Unseren Merchandise-Verkäufer Mario, der knapp ein Jahr später selbst Teil der Band werden sollte, haben wir fix zum Hauptdarsteller geschlagen, seitdem ist er der Ryan Gosling des Kyffhäuserkreises. Diesen Titel hat er sich redlich verdient, denn auch wenn bei den scheinbar endlosen Arbeiten zum „Foxes“-Video wieder alle gefroren und gelitten haben, musste er besonders hart buckeln. Wisst ihr, wie schlimm es ist, einen Rummelplatz voll alter Schulkollegen, Ex-Freundinnen, Schießbuden-Predigern und Autoscooter-Hooligans zu überqueren, während einem eine riesige Kamera mit Lichtkegel folgt? Nicht einmal, sondern zwanzigmal? Getoppt werden konnte der Spießrutenlauf nur noch durch die regelmäßigen „DARF ICH AUCH MAL INS BILD!?“-Idioten und die beiden Helden, die sich direkt neben der 3000€ Kamera die Zähne aus dem Maul schlugen. (Grund der Schlägerei: Wer hat den besseren Autoscooter am Start? Geschwenda oder Frankenhausen?)

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Ich war dennoch froh, dass mir die Stadt nach all den Jahren meiner Treue einmal etwas Prächtiges zurückgeben konnte: waschechte, hilfsbereite Auto-Freaks, einen heruntergekommenen Plattenbau, eine kleine Achterbahn und die Möglichkeit, zwischen all dem ein Video zu drehen, das wir auch jetzt, zwei Jahre später, immer noch ausnahmslos geil finden. I love you, Frankenhausen.

Tränen in der Berghütte

Habt ihr schon mal einen Menschen durch die Alpen gezogen? Wir auch nicht, sonst hätten wir diese bescheuerte Idee nicht ins Drehbuch geschrieben. Bei Minusgraden musste ich meinen Bandkollegen über österreichische Bergketten schleifen, was mir als unsportlichem Oberlauch peinlich schwer fiel und trotz Schutzpanzer unansehnliche Spuren auf seinem Rücken hinterließ. Ich konnte also voll und ganz mitfühlen, als Maik mir beichtete, dass er unter der kalten Morgendusche in der Berghütte eine Träne der Verzweiflung vergoss, nachdem es 05:30 hieß: „Raus in den Schneesturm, wir wollen den Sonnenaufgang auf Band haben.“ Die österreichische Alpenfolter hat sich trotzdem gelohnt: Berge sehen einfach immer geil aus und nach Drehschluss gab es jeden Tag Frittatensuppe. Ha!

Grimmepreis! Grimmepreis!

In unserem langjährigen, zwiespältigen Verhältnis zum unkaputtbaren Medium „Musikvideo“ fehlte bis vor kurzem noch der gewagte Tanz mit dem Feuilleton-Feuer: das mysteriöse Kunstvideo. Bloß nicht zu viel zeigen, Sauereien nur andeuten, Zeitlupe auf 11 und alle einmal leiden. Dabei hatte ich mir schon zu Zeiten der Bandgründung geschworen: Niemals drehe ich ein Video im Wasser. Jetzt sitze ich hier, nass und nackt in eine alte Wolldecke gehüllt und kann den Kugelschreiber kaum halten vor Frostbeulen. Fünfmal musste ich für die Schweine ins Eiswasser untertauchen, fünfmal! Und wofür!? Für mein neues Lieblingsvideo. Dafür!

Tour Dates
21.05.2015 Erfurt - ETC (Centrum)
22.05.2015 Berlin - Badehaus T
28.05.2015 Leipzig - Täubchenthal
29.05.2015 Hamburg - Molotow
30.05.2015 Flensburg - Volksbad
04.06.2015 Frankfurt - Elfer Tickets
05.06.2015 Prag - Kokpit Kafé
06.06.2015 Annaberg-Buchholz - Alte Brauerei

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